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Kochendes Meer

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Kochendes Meer
Als der Krakatau explodierte, warf er riesige Flutwellen an die umliegenden Küsten und machte aus dem Meer eine Trümmerflut.

Mijnheer Schruit, ein junger Holländer, hatte auf der indonesischen Insel Java eine Stelle als Telegrafist angetreten, seine Frau sollte später nachkommen. Sonntags saß er oft bei seinem Landsmann Mevrouw Schuit, der in dem Küstenstädtchen Anyar einen Gasthof betrieb. Die beiden Männer waren Pioniere des anbrechenden Kommunikationszeitalters. In ihren Händen hielten sie einen neuartigen Draht, der die Kontinente miteinander verband – Schruit als Telegrafist, Schuit als Versicherungsagent, der nebenberuflich Informationen über die Schiffsbewegungen auf dem belebten Meeresarm zwischen Java und Sumatra, der Sunda-Straße, weitergab. 190 000 Kilometer Telegrafenkabel hatten Techniker während der vorangegangenen Jahrzehnte in den Ozeanen versenkt.

Was die beiden Holländer damals, 1883, von der Terrasse aus auf der Wasserstraße beobachteten, wusste bald die ganze Welt. Der Ausbruch des Krakatau war die erste Naturkatastrophe, die innerhalb von Stunden ein weltweites Echo fand: Die Herrschaft der Medien hatte begonnen.

Gastwirt Schuit gab am 23. Mai einen ersten Bericht über ungewöhnliche Vorkommnisse nach England durch – nur eine Randnotiz aus den fernen Kolonien. Drei Tage zuvor war einer der drei Vulkane auf einem unbewohnten Inselchen namens Krakatau ausgebrochen und hatte eine Aschewolke zehn Kilometer hoch in den Tropenhimmel geschickt. Kein Grund zur Sorge. Nicht einmal die Anwohner fürchteten sich, denn zwischen ihren Dörfern und dem Feuerberg lagen mindestens 40 Kilometer Wasser. Am 27. Mai ließen sich gar 86 Schaulustige auf die Sunda-Straße schippern, um das Naturschauspiel aus der Nähe zu beobachten. Obwohl der Vulkan in den nächsten drei Monaten immer wieder brodelte und spuckte, ahnte niemand, welche Urgewalten sich am 26. und 27. August entladen würden. Die Energie, die der Berg innerhalb von Stunden freisetzte, entsprach der von 100 bis 150 Megatonnen TNT, rund 10 000-mal stärker als die Hiroshima-Bombe.

Wer heute den Namen Krakatau hört, denkt unweigerlich an die Flutwelle, die rund 36 000 Menschen in den Tod riss. Sie kam allerdings nicht so heimtückisch wie der Tsunami, der an Weihnachten 2004 durch den Indischen Ozean raste. Ein stundenlanges unheimliches Vorspiel kündigte sie an, sodass viele Menschen in Panik von der Küste in höhere Gegenden flohen.

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Als Erstes kam die Asche – und mit ihr die Angst. Der schwere Ausbruch begann am Mittag des 26. August mit einer Explosion, die eine dunkle Wolke rund 30 Kilometer hoch in die Stratosphäre jagte. Die niederrieselnde Asche machte den Tag zur Nacht. „ Totale Finsternis”, telegrafierte Schruit, der auf seinem Posten ausharrte, bis gegen Abend die Leitung riss. Wie Kanonenschüsse hallten die Explosionen übers Meer, das sich immer wilder gebärdete. Mal kräuselten sich unerklärliche Wellen, mal zerrten rasch wechselnde Strömungen an verankerten Schiffen, mal krachten meterhohe Wellen an Land.

In der folgenden Nacht tobte der Vulkan unvermindert weiter, aber erst gegen Morgen kam der infernalische Höhepunkt. Vier gewaltige Explosionen innerhalb von fünf Stunden zerrissen die Insel Krakatau und wühlten das Meer auf. Ein Knall war so laut, dass er noch auf der Insel Rodriguez bei Madagaskar, fast 5000 Kilometer entfernt, zu hören war. Die Druckwelle umkreiste mindestens dreimal die Erde, wie Barometermessungen zeigten. Rings um den Krakatau wütete ein Orkan. Ein Schlammregen ging nieder, und riesige Wellen wälzten sich aufs Land. Der größte Tsunami türmte sich am Morgen gegen 9 Uhr auf und krachte 20 Minuten später gegen die ersten Ortschaften. In manchen Buchten erreichte er eine Höhe von mehr als 40 Metern. Die Wasserwand wuchtete einen 600 Tonnen schweren Korallenblock 100 Meter hinter die Küstenlinie und trug den Raddampfer Berouw drei Kilometer landeinwärts. 300 Dörfer gingen in den Fluten unter.

Gegen Mittag beruhigte sich der Vulkan. Doch die Folgen des Ausbruchs blieben noch lange sichtbar. Die gesamte Sunda-Straße war von einem Bimssteinteppich bedeckt: Seeleute hatten das Gefühl, mit ihren Schiffen über Land zu fahren. Hoch geschleuderte Schwefelverbindungen kreisten jahrelang um die Erde und ließen die Sonne blutrot untergehen. In Poughkeepsie bei New York rückte die Feuerwehr an einem wolkenlosen Abend aus, um den vermeintlichen Brand zu löschen. Die Temperaturen sanken im ersten Jahr nach der Eruption weltweit um durchschnittlich ein halbes Grad.

Bald reisten Wissenschaftler an und untersuchten die Eruption akribisch: Der holländische Kommissionsleiter Rogier Verbeek, ein Geologe, berechnete das Volumen des Auswurfmaterials recht genau auf 20 Kubikkilometer. Er fand heraus, dass die Insel nicht in die Luft geflogen war, sondern ins Meer eingebrochen, nachdem sich die Magmakammer unter ihr geleert hatte. Die entstandene Caldera, der Einbruchkrater, den Verbeek auslotete, ist inzwischen fast vollständig verschwunden. Aus ihr erhob sich, wie Phönix aus der Asche, ein neuer Vulkankegel: der „Anak Krakatau”. Dieses „Kind des Krakatau” wird eines Tages wie sein Vater explodieren und neue Flutwellen gegen die umliegenden Küsten schleudern. ■

Ohne Titel

Land: Indonesien

Höhe vor der Explosion: 800 m

Ausbruch: 26. August 1883

Tote: 36 000

Auswurf: 18–20 km3

Besonderheiten: 30 km hohe Aschewolke; Energie von rund 10 000 Hiroshima-Bomben; bis zu 40 m hohe Tsunamis; nach der Eruption brach die Insel Krakatau in sich zusammen.

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