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Zauberlehrlings Schweineleber

Allgemein

Zauberlehrlings Schweineleber
Sollen Tiere als Ersatzteillager für menschliche Organe gezüchtet werden? Die Biologin Dr. Anja Haniel vom Münchner Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaftenwarnt vor zu großer Euphorie bei der Xenotransplantation.

Das neue Zauberwort gegen den Organmangel in der Transplantationsmedizin heißt Xenotransplantation. Mit Hilfe der Gentechnik sollen tierische Organe so verändert werden, daß sie nicht sofort abgestoßen werden, wenn man sie in einen Menschen verpflanzt. Die mit der Organentnahme bei Hirntoten oder Lebendspendern verbundenen ethischen Probleme könnten so gelöst werden, meinen die Befürworter. Erste Versuche, Herzen transgener Schweine in Paviane zu verpflanzen, verliefen erfolgversprechend: Die Organe funktionierten bis zu 30 Tage. Bald wollen die Zauberer ihre Kunst am Menschen erproben. Aber sind die Zauberkünste schon reif dafür?

Viele Fragen sind noch offen – zu diesem Schluß kommt ein Gutachten des Fraunhofer-Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung in Karlsruhe, das Anfang September vorgestellt wurde. So seien die Überlebenszeiten der Transplantate bislang sehr kurz. Ungeklärt sei, ob ein Organ vom Menschen nicht schneller abgestoßen wird als vom Tier und ob Tierorgane im menschlichen Körper genauso arbeiten wie sie sollen.

Diese Risiken betreffen den einzelnen: Er mag bei einem lebensbedrohlichen Organversagen das Risiko in Kauf nehmen, wenn kein menschliches Organ zur Verfügung steht. Aber damit ist es nicht getan. Die Forschung konzentriert sich zwar auf Schweine, da diese bisher nie unter Verdacht standen, Krankheiten zu übertragen, die für Menschen gefährlich sind. Aber es ist ein Unterschied, mit Schweinen in engem Kontakt zu leben und ihr Fleisch zu essen oder ein lebendes Organ von ihnen im Körper zu tragen.

In der letzten Zeit wurden im Erbgut von Schweinen mehrere Retroviren identifiziert. Diese scheinen für die Schweine harmlos zu sein. Doch es besteht die Gefahr, daß solche Viren in Menschen aktiv werden, wenn deren Immunsystem gedrosselt wird, wie es bei einer Transplantation nötig ist. Niemand weiß, ob die Schweineviren mit menschlichen Viren zu völlig neuen, vielleicht gefährlicheren Erregern verschmelzen können. Die Erfahrung mit dem Aids auslösenden HI-Virus, das sich lange Zeit unbemerkt ausbreiten konnte, und das ebenfalls vom Tier auf den Menschen übertragen wurde, mahnt bei der Xenotransplantation zu äußerster Vorsicht. Eine solche Virusinfektion würde schlimmstenfalls nicht nur den transplantierten Patienten treffen, sondern könnte zu weltweiten Epidemien führen. Natürlich könnte man die Patienten zu lebenslanger Quarantäne verpflichten, um kein Infektionsrisiko einzugehen. Doch das widerspräche der Selbstbestimmung des Menschen und würde die Lebensqualität entscheidend mindern.

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Wäre es nicht sinnvoller, verstärkt an künstlichen Organen zu arbeiten und bis dahin für eine größere Spendebereitschaft zu werben? Vielleicht könnte außerdem durch bessere Prävention Alkohol- oder Medikamentenmißbrauch vermieden werden, die bekanntlich zu Organversagen führen können. Ich hoffe, daß unsere Gesellschaft nicht einer ökonomischen Doppelmoral erliegt, weil sich die Suchtprävention finanziell nicht rentiert, während die Xenotransplantation ein Milliardengeschäft zu werden verspricht.

Manche Experten sind der Meinung, daß die Xenotransplantation den Organmangel nicht beheben, sondern im Gegenteil verschärfen würde, weil die vermeintliche Verfügbarkeit tierischer Organe die Spendebereitschaft in der Bevölkerung weiter schwinden ließe. Der Mangel an menschlichen Organen, die wohl immer die bessere therapeutische Option sein werden, würde sich noch verschärfen. Hätten wir dann eine Zwei-Klassen-Medizin zu befürchten, bei der sich die Reichen menschliche Organe leisten können, die Armen nur tierische? Und selbst wenn eines Tages voll funktionsfähige virusfreie Organe zur Verfügung stünden, wäre unklar, welchen Einfluß solche tierischen Transplantate auf das psychische Befinden der Empfänger hätten.

Aus all diesen Gründen kommt die Xenotransplantation meiner Meinung nach gegenwärtig nicht als Behandlungsmethode in Frage. Selbst begrenzte klinische Studien an einzelnen Patienten wären verfrüht. Statt Zauberern sind noch Zauberlehrlinge am Werk. Um die Xenotransplantation als zukünftige Möglichkeit offenzuhalten, spricht jedoch nichts dagegen, weiter zu forschen und ihre Risiken zu minimieren. Doch sollte der Teufel Organmangel nicht mit dem Beelzebub einer vorschnellen Anwendung der Xenotransplantation ausgetrieben werden, damit der Zauberlehrling nicht nachher eingestehen muß: „Die ich rief, die Geister, werd‘ ich nun nicht los.“

Anja Haniel

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