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„Argwohn ist angebracht“

Allgemein

„Argwohn ist angebracht”
Die Fälschungen einer Laborantin und die Folgen für die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft. Im Frühjahr flog am Kölner Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung ein langjähriger Betrug auf. Wie Institutsdirektor Prof. Jozef Schell die Vorfälle heute beurteilt, legt er in bild der wissenschaft offen.

bild der wissenschaft: Wie geht es Ihnen, Herr Prof. Schell?

Schell: Relativ gut. Ich war beim Segeln und habe mein neues Boot getestet.

bild der wissenschaft: Ist dies eine Reaktion auf die Vorgänge in Ihrem Institut?

Schell: Das Boot habe ich schon vor längerer Zeit gekauft. Das hat damit zu tun, daß ich die Freiheit beim Segeln auch in meinem Ruhestand genießen möchte.

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bild der wissenschaft: Sie sind kurz nach Bekanntwerden der Manipulationen von Ihrem Posten als Abteilungsdirektor des Instituts für Züchtungsforschung zurückgetreten – obwohl Sie damit direkt nichts zu tun haben. Das bestätigte Ihnen auch eine Untersuchungskommission der Max-Planck-Gesellschaft. Bereuen Sie Ihren schnellen Entschluß?

Schell: Überhaupt nicht. Ich bleibe ja noch am Institut und kann weiter wissenschaftlich arbeiten.

bild der wissenschaft: Sie sind jetzt 63…

Schell: …und mit 65 möchte ich in Pension gehen. Ich hoffe, etliche der sich anschließenden wertvollen Lebensjahre bei voller Gesundheit, aber nicht nur mit Wissenschaft zu verbringen.

bild der wissenschaft: Wie beurteilen Sie die Vorkommnisse an Ihrem Institut heute, ein halbes Jahr nach dem Bekanntwerden der umfangreichen Fälschungen durch eine Laborantin?

Schell: Auch wenn inzwischen klar geworden ist, daß sie über Jahre Daten manipulierte, war es doch sehr schwer, ihr auf die Schliche zu kommen. Dem Vorwurf, daß dies unter meiner Oberaufsicht passierte, kann ich mich nicht entziehen. Ich bin hier ja gewissermaßen der Skipper. Das ist aber der einzige Vorwurf, den ich mir machen muß. Denn ich habe nichts Falsches getan. Auch dem zuständigen Laborleiter war eine unmittelbare Beteiligung an den Fälschungen nicht nachzuweisen. Er ist aber, ebenso wie die Laborantin, aus dem Institut ausgeschieden. Vielleicht haben wir alle die Daten, die aus dem Labor kamen, zu gerne geglaubt. Wir alle, darunter fallen auch unser Fachbeirat sowie die Gutachter der renommierten Zeitschriften, in denen wir unsere Arbeiten veröffentlicht haben. Niemand hat jemals an den Ergebnissen gezweifelt – denn auch die Kontrollversuche haben gestimmt. Erst nachdem die Manipulationen aufflogen, bemerkten wir, daß auch die Kontrollen gefälscht waren.

bild der wissenschaft: Wie kam man den Tricks endlich auf die Schliche?

Schell: Anfang dieses Jahres wollten Mitarbeiter meines Instituts einige der Versuche wiederholen, was ihnen nicht gelang. Die Versuche waren aber reproduzierbar, wenn besagte Technische Angestellte das machte. Da kam Verdacht auf.

bild der wissenschaft: Um was ging es bei den fraglichen Versuchen?

Schell: Es ging darum, Pflanzenzellen zur Teilung zu bringen, bei denen die Zellwand entfernt worden war. Solche Zellen nennen wir Protoplasten. Diese Teilung gelingt normalerweise nur, wenn man Wachstumsfaktoren zuführt. Wir suchten nach Mutanten, die das auch ohne Wachstumsfaktoren schaffen. Zu unserer Freude fanden wir die. In Wahrheit hat aber die Angestellte synthetische Wachstumsfaktoren zugefügt. Um dies hinzubekommen, war ein extrem großer Aufwand nötig.

bild der wissenschaft: Welche Gründe bewegen jemanden dazu, so zu handeln?

Schell: Ich weiß es nicht. Ich konnte mit ihr auch nicht darüber sprechen. Sie hat sich unmittelbar nach den Beschuldigungen krank gemeldet und ist auch telefonisch nicht zu erreichen.

bild der wissenschaft: Was wurde aus dem Laborleiter?

Schell: Der wäre beinahe Professor geworden. Nun hat er als Wissenschaftler in Deutschland keine Möglichkeiten mehr. Ich hoffe, daß er in der Industrie eine Chance bekommt. Dazu muß er einsehen, seine Aufsichtspflicht verletzt zu haben: Einwände anderer Wissenschaftler, die die Versuche nicht wiederholen konnten, hat er vom Tisch gefegt.

bild der wissenschaft: Nachdem Ihnen die Manipulationen bekannt geworden sind, informierten Sie sofort die Max-Planck-Gesellschaft und Kollegen.

Schell: Das Schlimmste, was in der Wissenschaft passieren kann, ist, daß man mit verfälschten Daten arbeitet. Und wir mußten feststellen, in manchen Arbeiten seit 1992 verfälschte Daten publiziert zu haben. Mir blieb nur ein Weg: Sofort auf den möglichen Schaden für die Wissenschaft hinzuweisen. Inzwischen haben wir auch in zwei Publikationen angezeigt, daß bestimmte Ergebnisse nicht stimmen. Und in der Fachzeitschrift “The Plant Journal” werden wir in einem Editorial unsere Fehler nennen.

bild der wissenschaft: Wissen Sie mittlerweile über das gesamte Ausmaß der Fälschungen Bescheid?

Schell: Wir wissen, daß unsere Daten über Protoplasten nicht stimmen. Ob andere Arbeiten gefälschte Daten enthalten, wissen wir noch nicht. Natürlich richtet sich der Verdacht auf alle, bei denen die Laborantin mitgewirkt hat.

bild der wissenschaft: Heißt das, daß alle Versuche, bei denen sie mitwirkte, wiederholt werden müssen?

Schell: Gott sei Dank war sie nur in zwei Programme eingebunden: das über die Protoplasten und ein zweites, bei dem die Aktivität von Genen über sogenannte Reportergene gemessen wurde. Leider haben wir auch hier Anhaltspunkte für Fälschungen.

bild der wissenschaft: Wie viele Originalpublikationen werden Sie aufgrund der Manipulationen zurückziehen müssen?

Schell: Elf.

bild der wissenschaft: Wie reagierte die Wissenschaftlergemeinde auf Ihre Eingeständnisse?

Schell: Viele Kollegen haben mir anteilnehmend geschrieben.

bild der wissenschaft: Ist Ihr bisher makelloser Ruf nicht beschädigt?

Schell: Sicherlich hat mir das den Spaß an meinem wissenschaftlichen Beruf etwas genommen. Als ich im Dezember 1997 die Mitteilung erhielt, daß mir zusammen mit Marc Van Montagu der mit 50 Millionen Yen dotierte Preis der japanischen Stiftung für Wissenschaft und Technologie verliehen wird, habe ich mich natürlich sehr gefreut. Aber als mir dann im April der Preis überreicht wurde, wollte bei mir keine Freude mehr aufkommen. Um auf Ihre Frage aber direkt einzugehen: Ich hoffe sogar, daß mein Ruf nicht mehr so ist, wie er war.

bild der wissenschaft: Sie hoffen, einen ramponierten Ruf zu haben?

Schell: Weil ich die Wissenschaft sehr ernst nehme. Ich will, daß man meine Arbeiten deshalb publiziert, weil sie für gut befunden werden und nicht deshalb, weil man sagt, die müssen wir veröffentlichen, weil Jozef Schell ein bekannter Forscher ist. Ich begrüße es daher, wenn man meine Artikel künftig besonders kritisch durchschaut, ehe sie veröffentlicht werden.

bild der wissenschaft: Sind Artikel mit einem renommierten Autor leichter unterzubringen?

Schell: Mir wäre es am liebsten, wenn der Name keine Rolle spielen würde. Aber ich fürchte, daß ein bekannter Name doch etwas bewirkt. Die Begutachtung von Manuskripten durch angesehene Experten, die über die Aufnahme eines Beitrags in eine renommierte Fachzeitschrift zu entscheiden haben, ist schließlich auch zum Teil subjektiv.

bild der wissenschaft: Setzt man seinen guten Namen schon mal auf eine Publikation bei der man persönlich nicht mitgewirkt hat?

Schell: Mein Name erscheint nur auf Manuskripten, an denen ich intensiv mitgearbeitet habe.

bild der wissenschaft: Sie würden sich weigern, eine Autorenschaft nur aus dieser oder jener Gefälligkeit anzunehmen?

Schell: So ist es.

bild der wissenschaft: Offenbar gibt es Wissenschaftler, die da nicht zimperlich sind.

Schell: Ich weiß es nicht. Jeder Wissenschaftler ist für sein Verhalten selbst verantwortlich.

bild der wissenschaft: Gilt bei Publikationen heute: Quantität rangiert vor Qualität?

Schell: Generell gilt das sicher nicht. Andererseits wäre es besser, wenn insgesamt weniger publiziert würde. In der Realität ist das nicht so einfach zu erreichen, weil eine wissenschaftliche Karriere von der Qualität wie von der Quantität der Publikationen abhängt.

bild der wissenschaft: Im deutschen Wissenschaftsbetrieb wurden innerhalb eines Jahres zwei bemerkenswerte Betrugsfälle aktenkundig: Neben dem Ihnen bestens vertrauten Vorfall fälschten die Professoren Joachim Herrmann und Marion Bracht offenbar eine ganze Liste von Publikationen. Ist zu befürchten, daß diese Fälle nur die Spitze des Eisbergs sind?

Schell: Der Druck auf die Wissenschaftler, rasch interessante Ergebnisse zu publizieren, ist in den vergangenen Jahren sicherlich größer geworden. Man muß daher heute wachsamer sein als früher, wenn man überraschende Ergebnisse zu lesen bekommt.

bild der wissenschaft: Waren Wissenschaftler früher vielleicht auch geneigter, aufgeflogene Fälschungen unter den Teppich zu kehren?

Schell: Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich glaube nicht, daß man einen Autoren schützen kann, wenn sich herausstellt, daß er gefälscht hat.

bild der wissenschaft: Die internationale Wissenschaft lernt gerne von dem, was in den USA gebräuchlich ist. Dort hat man schon vor Jahren das “Office of Research Integrity” eingerichtet, das bei Fälschungsverdacht aktiv wird. Ist das ein Modell für Europa, für Deutschland?

Schell: Es kann keine hundertprozentige Sicherheit geben. Wir werden damit leben müssen, daß es in der Wissenschaft vereinzelt schwarze Schafe gibt. Wichtig ist, daß die wissenschaftliche Gemeinde ein kritisches Auge hat. Schon das führt dazu, daß betrügerische Forschungsresultate eine Seltenheit bleiben, weil der betreffende Wissenschaftler davon ausgehen muß, daß er mittel- oder langfristig eben doch auffliegt.

bild der wissenschaft: Was sonst müßte noch getan werden, um Wissenschaft und Öffentlichkeit vor betrügerischen Forschern zu schützen?

Schell: Das jetzige System der Begutachtung ist im Prinzip richtig. Es ist ja längst guter wissenschaftlicher Brauch, nur Ergebnisse zu veröffentlichen, die sich wiederholen lassen und kontrollierbar sind. Aufgrund zweier Ausnahmen nun völlig neue Regeln aufzustellen, finde ich nicht richtig. Wichtig ist, daß fälschende Wissenschaftler für ihr Tun hart bestraft werden, und das ist ja in beiden Fällen erfolgt.

bild der wissenschaft: Selbst wenige Betrugsfälle reichen, um das Ansehen der Wissenschaft in der Öffentlichkeit nachhaltig zu schädigen.

Schell: Da denke ich anders. Meine Beobachtung ist, daß die Bevölkerung an Vorkommnissen in der Wissenschaft viel weniger Anstoß nimmt als an technologischen Problemen – etwa am Unglück von Tschernobyl oder an der Rheinverschmutzung durch Sandoz.

bild der wissenschaft: In zwei Jahren werden Sie in Pension gehen. Sagen Sie damit der Wissenschaft adieu?

Schell: Nein – aber ich werde nur noch dort wissenschaftlich arbeiten, wo mir der Sinn danach ist. So bin ich davon überzeugt, daß Bakterien fremde DNA nicht nur in Pflanzen, sondern auch in Tiere einschleusen können. Das möchte ich gerne weiter untersuchen.

bild der wissenschaft: Wann übergeben Sie dieses repräsentative Zimmer Ihrem Nachfolger?

Schell: Zunächst einmal wird es einen Nachfolger im direkten Sinne nicht geben, da die Forschungsschwerpunkte des nächsten Direktors mit Sicherheit etwas anders aussehen werden als meine. Sodann prüft die Max-Planck-Gesellschaft sehr genau, ehe sie jemanden auf einen Direktorposten beruft. Das heißt: Den neuen Abteilungsdirektor werde ich zu meiner berufsaktiven Zeit nicht mehr erleben.

Prof. Jozef Schell (Jahrgang 1935) gehört zu den angesehensten Pflanzenzüchtungsforschern weltweit. Die extakte Zahl der Auszeichnungen, die der gebürtige Belgier erhalten hat, ist kaum zu fassen. Erst im April erhielt er zusammen mit seinem früheren Kollegen Marc Van Montagu den mit 50 Millionen Yen (gut 600000 DM) dotierten Preis der japanischen Stiftung für Wissenschaft und Technologie. Kurz davor mußte Schell indes einen schweren Rückschlag einstecken: An der von ihm seit 1978 geleiteten Abteilung des Max-Planck-Instituts für Züchtungsforschung in Köln flog eine Technische Angestellte auf, die seit Jahren Untersuchungsergebnisse gefälscht hatte. Sie und ihr Laborleiter wurden unmittelbar nach dem Bekanntwerden vom Dienst suspendiert. Schell dagegen wurde von einer Untersuchungskommission der Max-Planck-Gesellschaft von jeglichem Fehlverhalten freigesprochen.

Wolfgang Hess

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