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Bodenminen lassen Kassen klingeln

Allgemein

Bodenminen lassen Kassen klingeln
Neue Sensoren sollen das gefährliche Stochern im Boden ersetzen. Die EU fördert ein neues Minenerkennungsgerät in diesem Jahr mit 30 Millionen Mark – verpulvertes Geld, meinen Kritiker.

In über 60 Ländern rund um den Globus lauern Landminen im Boden. Sie töten und verstümmeln jährlich 30000 Männer, Frauen und Kinder. Überdies hemmen sie die wirtschaft-liche Entwicklung: Wo Sprengsätze vermutet werden, traut sich niemand zu pflügen oder zu bauen. Zwar sind überall auf der Welt Minenräumkommandos unterwegs, doch die Arbeit ist mühsam. Auf den Knien rutschen die Mannschaften vorwärts und durchstochern Zentimeter für Zentimeter die Erde. Neben dem Peilstab ist ein Metalldetektor oft die einzige Hilfe. Das soll nun anders werden: Die Europäische Union startete im Januar ein auf mehrere Jahre angelegtes Programm, um Minensuchgeräte zu entwickeln. Allein 1998 stehen 30 Millionen Mark dafür bereit.

Ein Industriekonsortium soll ein Gerät aus verschiedenen Sensoren zusammenbauen – denn kein Apparatetyp allein kann alle Minen aufstöbern.

Moderne Metalldetektoren sind so empfindlich, daß sie auf weniger als ein Gramm Metall ansprechen – und damit auch auf Plastikminen, die fast immer Spuren von Metall enthalten. Die Geräte erzeugen ein wechselndes Magnetfeld. Dieses induziert in leitenden Materialien Strom, der seinerseits ein Magnetfeld aufbaut, das die Detektoren registrieren. Die hochsensiblen Instrumente können aber den Strom, der in den Metallteilen einer Mine fließt, nicht von dem in anderen Leitern, wie etwa von Granatsplittern im Boden, unterscheiden. Auch eisenhaltige Erde, wie sie etwa in Mosambik oder Kambodscha vorkommt, kann die Detektoren zum Anschlag bringen. „Pro gefundener Mine gibt es oft Tausende von Fehlalarmen, manchmal sogar Hunderttausende“, berichtet Alois Sieber von der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission im italienischen Ispra, die das Konsortium unterstützen soll. Das macht die Suche langwierig – und gefährlich. Wenn der Detektor dauernd piept, nimmt ihn bald keiner mehr ernst. Wehe, wenn es dann eine Mine war.

Im EU-Projekt soll daher ein Metalldetektor mit einem Infrarot- und einem Radargerät kombiniert werden. „Nur alle drei Instrumente zusammen finden zuverlässig alle Minen“, ist Sieber überzeugt. Um Störungen zu vermeiden, müssen die Sensoren voneinander abgeschirmt werden. Metalldetektoren funktionieren am besten, wenn in ihrer direkten Umgebung weder Metall noch Elektrizität zu finden sind.

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Sieber und seine Mitarbeiter basteln zur Zeit an einer Datenbank, die die speziellen Muster der verschiedenen Minen bei Radar-, Infrarot- und Metalldetektion auflistet. Dabei spielen Bodenunterschiede eine große Rolle. Bei Sand, Lehm oder Fels sehen die Signaturen der Sprengsätze anders aus. Wesentlich sind auch Vegetation, Feuchtigkeit und die Rauhheit der Erdoberfläche.

Die Datenbank soll in das Minenerkennungssystem integriert werden. Statt nur zu piepen wie die heutigen Metalldetektoren, könnte das Gerät dann melden, was es gefunden hat: Etwa „Panzermine“, „kleine Plastik-Mine“ oder „großer Stein“.

Die Temperatur der Sprengkörper unterscheidet sich von ihrer Umgebung. Die Temperaturdifferenz ist dabei abhängig von der Art des Bodens und der Landmine sowie der Tageszeit. Mit Infrarotsensoren, die die Wärmeabstrahlung des Grundes bis auf ein Zehntel Grad genau messen, läßt sich die teuflische Saat aufspüren – allerdings nur, wenn sie lediglich von einer dünnen Schicht Erde bedeckt ist. Das kommt durchaus vor – etwa bei Minen, die maschinell oder vom Flugzeug aus verlegt wurden. Überdies sollte der Erdboden homogen sein. Denn große Steine oder andere Einschlüsse sind nur schwer von der tödlichen Fracht zu unterscheiden.

In einer haushohen Meßkammer testen die Wissenschaftler der EU-Forschungsstelle Radargeräte, die Mikrowellen von der Decke auf einen mit Erde gefüllten Kübel von der Größe eines Sandkastens richten. In ihn sind Modelle von Landminen eingegraben. Bei ihren Versuchen fanden die Wissenschaftler nach eigenen Angaben alle Minen, die nicht tiefer als 20 Zentimeter verbuddelt waren. Auch der Minentyp ließ sich so angeblich bestimmen, da jeder Typ die Strahlung etwas anders reflektiert.

Das erste Gerät, das drei Instrumente vereint und im EU-Projekt entwickelt wurde, soll Mitte nächsten Jahres zum Einsatz kommen. „Nur geschultes Fachpersonal wird es hand- haben können“, sagt Sieber. Eine noch zu gründende Agentur könne Apparat und Bediener ausleihen. Heute verdienen viele Einheimische in armen Ländern ihr tägliches Brot mit dem Räumen von Minen. Doch Sieber sieht sich nicht als Jobkiller: „Die Minensuche ist kein Beschäftigungsprogramm.“ Das gesparte Geld könne gezielt in die wirtschaftliche Entwicklung gesteckt werden.

In frühestens drei Jahren soll dem tragbaren Gerät ein System folgen, das auf einem gepanzerten Fahrzeug montiert ist. Die Sensoren sind dabei auf einem Ausleger installiert, den der Wagen vor sich herschiebt. Zumindest der Metalldetektor macht da noch Probleme. Die Instrumente müssen im Abstand von zwei bis drei Zentimetern über den Boden geführt werden, um auf Minen mit geringem Metallanteil anzusprechen. Vom Auto aus ist das kaum zu schaffen, denn unter Minenverdacht stehende Flächen sind nur selten so glatt und eben wie eine Autobahn.

In Fachkreisen ist das EUProjekt umstritten. Das Kombi-Gerät soll mit Radar arbeiten, was die Kritik von Theodor Steinbüchl vom Metalldetektorenhersteller Ebinger in Köln herausfordert: „Bei feuchter Erde bringen Radargeräte kaum etwas.“ Zudem würden Reflexionen der Mikrowellen an der Erdoberfläche die Messungen stören.

Das russische Militär habe versucht, einen Minensuchapparat mit Bodenradar zu basteln, berichtet Steinbüchel. Für die relativ kleinen „Anti-Personen-Minen“ habe man das Vorhaben wieder aufgegeben und dafür ein Gerät zur Ortung großer Panzerminen konstruiert. Um die geht es bei der humanitären Minenräumung jedoch nur am Rande.

„Man kann nichts im Labor austüfteln, was im Feld funktionieren soll“, meint Hendrik Ehlers von der Krefelder Stiftung „Menschen gegen Minen“, der zur Zeit in Angola die tödliche Fracht aus dem Boden holt. Das Projekt der Europäischen Union verpulvere nur die Gelder, die humanitäre Minenräumer dringend bräuchten.

„Die Europäische Kommis- sion hat die Größten aus der Wehrwirtschaft genommen und paritätisch die Gelder verteilt“, schimpft Steinbüchel. In der Tat sind Konzerne der Rüstungsindustrie wie Bofors aus Schweden oder Thomson aus Frankreich federführend beteiligt.

Thomson stellt sogar selbst Minen her – allerdings keine Anti-Personen-Minen, wie sie in Bosnien, Mosambik oder Kambodscha Schrecken verbreiten, sondern High-Tech-Panzerabwehrwaffen. Kritiker wie Thomas Küchenmeister vom Berliner Zentrum für Transatlantische Sicherheit bemängeln, daß die EU ausgerechnet einer Firma, die selbst Tötungsautomaten produziert, die Entwicklung eines Minensuchgerätes finanziert. Ein gutes Minensuchgerät wäre nicht nur ein Segen für die betroffenen Länder, sondern auch für die Kassen des Herstellers.

Wolfgang Blum

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