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Das neue Spiel des Lebens

Allgemein

Das neue Spiel des Lebens
Ein paar Forscher begnügen sich nicht mehr damit, die Geheimnisse des Lebens zu entschlüsseln. Sie wollen von Grund auf völlig neue Wesen erschaffen.

Wenn der Memminger Christoph Meckes mit seiner Familie dieses Jahr Weihnachten feiert, denkt er gewiß an das Fest vor 25 Jahren. Denn zu Weihnachten 1975 hatte sich abgezeichnet, daß er weiterleben würde. Die Grundlage dafür hatten Ärzte Monate zuvor mit der ersten erfolgreichen Knochenmark-Transplantation in Deutschland geschaffen.

Christoph Meckes war acht Jahre alt, als seinen Eltern auffiel, daß er stets blaß, müde und schlapp war. Zunächst nahm das niemand besonders ernst. „Erst als ich bei jeder Gelegenheit blaue Flecken bekam, ging meine Mutter mit mir zum Arzt”, erinnert sich der heute 33jährige. Eine gründliche Untersuchung ergab eine niederschmetternde Diagnose, die die Eltern vor dem Jungen geheimhielten: Christoph hatte aplastische Anämie und müßte bald sterben. Ursache war, daß die Stammzellen seines Knochenmarks zu wenige Blutzellen produzierten.

Die Ärzte sahen keine Möglichkeit, dem kleinen Christoph zu helfen. Nach einer Phase der „therapeutischen Verzweiflung” – so steht es in der Krankenakte – geriet die Familie durch einen Glücksfall an Prof. Hans-Jochen Kolb in München. Der war soeben aus Seattle zurückgekehrt und hatte dort eine neuartige Behandlungsmethode für solche Krankheiten kennengelernt – die Transplantation von Knochenmark. „Prof. Kolb entschloß sich, mir gesundes Knochenmark meines ältesten Bruders Ulrich zu übertragen” , erzählt der Pionier-Patient. „Und er hatte Erfolg. Nach fast einem Jahr im Krankenhaus wurde ich als praktisch geheilt entlassen.” Inzwischen hat Kolb, heute Oberarzt am Klinikum Großhadern der Universität München und Leiter einer Kooperationsgruppe mit dem Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit in Neuherberg, weit über 1000 Knochenmark-Transplantationen vorgenommen – vor allem an Leukämie-Patienten. „Früher ging es darum, das kranke Knochenmark beispielsweise durch Bestrahlung zu zerstören und anschließend durch gesundes Spendermark zu ersetzen”, sagt er. „Jetzt sind wir so weit, daß wir durch die Knochenmark-Transplantation die Leukämie selbst erfolgreich bekämpfen können.” Heute weiß man, daß die Methode nicht nur gegen Blutkrebs, sondern auch gegen andere Arten von Krebs hilft. „Allerdings müssen wir noch immer viele Fragen klären”, sagt Kolb. „Dazu ist die Zusammenarbeit von Forschern aus den verschiedensten Disziplinen nötig. Und das ist schwer zu organisieren. Trotz aller Bemühungen fehlen immer noch Einrichtungen für die klinische Forschung und Geld.”

Wenigstens fehlt es nicht an Spendern. Die Hilfsbereitschaft ist groß, auch weil die Übertragung einfacher geworden ist: Während man vor 25 Jahren den Hüftknochen des Spenders anbohren mußte, um Knochenmark zu entnehmen, überträgt man heute Stammzellen direkt aus dessen Blut. Außerdem werden die Ärzte nun besser mit dem Immunangriff fertig, den die transplantierten Zellen häufig gegen den Körper des Empfängers entwickeln. „ Schließlich überträgt man ja nicht nur Knochenmark”, so Kolb, „ sondern ein ganzes Immunsystem auf einen anderen Menschen.”

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Bei Meckes hat dies damals zu Komplikationen geführt. Er bekam eine Lungenentzündung, dann Ausschlag, Gelbsucht, ein Magengeschwür – alles Reaktionen des Transplantats gegen den Patienten. Sein Optimismus und das Engagement seiner Familie haben ihm über die harte Zeit hinweggeholfen. Die schwere Erkrankung ist für den heute kerngesunden 33jährigen – Vater eines ebenso gesunden Sohnes – nur noch eine ferne Kindheitserinnerung. Dennoch weiß er sein Glück zu schätzen: „Ich lebe sehr bewußt und glaube, daß das Zusammentreffen so vieler günstiger Umstände kein Zufall, sondern eine Fügung Gottes war.”

Kompakt Biologische Zellen können mit weit weniger Erbsubstanz leben als bisher gedacht. Solch eine Minimalausstattung an Genen ließe sich eventuell komplett mit DNA-Synthesemaschinen im Labor herstellen… … und in Zellen einsetzen, denen man zuvor die natürliche Erbsubstanz entnommen hat. Resultat: künstliche Lebewesen.

DER FRANKENSTEIN-mythos Ein Forscher erschafft aus Leichenteilen ein Lebewesen. Es entpuppt sich als Monster, das schließlich seinen eigenen Schöpfer und zum Glück auch sich selbst vernichtet. Nach diesem Schema wurden zahlreiche weitere Geschichten gestrickt: Seit 1831 Mary Shelleys Roman „ Frankenstein”

erschien, haben über 140 Romane und 100 Filme die Story wiedererzählt. Aus Totem Lebendiges zeugen – diesem populären Mythos jagen auch Wissenschaftler seit langem hinterher. Zu Anfang des 20. Jahrhunderts experimentierte beispielsweise der Amerikaner Jacques Loeb mit Seeigel-Eiern, die sich – obwohl unbefruchtet – teilten. Die Tageszeitung „Daily Telegraph” lobte 1912 Loebs „bewundernswerten Bericht über die Fortschritte in der Konstruktion der komplexen chemischen Kombination, die wir ,belebt‘ nennen”. Mitte unseres Jahrhunderts ließen die Experimente von Stanley Miller den Frankenstein-Mythos erneut aufleben. Miller hatte 1953 die „Ursuppe” simuliert, aus der vor Milliarden von Jahren irdisches Leben entstand, und zu seiner eigenen Überraschung darin Spuren von Aminosäuren – den Eiweißbausteinen – erzeugt. Damals galt Eiweiß als Grundsubstanz des Lebens. So lag die Vermutung nahe, daß „wir eines Tages in der Lage sein sollten, einen lebenden Organismus zu konstruieren” , spekulierte der spätere Nobelpreis-träger George Wald über Millers Experiment.

Fast 50 Jahre später, in der DNA-Ära von heute, prophezeien amerikanische Wissenschaftler, daß die Zeugung von künstlichem Leben in den nächsten zehn Jahren zu erwarten sei (siehe nebenstehenden Beitrag) – der Mythos ist ungebrochen.

„Manche Religiösen Überzeugungen Würden Fallen”

Dr. Arthur Caplan ist Direktor des „Center for Bioethics” der University of Pennsylvania. Er war Mitglied einer Kommission, die die ethischen Implikationen von künstlichem Leben untersuchte. Ihr Abschlußbericht erschien 1999, gleichzeitig mit Hutchisons Artikel über seine Experimente, im Fachblatt „Science”.

bdw: Ist es ethisch vertretbar, künstliches Leben zu schaffen?

CAPLAN:Metaphysisch ist es durchaus vertretbar. Schließlich modifizieren wir ohnehin schon heute Genome. Ein künstlicher Organismus wäre für die Wissenschaft sicher eine wertvolle Sache. Die Frage ist: Zu welchem Zweck machen wir es, und werden die daraus entstehenden Vorteile für jeden zugänglich sein?

bdw: Werden diese Forschungsarbeiten kontrolliert?

CAPLAN:Nein. Wir müssen sicherstellen, daß künstliches Leben unter strengen Sicherheitsvorkehrungen entsteht, damit sich niemand ängstigen muß, daß künstliche Organismen in die Umwelt entkommen. Ich selbst bin in diesem Punkt nicht sehr besorgt, aber es scheint die Hauptsorge von vielen zu sein. Ich hatte gehofft, daß unser Artikel in „Science” eine öffentliche Debatte anstoßen würde. Das hat er bisher leider nicht getan.

bdw: Manche glauben, daß künstliches Leben das Ende der Religion wäre. Sie auch?

CAPLAN:Auf keinen Fall. Könnte Wissenschaft die Religion vernichten, hätte sie das bereits vor Jahrhunderten getan. Manche religiöse Überzeugung würde sicher fallen, etwa, daß das Leben einzigartig ist und wir es nicht selber schaffen können. Aber die Religion an sich hat Newton, Freud und Darwin überlebt. Ich vermute, sie wird auch eine künstliche Mikrobe überleben.

Ute Eberle

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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Py|thon|schlan|ge  〈f. 19; Zool.〉 Angehörige einer Unterfamilie eierlegender Riesenschlangen: Pythonidae [nach dem von Apollo getöteten Ungeheuer der grch. Sage]

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