Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Rendezvous mit Eros

Allgemein

Rendezvous mit Eros
Erstmals umkreist eine Erdsonde einen Planetoiden und erforscht ihn aus nächster Nähe. Der Erfolg: ein grandioser Einblick in die Urzeit unseres Sonnensystems.

Valentinstag: Welcher Zeitpunkt wäre besser geeignet für eine intime Begegnung zweier Reisender, die füreinander bestimmt sind? Doch manchmal führt erst ein langer Umweg ans Ziel und das Warten lohnt sich – insbesondere, wenn Eros, der griechische Liebesgott, in der Ferne lockt. „Nahe hin zu Eros” – dieses Motto trägt ein bis dato einzigartiges Raumfahrt-Unternehmen schon im Namen: NEAR (Near Earth Asteroid Rendezvous). Ziel seiner Begierde ist der Planetoid Eros, und am 14. Februar 2000 hat der Tanz um diesen begonnen.

Fast wäre das kosmische Rendezvous mißglückt, das ursprünglich schon für den 10. Januar 1999 verabredet war. Aber nach einer dreijährigen Anreise verlor NEAR, so schien es, am 20. Dezember 1998 um 23 Uhr den Mut: Noch 242000 Kilometer von seinem Ziel entfernt, mißlang ein geplantes 24minütiges Steuermanöver schon nach wenigen Sekunden. Die programmierte Toleranz für die Schubkraft des Triebwerks war zu empfindlich eingestellt, so daß es sich automatisch abschaltete. Und dann geschah, was sich vor lauter Nervosität auch vor manchem irdischen Rendezvous ereignet: Ein Versehen jagt das andere, und schließlich gerät alles unkontrollierbar aus der Bahn. Ebenso bei NEAR: Fälschlicherweise aktivierte sich eine Düse zur Lageregelung – die Sonde geriet ins Taumeln. Der Funkverkehr zur Erde riß ab – 27 Stunden lang. Die Flugkontrolleure wollten schon aufgeben. Da empfing das Deep Space Network der amerikanischen Weltraumbehörde NASA ein schwaches Signal. „Das waren die längsten 27 Stunden meines Lebens”, erinnert sich Tom Coughlin, der NEAR-Projektmanager, noch heute mit flatternder Stimme.

Fieberhaft arbeiteten die Kontrolleure an einem Notfallprogramm und funkten elf Stunden lang neue Anweisungen zu der Sonde. Ihr ursprünglicher Kurs war nicht mehr zu retten. Doch wer hartnäckig ist, kommt auch anders zum Ziel. So wurde, was als prickelndes Rendezvous geplant war, zunächst nur eine flüchtige, ferne Begegnung – NEAR raste in 3827 Kilometer an Eros vorbei, erhaschte aber immerhin einen vielversprechenden ersten Eindruck. Das weitere Schicksal war vorgezeichnet. Eine langgestreckte Kurve brachte die Sonde zurück zu dem Planetoiden. Für das neuerliche Treffen hätte gar kein mehr Erfolg versprechender Termin gewählt werden können als der nach dem heiligen Märtyrer und römischen Bischof Valentin benannte Tag der Liebe und Freundschaft, der 14. Februar 2000. Und dieses Mal war es mehr als nur ein flüchtiger Blick.

NEAR ist die erste Sonde, die in einen Orbit um einen Planetoiden gelangt ist. „Eine Pionierleistung in der Raumfahrt”, freut sich Robert Farquhar, Missionsdirektor am Applied Physics Laboratory (APL) der Johns Hopkins University in Laurel, US-Bundesstaat Maryland. Dort ist NEAR innerhalb von nur 26 Monaten entworfen und gebaut worden. Und von dort aus wird auch die gesamte Mission gesteuert und ausgewertet – ein Novum in der Geschichte der NASA, die sonst alle ihre Raumfahrt-Aktivitäten von eigenen Instituten aus betreibt.

Anzeige

Am 14. März 2000 wurde die knapp zwei Meter große, 805 Kilogramm schwere, einschließlich Start und Datenauswertung 224,1 Millionen Dollar teure Sonde in NEAR Shoemaker umgetauft – zu Ehren des 1997 tödlich verunglückten US-Geologen, Mond- und Planetoidenforschers Eugene Shoemaker. Erstmals wird ein Planetoid im Detail inspiziert. Diese intime Erkundung ist nur von einer Umlaufbahn aus möglich. Zwölf Monate wurden NEAR dafür gewährt. In dieser Zeit vermißt die Sonde den Planetoiden aus Distanzen zwischen 350 und lediglich 6 Kilometern von allen Seiten aus genauestens. Inzwischen hat NEAR bereits Tausende Bilder und Millionen Meßdaten zur Erde gefunkt, die die Wissenschaftler noch über Jahre hinaus beschäftigen werden. Viele wichtige Erkenntnisse gibt es bereits:

Mit 34 Kilometer Länge und maximal 11 Kilometer Breite und Höhe gehört Eros zu den unregelmäßigsten Körpern im Sonnensystem. Seine Form erinnert an eine kurze, gekrümmte Banane. Besonders auffällig sind zwei gewaltige Einschlagsspuren: ein 5,5 Kilometer großer und 900 Meter tiefer Krater und eine 10 Kilometer lange sattelförmige Senke. „Psyche”, wie der Krater nach der antiken Sagengestalt und Liebhaberin getauft wurde, ist das Relikt einer Kollision mit einem 300 Meter großen Meteoriten. Falls der Sattel, nach Aphrodites Jünger „Himeros” benannt, der antiken Personifikation des geschlechtlichen Verlangens, auf einen einzigen Einschlag zurückgeht, muß dieser Meteorit 500 Meter groß gewesen sein. Material mit einem Volumen von 70 Kubikkilometern wurde dabei ins All geschleudert. Über 900 weitere Krater hat NEAR entdeckt, die ihre Namen nach großen Liebhabern in der Geschichte und Literatur erhalten sollen – wie Cupido, Lolita und Don Quichotte.

Eros’ Oberfläche ist auch sonst schwer malträtiert. Überall gibt es Krater, Scharten, Gräben, Rinnen und Zerklüftungen. Sogar viereckige Krater hat NEAR fotografiert. „Das sind nicht nur kuriose Novitäten”, meint Andrew Cheng vom APL. „Sie sind ein Indiz dafür, daß Eros stark zerfurcht ist. Auch auf der Erde gibt es ein paar Krater mit eckigen Rändern, beispielsweise den Barringer-Krater in Arizona. Sie kommen nur in Gebieten mit zerklüftetem Untergrund vor.”

Die vielen parallelen Gräben und die bis zu zwei Kilometer langen und 200 Meter breiten Scharten deuten auf einen schichtartigen Aufbau von Eros hin, ähnlich wie bei Sperrholz. Krater mit mehr als zwei Kilometer Durchmesser sind überraschend selten – nur ein Zehntel so häufig wie bei anderen Planetoiden. NEARs Kamera hat auch zahlreiche, bis zu 100 Meter große Geröllbrocken fotografiert, die aus dem Staub von zermahlenem Gestein herausragen, das Eros vollständig bedeckt. Das Geröll ist nicht gleichmäßig über der Oberfläche verteilt. Die Wissenschaftler vermuten, daß die Trümmer von einem Einschlag stammen, wahrscheinlich von Psyche. Doch weshalb wurden sie nicht ins All gefegt? Immerhin ist Eros’ Schwerkraft so gering, daß ein Mensch niemals zurückkehren würde, wenn er von dort ins All spränge.

„Vielleicht sind die Einschlagstrümmer in ähnliche Bahnen wie Eros geraten und von diesem im Lauf der Zeit wieder eingefangen worden”, spekuliert Joseph Veverka von der Cornell University in Ithaka, New York. „Oder sie haben aus irgendwelchen Gründen nicht die erforderliche Fluchtgeschwindigkeit erreicht. Beides klingt bizarr. Wir verstehen es nicht”, gibt der NEAR-Chefwissenschaftler zu. Auch andere Beobachtungen werfen Fragen auf: „Im Gegensatz zu unserem Mond mit seinen vielen kleinen Kratern und wenig Trümmerbrocken ist es auf Eros gerade umgekehrt: Bei Maßstäben von der Größe eines Autos sehen wir viele Trümmer und wenige Krater.” Dies zeigt, so Veverka, daß die Wissenschaftler noch vieles lernen müssen über die Kollisionen kleiner Körper mit geringer Schwerkraft und vergleichsweise niedriger Geschwindigkeit (fünf Meter pro Sekunde im Gegensatz zu Meteoriteneinschlägen auf den großen Planeten, die drei- bis viermal schneller erfolgen).

Dafür konnte NEAR zwei andere Geheimnisse lüften, über die seit Jahren gestritten wird: Eros’ Aufbau und seine Verwandtschaft mit bestimmten Meteoriten, die auf der Erde gefunden wurden. Nach seiner Farbe und seinem Lichtreflexionsvermögen gehört Eros zur sogenannten S-Klasse der Planetoiden, die im inneren Planetoidengürtel zwischen Mars und Jupiter häufig sind. Seit langem debattieren die Forscher darüber, ob die Mitglieder der S-Klasse einen differenzierten Aufbau haben oder nicht. Differenziert heißt, daß sie einst geschmolzen waren, so daß sich ihr Eisen und Nickel wie bei den erdähnlichen Planeten zu einem zentralen Kern verdichtet hat, der von einem Mantel und einer Kruste aus Gestein umgeben ist. Manche Planetoiden wie Vesta und 1986DA sind differenziert, andere dagegen nicht, beispielsweise Ceres, der mit 933 Kilometern Durchmesser der größte Kleinplanet im Sonnensystem ist. Hier durchziehen Eisen und Nickel als kleine Körner das gesamte Gestein oder sind chemisch mit anderen Elementen verbunden. Undifferenzierte Planetoiden haben also einen höheren Eisengehalt in der Kruste. Erstmals hat NEAR die Zusammensetzung eines Planetoiden mit der Röntgen- und Gammaspektroskopie bestimmt.

Hochenergetische Strahlung von Explosionen auf der Sonnenoberfläche kann das Gestein von Eros zu einer schwachen Röntgenfluoreszenz anregen, die ein für jedes Element charakteristisches Strahlungsmuster erzeugt. Aus solchen atomaren Fingerabdrücken konnte NEAR die Häufigkeit der Elemente Aluminium, Eisen, Kalium, Kalzium, Magnesium, Sauerstoff, Schwefel und Silizium auf der Eros-Oberfläche bestimmen. Ergebnis: Der Planetoid war nie geschmolzen, denn er ist nicht differenziert.

„Eros ist ein sehr ursprüngliches Objekt”, sagt Steven Squyres von der Cornell University. „Seit Eros von einem – ebenfalls undifferenzierten – Mutterkörper abgesprengt wurde, ist mit ihm nicht viel geschehen, von Meteoriteneinschlägen abgesehen. Wir blicken hier auf einen der Grundbausteine des Sonnensystems.” Der Leiter des Röntgenspektrometer-Teams, Jacob Trombka vom Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt, Maryland, bekräftigt diese Interpretation. „Die Analyse des Röntgenspektrums von Eros zeigt, daß der Planetoid eine elementare Zusammensetzung hat, die den primitivsten Steinen im Sonnensystem ähnelt, den Chondriten.” Das sind die häufigsten Meteoriten, die man auf der Erde findet. Sie bestehen aus einer homogenen Mischung von leichtem und schwereren Gesteinsmaterial und sind Relikte der Bausteine, aus denen sich die Erde und die anderen terrestrischen Planeten (Merkur, Venus, Mars) vor 4,6 Milliarden Jahren gebildet haben. „ Wir können jetzt Meteoriten nach denselben Element-Häufigkeiten durchmustern”, freut sich Squyres. „Vielleicht finden wir sogar einen Brocken, der von Eros oder dessen Mutterkörper abstammt.”

Für die Zukunft der Erde liefert NEAR ebenfalls wertvolle Beiträge, denn Eros gehört zu den Erdbahnkreuzern, die eines Tages mit unserem Planeten kollidieren können. Dann sind Abwehrmaßnahmen nötig, beispielsweise mit Nuklearwaffen auf Raketen, um die kosmische Bombe abzulenken (bild der wissenschaft 9/1998, „Krieg gegen die Sterne”). Zuvor wäre eine Inspektion vor Ort nötig.

Für solche Erkundungen hat NEAR Pionierarbeit geleistet. Bevor die Sonde zu Eros kam, flog sie in 1212 Kilometer Entfernung an dem Planetoiden 253 Mathilde vorbei (bild der wissenschaft 10/1997 „Rendezvous mit Mathilde”) und entdeckte, daß dieser aus porösem, locker zusammengelagertem Gestein besteht – ein kosmischer Schutthaufen. Eros ist zwar ebenfalls vielfach zerfurcht und zerbrochen, aber relativ kompakt. Darauf läßt seine doppelt so hohe Dichte schließen. Eros müßte im Fall eines drohenden Einschlags auf die Erde deshalb ganz anders als Mathilde bekämpft werden.

NEARs erotische Erkundung ist also nicht nur anatomische Grundlagenforschung, sondern auch eine fruchtbare Investition in die Zukunft. Und wie bei jedem geglückten Rendezvous wird es auch hier zu einem Happy-End kommen – wieder an einem Valentinstag. Am 14. Februar 2001 endet nämlich die NEAR-Mission mit einem kontrollierten Absturz, möglicherweise in den Krater Psyche. Kurz davor wird NEAR die schärfsten Aufnahmen vom Objekt seines Interesses zur Erde funken, und vielleicht sogar dessen magnetische Attraktion entdecken – für den Nachweis aus größerer Entfernung ist NEARs Magnetometer zu unsensibel. Dann kommt es zur Vereinigung des irdischen Boten mit dem erotischen Astralkörper. Der Schoß der Psyche lockt. Schon Johann Wolfgang Goethe hat gewußt: „Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan.”

Kompakt NEAR (Near Earth Asteroid Rendezvous) ist die erste Raumsonde, die einen Planetoiden, 433 Eros, aus einer engen Umlaufbahn ganz genau inspiziert. Am 14. Februar 2001 geht die Mission mit einem Sturzflug zu Ende. Eros ist ein bananenförmiger, 34 Kilometer langer, kraterübersäter und stark zerfurchter Gesteinsbrocken mit einer urtümlichen Zusammensetzung – ein Relikt aus der Frühzeit des Sonnensystems vor 4,6 Milliarden Jahren. Die Chondriten, der häufigste Meteoritentyp, sind mit Eros eng verwandt. Planetoiden wie Eros, die nahe an die Erdbahn gelangen, gefährden das Überleben der Menschheit. Bdw community LESEN Die ersten Forschungsergebnisse der NEAR-Mission sind publiziert in: Science, 2000, Bd. 289, Nr. 5487

Allgemeinverständlicher Bericht über Planetoiden und ihre Bedrohung für die Erde: Rüdiger Vaas DER TOD KAM AUS DEM ALL Franckh-Kosmos 1995, DM 29,80

INTERNET Die Homepage der NEAR-Mission: near.jhuapl.edu/

Viele weiterführende Infos: http://www.seds.org/nineplanets/nineplanets/asteroids.html

Rüdiger Vaas

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Dossiers
Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Sa|lo|mons|sie|gel  〈n. 13; Bot.〉 = Weißwurz

klein|wüch|sig  〈[–ks–] Adj.; Med.〉 an Kleinwuchs leidend

Quar|ter|deck  〈n. 15 od. n. 11; Mar.〉 hinteres Deck (des Schiffes) [<engl. quarter–deck … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige