„Ein Waldspaziergang kann gefährlich sein“, warnte Karl-Heinz Funke, Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten im Januar dieses Jahres. Orkan Lothar brachte nicht nur viele Menschen um ihren Neujahrs-Waldspaziergang, sondern manchen Forstwirt in existenzielle Nöte. Der Orkan, der am 26. Dezember 1999 in weiten Teilen Europas wütete, mähte in Frankreich und Deutschland ganze Wälder nieder. 30 Millionen Kubikmeter Holz wurden hierzulande von Lothar gefällt, davon allein in Baden-Württemberg 25 Millionen Kubikmeter, was dem dreifachen Jahreseinschlag entspricht.
Die Forstbesitzer reagierten vielerorts mit geschäftigem Aufräumen, um möglichst viel Sturmholz auf den Markt zu bringen und dem gefräßigen Borkenkäfer im Frühjahr zuvorzukommen. Rund 200 Holzerntemaschinen fällten Bäume, entasteten und zerschnitten sie. Hätten die verheerenden Schäden verhindert werden können? Experten machen mehrere Punkte für das Desaster verantwortlich: Die Wurzeltiefe: Die Fichte als flachwurzelnde Baumart ist besonders gefährdet. Weil sie weit verbreitet ist, fand der Sturm viel Angriffsfläche. Die Verdichtung des Waldbodens: Bäume können nicht so tief Wurzeln schlagen und werden deshalb leichter umgeworfen. „Es darf nicht zu einer weiteren Verdichtung der Böden durch schwere Forstmaschinen kommen“, warnt Dr. Michael Egidius Luthardt vom Naturschutzbund. Gleiche Baumarten und
Altersgruppen: Die Bäume sind alle gleich hoch und schwingen deshalb während eines Sturmes etwa gleich stark. Die Folge: Sie werden leichter aus dem Boden gerissen. Bestände mit unterschiedlich hohen Bäumen bilden dagegen verschiedene Stockwerke und schwingen unterschiedlich. Großflächige Nadelholzwälder, vor allem Monokulturen, sind also prädestiniert für Sturmschäden. Misch- und Laubwälder sind wesentlich robuster, auch weil Laubbäume mit großen, gleichmäßigen Kronen und tiefliegendem Schwerpunkt wesentlich stabiler sind. Baden-Württemberg, das heute einen Laubbaumanteil von 38 Prozent hat, strebt 50 Prozent an, Bayern mit seinen Gebirgslagen, die Nadelwald begünstigen, will den Anteil von 26 Prozent auf 38 Prozent erhöhen. Bewährt hat sich mittlerweile die naturnahe Waldbewirtschaftung. Wie sie funktioniert, hat ein Projekt im Nationalpark Bayerischer Wald gezeigt. Dort ließen die Forstwirte auf alten Bruchflächen das Sturmholz liegen, und die Natur bekam freien Lauf. Ergebnis: Neben Fichten wuchsen wieder Laubbäume.
Das Ministerium für Ländlichen Raum Baden-Württemberg kann sich nur teilweise mit dieser Methode anfreunden. Es plant, das Sturmholz zu entfernen und die eine Hälfte der Flächen neu zu bepflanzen. Nur auf manchen Flächen will man die umgeknickten Bäume liegen lassen. Naturnah betriebene Waldwirtschaft und ein höherer Laubbaumanteil sind bereits in den Waldbauprogrammen der Bundesländer enthalten. Lothar hat jedoch gezeigt, daß noch viel zu tun ist. Und der nächste Orkan kommt bestimmt.
Jutta Perkert