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Der Geist im Fernrohr

Technik|Digitales

Der Geist im Fernrohr

Der Anfang war so vielversprechend. „Bei einem Test 2003 in Heidelberg durften einige Schulklassen eine simulierte Zeitreise in die Vergangenheit machen”, berichtet Daniel Holweg vom Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD in Darmstadt. Die IGD-Forscher statteten die Kinder mit jeweils einem kleinen Computer und einer Datenbrille plus Kopfhörer aus. Die Brille war halbtransparent: Man sah durch sie die Umgebung während eines Rundgangs im Heidelberger Schlossgarten, ergänzt durch vom Computer erzeugte Bilder. Die moderne Gartenarchitektur verwandelte sich so plötzlich in eine mittelalterliche Szenerie und aus Mauerresten wuchsen komplette historische Gebäude. Animierte Geister – nach denen die Wissenschaftler ihr Projekt auf den Namen „Geist” getauft hatten – spukten durch die Datenbrillen und gaben den Schülern Rätselaufgaben auf. Durch GPS ermittelte das System ständig die Position der Schüler, und die Software generierte das passende virtuelle Bild. Kinder und Pädagogen waren begeistert.

„Mit solchen innovativen Informationssystemen wird bald nicht nur die Städtetour, sondern auch der Geschichtsunterricht zum Erlebnis”, hatte 2002 Uwe Jasnoch vom IGD prophezeit. Die Forscher entwickelten tragbare „Augmented Reality”-Systeme (bild der wissenschaft 8/2002, „Der Touristenflüsterer”). Im Rahmen ihres Projekts Geist erstellten sie dann Prototypen für den erweiterten („augmented”) Blick in die Welt. Doch weder Touristen noch Schüler profitieren heute davon.

„Ein einziges tragbares Augmented-Reality-System kostet 10 000 bis 15 000 Euro”, erklärt Didier Stricker, Leiter der Abteilung Virtuelle und Erweiterte Realität am IGD, „und je nach Einsatzzweck braucht man etliche davon. Außerdem sind die Geräte sehr störanfällig und können von den Benutzern beschädigt werden. Hinzu kommt, dass sie leicht geklaut werden könnten.” Weder Schulen noch Tourismusverbände wollen sich etwas leisten, das so viel Folgekosten erzeugt. Das Projekt Geist wurde beendet. Doch richtige Geister sind unsterblich.

Die von den Darmstädtern ausgetüftelte Technologie lebt in neuen Projekten weiter. Am weitesten gediehen ist heute ein Fernrohr, das erweiterte Realität bietet – das XC-01. „Es ist mit Anschaffungskosten um 15 000 Euro zwar etwa genauso teuer wie die tragbaren Systeme, aber so robust, dass es keine weiteren Kosten verursacht”, so Stricker. Und die Nutzer-Institution muss davon nicht gleich Dutzende ordern.

Das XC-01 sieht aus wie ein herkömmliches Münzfernrohr, enthält aber modernste Technik. Der Betrachter sieht die Umgebung durch eine Kamera. Sie filmt das reale Bild, das zusammen mit digitalen Ergänzungen auf einem LCD-Display am augenseitigen Ende des Rohres abgebildet wird. Seit Herbst 2005 steht ein Prototyp auf der Aussichtsplattform der Grube Messel in der Nähe von Darmstadt. Die vormalige Braunkohlegrube gehört heute zum Weltnaturerbe der UNESCO, da dort viele einzigartige Fossilien ans Licht kamen. Das XC-01 ergänzt den Fernrohrblick durch Einspielung der Fundorte und Informationstexte zu Geologie und Geschichte.

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„Damit sich das Bild auch bei Bewegungen des Fernrohrs mit der Realität deckt, sind Sensoren im Rohr, die die Positionsänderungen erfassen. Ihre Daten werden in einen kleinen Rechner eingespeist, der auch das Kamerabild erhält und dann die virtuellen Daten entsprechend des Einstellungswinkels hinzufügt”, erläutert Stricker. Weitere Fernrohre mit kommentierter Aussicht sind für die antike Spielstätte von Olympia in Griechenland sowie für die Burgruine Valkenburg in Holland geplant. Noch 2006 wollen die IGD-Forscher ein neues Modell vorstellen, das neben verbesserter Bildqualität auch einen größeren Öffnungswinkel haben wird. „Dann hat man einen richtigen Kinoblick”, freut sich Didier Stricker. Julja Koch■

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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