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Elektronen beim Tunneln erwischt

Allgemein

Elektronen beim Tunneln erwischt
Lichtblitze gewähren Einblicke in Atome: Mit ultrakurzen Laserpulsen beobachten Forscher Elektronen bei quantenmechanischen Ausflügen.

ER ist der Erfinder der Zeitlupe: Eadweard Muybridge hielt Bewegungen von Menschen und Tieren in Fotoserien fest, indem er bis zu 36 Fotoapparate nacheinander auslösen ließ. So konnte er 1878 erstmals sichtbar nachweisen, dass sich bei einem galoppierenden Pferd zeitweise alle vier Hufe in der Luft befinden. Heute überprüfen wir mithilfe der Zeitlupe Entscheidungen des Schiedsrichters beim Fußball. Dazu werden mehrere Hundert Bilder in der Sekunde geschossen.

Schnelle Vorgänge wie beim Sport lassen sich nur mit kurzen Belichtungszeiten abbilden – in der Wissenschaft ist es genauso. Deswegen arbeiten Forscher an schnellen „Kameras“, die rasante Prozesse in kleinsten Bausteinen der Materie beobachten sollen. Ein Garchinger Forscherteam um Ferenc Krausz, Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik und Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München, ist jetzt bei den kürzesten Ereignissen angekommen, die jemals gemessen wurden: Bewegungen von Elektronen in Atomen.

Schon die Vorläufer-Experimente galten in den Neunzigerjahren als Sensation. Die königliche schwedische Akademie der Wissenschaften vergab 1999 den Nobelpreis in Chemie an den Ägypter Ahmed Hassan Zewail: „… weil er nachgewiesen hat, dass man mithilfe schneller Laser-Technik sehen kann, wie sich Atome während einer chemischen Reaktion in einem Molekül bewegen.“ Zewail beobachtete mit seinen ultrakurzen Laserpulsen die Grundlage des Sehens: Wenn ein Lichtteilchen (Photon) auf ein bestimmtes Molekül in der Netzhaut trifft, ein Retinal-Molekül, ändert dieses seine räumliche Anordnung, was über biochemische Prozesse letztlich einen Nervenimpuls auslöst. Zewails Laserpulse waren nur wenige Femtosekunden lang: Millionstel Millionstel Millisekunden. Schneidet man aus einer Femtosekunde den tausendsten Teil heraus, ist man in Krausz Dimension angekommen: der Attosekunde.

PRO SEKUNDE ZEHNMAL UM DIE ERDE

„Man weiß, dass Licht innerhalb von einer Sekunde unseren Globus zehnmal umrunden kann“, veranschaulicht der Max-Planck-Direktor. „In einer Attosekunde kommt das Licht nicht einmal einen Millionstel Millimeter weit.“ Für die Umrundung des Atomkerns benötigen Elektronen etwa 100 Attosekunden. Wer Elektronen in Atomen beobachten möchte, braucht also eine ziemlich schnelle Kamera. Die haben die Garchinger Forscher um Krausz jetzt zur Hand. Der Weg zum Ziel war klar: Man brauchte kürzere Laserpulse – und dafür benötigte man Licht mit kürzeren Wellenlängen. Sichtbares Licht reichte nicht mehr aus: Die Frequenzen mussten in den Röntgenbereich verschoben werden. Dabei hatten die Wissenschaftler ein grundlegendes Problem, denn bis heute gibt es keinen Röntgenlaser, der ausreichend kurze Pulse aussendet. Doch die Garchinger Forscher fanden einen trickreichen Ausweg. Mit intensiven Laserpulsen aus rotem Licht setzten sie Edelgas-Atome unter Schock. Beim Aufprall des Lichtblitzes werden Elektronen vom Atomkern abgerissen, dann wieder zurückgeschleudert und durch den Kern abgebremst. Krausz erklärt: „Dadurch wird das Atom zu einer mikroskopischen Antenne, die intensive Blitze aus Röntgenstrahlung sendet.“ Dank dieser Antennen verfügen die Forscher vom Garchinger Max-Planck-Institut nun über Röntgen-Laserpulse. Die wollen sie aber noch kürzer trimmen. Immerhin: Heute leuchten die kürzesten Lichtblitze bereits nur 80 Attosekunden lang auf – kurz genug, um Elektronen im Atom zu beobachten.

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Diese Elektronen sind normalerweise fest an ihren Atomkern gebunden. Doch manchmal schaffen sie es, dem Kern auf rätselhafte Weise zu entkommen: durch den „Tunnelmechanismus“. Rätselhaft ist er, weil er nur theoretisch vorhergesagt ist – niemand hat ein Elektron bisher dabei beobachtet. Man kann die Szene veranschaulichen, indem man sich das Elektron in einem Talkessel vorstellt, dessen umgebende Berge es nicht überwinden kann. Unter bestimmten Umständen ist es nach den Regeln der Quantenmechanik möglich, dass das Teilchen geradewegs durch einen Berg entkommt – die Physiker sagen: Es tunnelt. Für den Alltagsverstand ist das schwer vorstellbar: Noch nie wurde beispielsweise ein Squashball beim Durchdringen einer Wand beobachtet.

Theoretiker haben den Tunnelmechanismus für Elektronen in Atomen schon 1965 vorhergesagt. In die winzige Realität der Atome blickten aber erst die Garchinger Wissenschaftler – dank ihrer ultrakurzen Lichtblitze. Mit Attosekunden-Pulsen experimentierten die Forscher nach demselben Prinzip wie Nobelpreisträger Zewail viele Jahre zuvor: Sie führten ein „Pump-Probe-Experiment“ durch. Martin Schultze, Mitarbeiter in der Gruppe von Krausz, schickte seinen kürzesten Röntgenpuls auf Neon-Atome. Der Physiker versetzte die Atome damit in einen höheren Energiezustand. „Ein zweiter Laserpuls kann das Elektron dann abreißen“, erklärt er. Der zweite Lichtblitz entstammte einem roten Titan-Saphir-Laser und dauerte fünf Femtosekunden. In dieser Zeit schwang das elektrische Feld des Lichtpulses nur wenige Male hin und her – von maximaler Feldstärke über Null in die andere Richtung und zurück. „Das Laserfeld muss stark genug sein, um das elektrische Feld des Atomkerns zu verbiegen“, erklärt Matthias Kling, Leiter einer Nachwuchsgruppe am Max-Planck-Institut für Quantenoptik. Dann kann das Elektron dem Atom mithilfe des Tunnelmechanismus entkommen.

„Man muss allerdings wissen, wann man auszulösen hat – genau wie beim Fotoapparat“, betont Schultze. Indem die Forscher die Zeitspanne zwischen dem Attosekunden-Blitz und dem roten Puls bei jedem Experiment ein kleines bisschen verlängerten, erhielten sie viele „Fotografien“ zu verschiedenen Zeitpunkten des Vorgangs – genau wie Muybridge bei seinen Fotoserien. Es stellte sich heraus: Die Elektronen entkamen nur in jenen Momenten, in denen der rote Laserpuls sein größtes elektrisches Feld erreichte – zu genau den theoretisch vorhergesagten Zeitpunkten, an denen Tunneln möglich ist. Mit der schnellen Messtechnik haben die Garchinger Physiker große Pläne. Krausz blickt zuversichtlich in die Zukunft: „Wir sind im Attosekundenbereich angelangt und können die Phänomene dort erforschen.“ Und Kling hofft, dass sich schon bald neue Erkenntnisse einstellen: „Der Tunnelprozess ist die Grundlage vieler Vorgänge in der Elektronik und spielt auch eine Rolle bei der Bewegung von Elektronen in Molekülen.“

EXTREM SCHNELLE SCHALTKREISE

An einfachen Molekülen sind den Forschern schon Experimente mit der neuen Attosekundentechnik geglückt. Im Moment arbeiten sie unter anderem mit winzigen metallischen Teilchen. In diesen Nanoteilchen möchten die Forscher mit ihren Attosekundenpulsen Elektronen bei kollektiven Bewegungen („Plasmonen“) beobachten. Kling erwartet durch die Fortschritte der Plasmonenforschung ganz neue Möglichkeiten für die Datenverarbeitung: „Wir könnten Schaltkreise entwickeln, die um ein Vielfaches schneller sind als in der heutigen Elektronik.“ ■

CAROLIN dAnner, Physikerin und frühere bdw-Praktikantin, findet Quanten faszinierend – und Klaviermusik, die sie in Stuttgart studiert.

von Carolin Danner

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