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Wie bilden sich Planeten?

Allgemein

Wie bilden sich Planeten?
In wenigen Jahren werden Astronomen mehr als 1000 Planeten bei anderen Sternen kennen. Doch ihre Entstehung ist nach wie vor ein Rätsel.

„Sollst nicht murren, sollst nicht schelten, / wenn die Sommerzeit vergeht. / Denn es ist das Los der Welten, / alles kommt und alles geht“, dichtete Wilhelm Müller im 19. Jahrhundert. Astronomen, die dieses „Los der Welten“ verstehen wollen, sind prosaischer – und angesichts der schwierigen Fragen, die sich ihrem Verständnis in den Weg stellen, mitunter durchaus am Murren. Denn was 1995 mit dem indirekten Nachweis des ersten Planeten bei einem anderen sonnenähnlichen Stern begann und sich zu einer fulminanten, so von niemandem erwarteten Erfolgsgeschichte entwickelte, zeigte alsbald eine frustrierende Kehrseite. Doch die kann auch ein Ansporn sein.

Zunächst die Erfolgsgeschichte: Seit der Entdeckung des Planeten bei 51 Pegasi vor elf Jahren haben Astronomen mit unterschiedlichen Methoden über 180 Trabanten bei anderen Sternen aufgespürt. Rund 20 Sterne sind inzwischen bekannt, die von mindestens zwei Planeten umrundet werden. 15 Planeten wurden bei Doppelsternen gefunden. Das alles ist erst der Anfang, denn mit empfindlicheren Instrumenten und vor allem einer längeren Beobachtungszeit machen die Planetenjäger immer mehr Beute. „Bis zum Jahr 2010 werden wir etwa 1000 Exoplaneten kennen“, gibt Günther Wuchterl von der Universitäts-Sternwarte Jena die Aufbruchstimmung und die Erwartung seiner Kollegen wieder. Reichhaltige Erkenntnisse erwarten die Astronomen besonders von zwei Satelliten-Teleskopen: dem unter französischer Federführung im Oktober 2006 startenden Satelliten COROT und der hauptsächlich von den USA finanzierten Kepler-Mission, die im Juni 2008 in den Weltraum fliegen soll. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass gut fünf Prozent aller Sterne Planeten zu haben scheinen, vielleicht mehr. Die Planetenbildung ist also, entgegen der skeptischen Ansicht zahlreicher Experten noch Anfang der 1990er Jahre, ein häufiger Prozess in der Geschichte des Weltalls. Sogar aus Trümmerwolken um Neutronensterne sind Planeten entstanden, wie Radioastronomen erstaunt bereits 1992 entdeckt hatten.

Bei all diesem Erkenntnisfortschritt ist nach wie vor fraglich, wie sich die Planeten gebildet haben. Das liegt, wie Computersimulationen in den letzten Jahren gezeigt haben, zum einen an der Komplexität des Prozesses selbst. Zum anderen haben viele der neu entdeckten Planetensysteme aber auch Eigenschaften, mit denen niemand gerechnet hatte, und die sich nicht mit den gängigen, allein an unserem Sonnensystem orientierten physikalischen Modellen in Einklang bringen lassen. Astronomen wissen momentan noch nicht einmal, ob unser Sonnensystem die Regel oder die Ausnahme ist.

Die bizarrste der neuen Eigenschaften ist, dass es viele jupiterähnliche Gasriesen in Umlaufbahnen sehr nahe an ihrem Stern gibt – weit innerhalb der Merkurbahn im Sonnensystem. Mit diesen „Heißen Jupitern“ hatte niemand gerechnet. Rätsel gibt den Forschern auch auf, wieso viele der neu entdeckten Planeten so exzentrische, das heißt stark elliptische Umlaufbahnen haben. Und es ist unklar, ob Planeten auf Wanderschaft gehen und wie Trabanten in den komplizierten Schwerkraftverhältnissen bei Doppelsternen entstehen und stabile Bahnen einnehmen können.

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Bereits die Geburt der Himmelskörper wirft knifflige Fragen auf. Schon 1755 hatte der Königsberger Philosoph Immanuel Kant spekuliert, dass sie in Gas- und Staubscheiben stattfindet. In den letzten 20 Jahren haben Astronomen viele solcher Scheiben entdeckt. Sie verraten sich durch ihre Infrarot- und Submillimeter-Strahlung, das heißt ihre Wärme, durch das vom Staub polarisierte Sternlicht oder sogar direkt als dunkle, diskusförmige Gebilde vor dem Hintergrund heller Gaswolken im Orion-Nebel. Diese Scheiben sind häufig: Mindestens 50 Prozent aller inspizierten jungen Sterne besitzen eine. Ihre Masse liegt in der Größenordnung von einem Prozent der Sonnenmasse, ihr Durchmesser beträgt ungefähr 50 bis 200 Erdbahnradien und ihre Lebenszeit vielleicht 100 000 Jahre. Letzteres bedeutet, dass etwa 10–9 bis 10–7 Sonnenmassen der Scheibenmaterie jährlich entweder Planeten formt oder in den Mutterstern stürzt. Doch die Astronomen rätseln noch darüber, wie die Planetenbildung im Detail erfolgt.

Eine Möglichkeit ist die Koagulation von Staubteilchen, die aufgrund ihrer Oberflächenkräfte von selbst aneinander haften. Das dauert aber 10 000 oder gar 100 000 Jahre und führt allenfalls zu Körnchen von einigen Millimeter Durchmesser. Schon faustgroße Brocken würden nicht verklumpen, sondern zertrümmert, wenn sie aufeinander treffen. Wie aus dem Staub zehn Kilometer große Planetenkeime heranwachsen konnten, ist noch ein Rätsel, obwohl inzwischen bekannt ist, dass die Porosität des Materials eine große Rolle beim Wachstum spielt. Aus diesen so genannten Planetesimalen haben sich jedenfalls binnen weniger Millionen Jahre gravitativ die terrestrischen Planeten beziehungsweise die Kerne der Gasplaneten gebildet, wobei Letztere noch beträchtliche Teile des Scheibengases als dichte Atmosphäre um sich scharten.

Eine andere Möglichkeit ist, dass sich die Planeten direkt durch eine „Gravitationsinstabilität“ in der Scheibe geformt haben. Das müsste aber binnen weniger Hundert Jahre geschehen sein und setzt recht massereiche und kühle Scheiben voraus.

„Beide Szenarien könnten sich auch gleichzeitig abgespielt haben“, sagt Wilhelm Kley von der Universität Tübingen. „Klar ist, dass sich die festen Körper durch Koagulation gebildet haben. Es gibt auch die Möglichkeit, dass der Staub zunächst in der Scheibenmitte koagulierte und sich dort dann gravitativ zusammenklumpte. Da stellen sich dann aber weitere Fragen, etwa nach Turbulenzen in der Scheibe.“

Die anschließenden Ereignisse bergen ebenfalls noch viele Geheimnisse. „Wichtige Prozesse während der Entstehung von Planeten, zum Beispiel die Zusammenlagerung mikroskopisch kleiner Staubkörner, verschließen sich der direkten Beobachtung. Sie lassen sich aber mit Hilfe von Computerprogrammen simulieren, die von ihren Entwicklern auch gerne ,numerische Teleskope‘ genannt werden“, schreiben Sebastian Wolf und Hubert Klahr vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Auch Wilhelm Kley hat viele solcher numerischen Simulationsrechnungen gemacht. Er fand dabei heraus, wie sich ringförmige Lücken in den Scheiben bilden, die Astronomen tatsächlich schon beobachtet haben. Sie können breiter als ein Erdbahnradius sein (150 Millionen Kilometer) – eine Art gravitativer „Fingerabdruck“ eines Planeten von mindestens einem Zehntel Jupitermasse.

„Die Lücken bilden sich aufgrund von Drehimpulsübertragung von dem Planeten auf die Scheibe. Dadurch wird Gas innerhalb der Planetenbahn verlangsamt und bewegt sich nach innen, verliert also Drehimpuls. Beim Material weiter außen ist es genau umgekehrt. Dort wird Drehimpuls aufgenommen, das Gas wird schneller und wandert nach außen“, erklärt Kley. Dabei kann der Planet trotzdem noch Materie aufsammeln und weiter wachsen – bis auf etwa fünf Jupitermassen, wie Kleys Rechnungen zeigen, bei exzentrischen Bahnen oder Scheiben sogar auf noch mehr. Da sich die Protoplaneten bei dieser Akkretion beträchtlich aufheizen – auf Temperaturen von über 1000 Grad Celsius –, könnten diese Prozesse sogar in naher Zukunft beobachtet werden, hofft Wilhelm Kley.

Besonders geeignet für den Nachweis der Wärmestrahlung ist das 10 Kilometer große Atacama Large Millimeter Array (ALMA), das zurzeit in der chilenischen Atacama-Wüste gebaut und aus 64 Teleskopen von je 12 Meter Durchmesser bestehen wird. Selbst Lücken in Scheiben von einigen Hundert Lichtjahren entfernten Sternen soll es problemlos nachweisen können.

„Der Planet in der Scheibe transportiert also Drehimpuls von innen nach außen“, fasst der Tübinger Professor zusammen. „Dabei verliert er selbst ein bisschen Drehimpuls und wandert nach innen.“ Diese Wanderung, im Fachjargon Migration genannt, stellt die Forscher vor weitere Probleme: „Wie schnell verlief sie? In welche Richtung? Wie hört sie wieder auf?“, grübelt Kley. Aber Migration liefert auch den Schlüssel zu den Heißen Jupitern. „Die müssen in größerer Entfernung vom Stern entstanden sein“, sind Kley und seine Kollegen überzeugt. Sie sprechen von der „ Schneegrenze“ ab einer Sterndistanz von fünf Erdbahnradien. Dort ist es so kalt, dass leichtflüchtige Stoffe wie Wasserstoff ausfrieren und von Planetenkernen aufgesammelt werden können, die dann zu Gasriesen wie Saturn oder Uranus heranwachsen. „Da die Gasmasse in einer jungen zirkumstellaren Scheibe etwa 100-mal so groß wie die des Staubs ist, erhöht sich jenseits der Schneegrenze die für die Entstehung von Gasriesen zur Verfügung stehende Materialmenge beträchtlich“, sagt Hubert Klahr. „ Migration ist unvermeidlich – schon wegen der gravitativen Wechselwirkung eines eingebetteten Planeten mit der Gas- und Staubscheibe“, ist Wilhelm Kley überzeugt. „Wenn sich die Planeten dort gebildet hätten, wo wir sie finden, müsste man erklären, warum sie nicht gewandert sind.“

Doch für den aus Wien stammenden und nun in Jena forschenden Günther Wuchterl steht diese kosmische Wanderschaft noch keineswegs fest. Sowohl theoretische Probleme als auch Schwierigkeiten, damit bestimmte beobachtete Planetensysteme zu erklären, etwa die Planeten HD 188753 Ab und HD 149026 b, machen ihn skeptisch. Er glaubt, „dass irgendwo in den vielen Näherungen und Idealisierungen der Migrationsrechnungen der Wurm steckt“. Vielleicht sind die Wechselwirkungen von Planeten und Scheiben ineffizienter und kurzfristiger, als bislang gedacht? Und hat ein wandernder Planet überhaupt genug Zeit, bis zu zehn Jupitermassen schwer zu werden? Könnten die Heißen Jupiter vielleicht doch dicht bei ihren Sternen entstanden sein? Aber gab es dort überhaupt genug Material? Das sind Fragen über Fragen.

„Die Migrationstheorie erinnert mich an die Rettung der Phänomene mit Hilfe der Epizyklen im geozentrischen Weltbild. Die Planeten durchlaufen am Himmel ihre Schleifen, sie sollten sich aber damals auf Kreisen um die Erde drehen – also mussten immer mehr Kreise her, um die Beobachungen zu erklären“, sagt Günther Wuchterl: Vor Kopernikus sollten immer mehr Zusatzannahmen das Weltbild mit der Erde im Mittelpunkt retten – allen Beobachtungen zum Trotz. „Genauso rettet die Migrationstheorie die Erklärung der Exoplaneten, aber der Preis ist meiner Meinung nach zu hoch: Es sind zu viele Zusatzannahmen nötig.“

Ohne Migration würde sich auch das Problem erledigen, wie die Wanderung wieder aufhörte. Denn warum stürzen die Heißen Jupiter nicht alle in ihren Stern? „Vielleicht sind die, die wir sehen, lediglich die letzten Überlebenden eines planetaren Massakers, bei dem ganze Serien von Planeten in ihren Muttersternen verschwinden“, überlegt Wuchterl. Doch er hält es für unwahrscheinlich: „Dann müssten Planeten weiter draußen häufiger sein, weil sie dort langsamer wandern“, und das passt nicht zu den bekannten Daten. Außerdem haben Astronomen keine Anzeichen von häufigem kosmischen Kannibalismus gefunden – gefressene Planeten müssten ja Spuren in den Sternatmosphären hinterlassen. Vor allem dürfte es dann bei Weitem nicht so viele Heiße Jupiter geben wie bereits gefunden wurden. Kley und seine Kollegen machen hingegen Gezeitenwechselwirkungen, Sternwinde und Magnetfelder für das Migrationsende verantwortlich, aber auch die Auflösung der Scheibe selbst.

Weitere Fragen werfen die vielen beobachteten ungefähr kreisförmigen Bahnen auf. Haben Gezeitenkräfte die Bahnen zirkularisiert? Und welche Rolle spielen gravitative Wechselwirkungen zwischen den Planeten? „Alles Exzentrische bedarf einer Erklärung – die Standardszenarien ergeben kreisförmige Bahnen“, sagt Kley. „Die Exzentrizitäten könnten von der gravitativen Wechselwirkung zwischen Planet und Scheibe stammen. Aber numerische Rechnungen bestätigen das bislang nicht, sondern sprechen sogar für eine Dämpfung der Exzentrizität.“ Bleibt also eine gravitative Wechselwirkung der Planeten untereinander. Sie kann zu einer so genannten Resonanz führen – und auch dafür ist die Annahme einer Planeten-Migration unumgänglich, meint Kley.

„Viele gemessene Umlaufzeiten stehen miteinander in einem ganzzahligen Verhältnis, oft exakt 2 zu 1″, sagt Kley. „Ähnliches gibt es auch im Sonnensystem. So macht Neptun drei Sonnenumläufe, wenn Pluto zwei vollführt, und zwar so, dass sich beide immer weit entfernt voneinander aufhalten.“ Die entstehenden Resonanzen stabilisieren die Bahn – andere dagegen können Störungen geradezu aufschaukeln. „Das ist wie bei der Schwingung einer Brücke, falls viele Menschen sie mit der Resonanzfrequenz betreten“, erläutert Kley. „Bei einer Resonanz können sich die Bahnen kreuzen, und manche Planeten werden aus dem System geschleudert – oder geraten auf die stark exzentrischen Bahnen, die wir beobachten.“ Auch frei im interstellaren Raum fern von Sternen herumfliegende Planeten, für die es Indizien gibt, könnte man so erklären: Sie wären nicht dort entstanden, sondern aus ihren Geburtsstätten heraus katapultiert worden – ein hartes Los für diese Welten. Rüdiger Vaas ■

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