Isaac Newton hat einmal gesagt, wir könnten nur deshalb so weit sehen, weil wir „auf den Schultern von Riesen“ stünden. Die Amerikanerin Lauren Slater hat zehn Riesen des Faches Psychologie und ihre monumentalen Experimente durch die Macht der Sprache und Imagination zum Leben erweckt.
Ihr Buch ist eine anrührende Annäherung an die kühnsten Visionen der menschlichen Seele. Sei es Stanley Milgram, der seine Probanden anwies, andere mit Elektroschocks zu traktieren, oder Harry Harlow, der Affenbabys mit Müttern aus Stahl und Stacheldraht aufzog: Slater durchleuchtet nicht nur Motive und Persönlichkeit schonungslos. Sie stellt die Ergebnisse in den historischen Kontext, beschwört deren existenzialistische Implikationen und flicht weise und poetische Assoziationen ein. Im Kapitel über Milgrams Gehorsamkeitsexperimente scheut sie auch vor der beängstigenden Frage nicht zurück, wie sie wohl selbst in ähnlichen Situationen handeln würde.
Aus dem Wunsch, den Gedankenfaden weiter zu spinnen, wächst Slater manchmal über die Rolle der Berichterstatterin hinaus. Der Psychologe Rosenhan hatte „Patienten“ mit erfundenen Symptomen in die Fänge der Anstaltspsychiatrie geschickt. Die Autorin stellt den Vorgang am eigenen Leibe nach – mit verblüffenden Ergebnissen.
Das Buch sorgte beim Erscheinen in Amerika für Aufsehen: Manche Informanten beschwerten sich über angebliche Unterstellungen, und einige Passagen mussten deshalb für die deutsche Ausgabe umgeschrieben werden. Mit Erfolg: Das Buch wurde von bild der wissenschaft zum „Wissenschaftsbuch des Jahres“ gekürt. Rolf Degen
Lauren Slater VON MENSCHEN UND RATTEN Beltz, Weinheim 2005, 345 S., €22,90 ISBN 3-407-85782-9