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Zellen in Öl

Erde|Umwelt Gesellschaft|Psychologie

Zellen in Öl
Anne Vieten erkundet die Natur mit Pinsel und Pipette: Sie ist Malerin und Biologin zugleich.

Stehen wir auf dem Meeresgrund? Sind das zwischen den Steinen dort Seeanemonen, die sich im Takt der Wellen wiegen? Oder stecken wir als Winzlinge im Darm fest, und um uns herum wabert das haarige Flimmerepithel? Anne Vieten liebt solche Verwirrspiele in ihren Gemälden. Die Molekularbiologin ist zugleich Forscherin und Künstlerin – und zwar studierte und examinierte. Auch das Handwerk einer Malerin hat sie von der Pieke auf gelernt.

Anne Vieten, 1976 im münsterländischen Telgte geboren, ist eine Wanderin zwischen beiden Welten. Sie hat Biologie und Kunst in Kassel studiert und promoviert zurzeit in Tübingen am Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen der Universität. Dort erforscht sie, wie Pflanzenzellen das Wachstumshormon Auxin transportieren und welche Gene dafür zuständig sind. Und wann immer es geht, malt sie.

Was sie inspiriert, sind die schwarz-weißen Aufnahmen des Rasterelektronenmikroskops (REM). Sie malt Mäuse-Lungen, Zell-Kraftwerke von Pflanzen und Bakterienhaufen. Damit folgt sie einer alten Tradition: Früher gab es die klare Trennung von Naturwissenschaftlern und Künstlern nicht. Im antiken Griechenland gehörte beides zur „techne“, und als sich Europa in der Renaissance auf seine antiken Wurzeln besann, lebte auch diese Tradition wieder auf. Die Künstler-Forscher, allen voran Leonardo da Vinci, waren nicht nur von der Natur fasziniert, sondern auch von den Möglichkeiten mit den damals neu entwickelten Zeichen- und Maltechniken die Welt realistisch darzustellen. So konnten sie Kollegen und einem breiten Publikum ihre Ideen und Erkenntnisse präsentieren. Viele Biologen waren hervorragende Zeichner und Maler – wie im 17. Jahrhundert der Botaniker Georg Eberhard Rumpf (siehe Beitrag „Das Dschungelbuch“ ), im 19. Jahrhundert der Vogelkundler John James Audubon oder der Evolutionsbiologe Ernst Haeckel.

Noch bis vor 30 Jahren mussten alle Biologiestudenten viel zeichnen. Heute übernehmen digitale Foto- und Filmapparate und andere bildgebende Verfahren die Dokumentation. Das ist nicht immer von Vorteil, meint Vieten: „Beim Zeichnen muss man erkennen, was wichtig ist, und das Unwichtige weglassen. Ein Foto betont beides gleichermaßen.“

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Doch Vieten sieht sich nur teilweise in der Tradition ihrer naturalistisch arbeitenden Vorgänger. Die REM-Aufnahmen nimmt sie bloß als Vorlage. Sie will sie nicht abmalen und kolorieren, sondern das Wesentliche der natürlichen Strukturen erfassen, verdichten, verfremden – und den Betrachter verwirren: „Ich liebe Motive, bei denen keiner weiß, ob er sich im Mikro- oder Makrokosmos befindet.“ Um die Verwirrung auf die Spitze zu treiben, gibt sie ihren Gemälden zum Schluss einen nüchternen Titel, der das Wesentliche der REM-Aufnahme beschreibt, zum Beispiel „Zellinneres mit Chloroplasten“.

Trotz der Verfremdungen sind viele Naturwissenschaftler von Vietens Arbeiten begeistert. Der Tübinger Botaniker Uwe Simon, der selbst am Elektronenmikroskop forscht, genießt vor allem die Übersetzung der Schwarz-Weiß-Bilder in Farben: „Ich freue mich, wenn jemand die Schönheit der Wissenschaft erfasst“. Eva Benkova, Pflanzenbiologin an der Universität Tübingen, betont, dass auch in der Wissenschaft nicht alles so objektiv ist, wie es auf den ersten Blick scheint: „Oft stecken Botschaften hinter den Zahlen und anderen Versuchsergebnissen, die sich einem nicht unmittelbar erschließen. Der eine sieht’s, der andere nicht. Ich finde es gut, wenn einem das jemand direkt vor Augen führt. Das hilft.“ Der Hirnforscher Ernst Pöppel sieht das genauso. Der Leiter des Instituts für medizinische Psychologie der Universität München hat schon in den Neunzigerjahren in Bonn die Ausstellungsreihe „ Art and Brain“ ins Leben gerufen. Er liebt Grenzüberschreitungen nicht nur, sondern empfiehlt sie Wissenschaftlern sogar ausdrücklich: „Um schöpferisch zu sein, muss man aus dem gewohnten Rahmen heraustreten. Ein zu fester Rahmen ist der Feind jeglicher Kreativität.“

Einigen Künstlern, vor allen manchen Kunstprofessoren, waren Vietens Gratwanderungen dagegen nicht geheuer. Sie dachten, Vieten würde einfach die Natur abmalen, statt sie zu interpretieren. Zum Teil steckte bloße Unkenntnis hinter der Ablehnung. „Die meinten, dass Rasterelektronenmikroskop-Aufnahmen von Natur aus farbig sind. Ich musste ihnen erst die schwarz-weißen Originale zeigen, damit sie die künstlerische Leistung erkennen konnten.“ ■

Thomas Willke

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Kontakt

Inge Vieten

E-Mail: vietenanne@yahoo.de

oder

anne.vieten@zmbp.uni-tuebingen.de

Ohne Titel

Künstler haben sich seit der Urzeit des Menschen von der Natur zu Kunstwerken anregen lassen. Auch einige Musiker komponierten naturnah und ließen sich von Vögeln, Bächen oder Gewittern inspirieren. Doch der Komponist Jörg Schäffer nutzt für seine Werke eine ganz besondere Quelle: die Erbinformation und die Struktur der Atome. Schäffer ist nicht nur studierter Musikwissenschaftler, sondern auch promovierter Biochemiker. Mit seinem Wissen setzt er natürliche Strukturen in Töne um. Wie die Malerin Anne Vieten übersetzt er die Informationen aus den Zellen nicht eins zu eins, sondern nutzt sie, um die „inneren geheimen Harmonien der Wissenschaft“ zu erfassen, wie er es nennt. Mit seiner Musik will er den Wissenschaftlern die Schönheit der von ihnen untersuchten Moleküle vor Ohren führen. Die beiden großen deutschen Forschungsgesellschaften Fraunhofer und Max-Planck hat Schäffer mit seinem Konzept überzeugt. Sie bestellten Kompositionen für Festakte. In „Fusion“ beschreibt er musikalisch die Umwandlung von Wasserstoff in Helium und in „Caenorhabditis elegans“ die Entwicklungsbiologie eines Wurms.

Ohne Titel

Acrylfarben, Ton oder Stahl genügen einigen bildenden Künstlern nicht mehr. Sie greifen nach den Methoden der modernen Biologie und schaffen ihre Werke aus lebenden Zellen oder kreieren gleich lebende Kunsttiere und -pflanzen. Hier eigene der spektakulärsten Beispiele:

• Eduardo Kac

ist der Altvater dieser jungen Szene und der Erfinder der „ Transgenen Kunst“. Der gebürtige Brasilianer schuf 2000 sein „GFP Bunny Alba“, ein Albino-Kaninchen, das unter UV-Licht grün fluoresziert. Der Effekt wurde gentechnisch erzeugt. Kac ließ in die Eizelle, aus der sich Alba entwickelte, das Gen für ein grün fluoreszierendes Protein (GFP) aus Quallen mikroinjizieren. Mit seinen Werken will er die Kommunikation zwischen Künstlern, Wissenschaftlern, Juristen und anderen Berufsgruppen anregen.

• Marta de Menzes

kreiert Schmetterlinge. Die Portugiesin will „die Möglichkeiten und Grenzen biologischer Manipulationen aufzeigen“. Unter dem Mikroskop manipuliert sie die Puppen der Insekten. Sie verätzt mit einer kleinen Nadel einige Zellen und verändert damit „die Kommunikation der Zellen untereinander“. Das Ergebnis sind Muster und Farben in den Schmetterlingsflügeln, die es in der Natur so nicht gibt. Besonders fasziniert sie, dass sie Kunstwerke schafft, die leben – und sterben.

• SymbioticA

heißt ein Künstlerlabor, das zur biologischen Fakultät der University of Western Australia gehört. Die Künstler können dort selbstständig mit modernen biologischen Methoden arbeiten. Bei einem Projekt ließ der künstlerische Leiter Oron Catts mit seinem Kollegen Ionat Zurr „Schweine fliegen“: Dazu hatten sie flügelähnliche Gebilde geschaffen, die aus Knorpelzellen von Schweinen in Zellkulturen gewachsen waren. Bei einem anderen Projekt erzeugten sie zusammen mit dem US-Amerikaner Guy Ben-Ary „ Halb lebende Künstler“: Ebenfalls in Zellkulturen hatten sie Nervenzellen von Fischen und Ratten auf Kunststoff-Chips wachsen lassen. Die Signale dieser Neuronen steuerten dann Roboterarme, die – je nach Zellaktivität – musizierten und malten.

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
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As|pa|ra|gin  〈n. 11; unz.; chem. Zeichen: Asn, Asp〉 im Spargel enthaltene Aminosäure (NH 2 ) … mehr

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Kon|takt|sper|re  〈f. 19; Rechtsw.〉 (bei Häftlingen, bes. Terroristen) Verbot, Kontakte zur Außenwelt zu unterhalten

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