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Erfolg nach 300 Jahren

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Erfolg nach 300 Jahren
In der Mathematik brauchen Beweise oft Jahrhunderte. Immer wieder versuchen sich Rechenkünstler an der Quadratur des Kreises. Vergeblich: Sie ist ein prinzipiell unlösbares Problem. Ein lösbares dagegen war der „Fermatsche Satz”, auch wenn sich die Mathematiker über 300 Jahre die Zähne daran ausbissen: Einer von Ihnen hatte schließlich Erfolg.

Bis zur Galerie hinauf war die Aula der Universität Göttingen besetzt, obwohl weder ein Star unter den Rocksängern noch sonst ein berühmter Künstler oder gar Politiker auf dem Programm stand – sondern ein Mathematiker. Allerdings ein ganz besonderer: Er hatte ein jahrhundertealtes Rätsel gelöst. So gab es wohl auch unter den Zuhörern niemanden, der nicht irgendwann in seinem Leben vom “Großen Fermatschen Satz” gehört hatte – einem mathematischen Satz, der sich so einfach formulieren läßt, daß man ihn selbst Kindern erklären kann, und von dem man daher immer vermutete, daß er auch kinderleicht zu beweisen sei.

Der französische Jurist und Hobby-Mathematiker Pierre de Fermat (1601 bis 1665) schrieb ihn an den Rand der Seite eines Buches und bemerkte dazu, daß er dafür einen wunderschönen Beweis gefunden habe, den er aber aus Platzgründen nicht dazuschreiben könne.

Über die Jahrhunderte versuchten Mathematiker und Laien, den Satz zu beweisen – doch das gelang erst mehr als 300 Jahre später. Der Mathematiker, der 1995 den “Großen Fermatschen Satz” bewies, kam auch nicht mit dem Rand einer Buchseite aus. Er benötigte 108 Druckseiten. Am 27. Juni 1997 erhielt er dafür in der Aula der Universität Göttingen den “Wolfskehl-Preis”.

Im Jahre 1905 hatte Paul Friedrich Wolfskehl (1856 bis 1906), Sohn eines jüdischen Bankiers in Darmstadt, in seinem Testament 100000 Goldmark als Preisgeld für denjenigen ausgesetzt, der den Beweis des Großen Fermatschen Satzes liefert. Drei Jahre später trat die Stiftung in Kraft.

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Wolfskehl hatte Medizin studiert, erkrankte aber kurz nach der Promotion an Multipler Sklerose. Daraufhin begann er ein Studium der Mathematik, weil er sich sagte, daß er in dieser Wissenschaft auch später im Rollstuhl noch erfolgreich arbeiten könnte.

Die Verwaltung des gestifteten Preises oblag der Göttinger Akademie der Wissenschaften. Bereits im ersten Jahr kamen 621 Einsendungen – doch jeder der Beweise war fehlerhaft. Bis heute sind mehr als 5000 vergebliche Beweisführungen eingetroffen.

Ein Großteil des für den Beweis ausgesetzten Betrags war mittlerweile der Zeitgeschichte zum Opfer gefallen. Die Kaufkraft der ursprünglichen Summe läge heute bei etwa drei Millionen Mark. Doch im Ersten Weltkrieg mußten alle Stiftungsvermögen in Kriegsanleihen angelegt werden. Der Akademie gelang es, einen kleinen Teil des Geldes zu retten. In den folgenden 20 Jahren wuchs dieser Rest dank der Zinsen wieder, bis im Zweiten Weltkrieg der Staat erneut in die Kassen der Stiftungen griff – und wieder gelang es, einen kleinen Teil zu retten, der in dem darauffolgenden friedlichen halben Jahrhundert Zinsen trug. Zuletzt waren etwa 75000 Mark in der Kasse.

Diese Summe konnte nun dem 45jährigen Mathematiker Andrew John Wiles ausbezahlt werden. Der gebürtige Engländer ist Professor an der Princeton Universität im US-Staat New Jersey. Im Alter von zehn Jahren hatte er von dem unbewiesenen Fermatschen Satz zum ersten Mal erfahren. Das Problem fesselte ihn und ließ ihn auch nicht los, als er später die Mathematik zum Beruf machte.

Auf Arbeiten der Mathematiker Gerd Faltings, Gerhard Frey und Kenneth Ribet aufbauend gelang es Wiles, in neunjähriger Arbeit eine – wenn auch sehr lange – Beweisführung zu finden. Doch bald stellte sich heraus, daß der Beweis noch mehrere Lücken hatte. Als auch diese geschlossen werden konnten, war der Große Fermatsche Satz bewiesen. Der Wolfskehl-Preis konnte verliehen werden, auf den Tag genau 89 Jahre, nachdem die Stiftung in Kraft getreten war.

Die Mathematik lebt wie jede andere Wissenschaft von noch nicht gelösten Problemen. Sonst wäre sie tot – denn es gäbe keine Fragen mehr, deren Antwort nicht bereits in einem mathematischen Lexikon stünde. In mathematischen Originalarbeiten werden auch heute täglich Probleme formuliert, die erst noch gelöst werden müssen. So war es schon immer. “Ist die Zahl der Primzahlen endlich oder gibt es eine größte?” Das war zum Beispiel in alten Zeiten ein ungelöstes Problem, bis der griechische Mathematiker Euklid etwa 300 vor Christus beweisen konnte, daß es unendlich viele Primzahlen gibt.

Von den meisten ungelösten Problemen der Mathematik erfährt der Außenstehende kaum etwas, teils weil sie nach kurzer Zeit gelöst werden, teils weil die Fragestellung einem Nichtmathematiker kaum verständlich gemacht werden kann.

Das ist beim sogenannten Vierfarben-Satz anders. Auch er läßt sich jedem Kind erklären, sein Beweis aber gelang nur mit großem Aufwand. Im Jahre 1852 versuchte der englische Student Francis Guthrie eine Karte der englischen Insel zu zeichnen – mit den zahlreichen Grafschaften, in die das Land geteilt ist. Der Übersichtlichkeit halber wollte er die einzelnen Grafschaften farbig darstellen, wobei Felder, die eine gemeinsame Grenze haben, verschiedene Farben erhalten sollten. Wie viele verschiedene Farbstifte sind nötig, um die weit über 50 Counties so zu kolorieren, daß jede Grenze zwei verschiedenfarbige Felder trennt? Genügen fünf oder sind zwanzig nötig?

Guthrie merkte sehr schnell, daß er mit nur vier Farben auskam und stellte fest, daß das nicht eine besondere Eigenschaft der Grafschaften von England war, sondern daß die Felder einer beliebigen Landkarte mit nur vier verschiedenen Farben so koloriert werden können, daß niemals zwei Felder gleicher Farbe ein Stück gemeinsamer Grenze haben.

Im Jahr 1897 veröffentlichte Arthur Kempe, ein Rechtsanwalt und angesehener Amateur-Mathematiker, einen Beweis des Theorems. Damit schien das Problem erledigt zu sein.

Doch kurz danach stellte sich heraus, daß Kempes “Beweis” einen Fehler enthielt. Damit war der vermeintlich bewiesene Vierfarben-Satz wieder zur Vierfarben-Vermutung zurückgestuft. So blieb es – bis im Jahre 1970 der an der Universität von Illinois arbeitende Mathematiker Wolfgang Haken das Problem wieder aufnahm. Inzwischen hatte der Mannheimer Mathematiker Heinrich Heesch das Problem zwar nicht gelöst, aber in zahlreiche Teilprobleme zerlegt. Würde jemand alle diese kleineren Probleme lösen, so wäre das Vierfarben-Theorem bewiesen. Wolfgang Haken und dem Mathematiker Kenneth Appel gelang es, mit Hilfe eines Computers die Teilprobleme zu lösen und damit zu beweisen, daß in jedem denkbaren Fall einer Landkarte vier Farben zur Kolorierung genügen. Die Vierfarben-Vermutung war bewiesen.

Nicht alle Mathematiker sind glücklich damit. Einen mathematischen Satz zu beweisen, heißt, den Beweis so zu führen, daß jeder ihn nachvollziehen und sich von der Richtigkeit der Behauptung überzeugen kann. Beim Beweis von Appel und Haken benötigten Ende der siebziger Jahre Computer etwa 300 Stunden Rechenzeit, um alle Fälle durchzuspielen. Der bisher geführte Beweis des Vierfarben-Satzes unterscheidet sich qualitativ von den mathematischen Beweisen, die jeder mit Papier und Bleistift nachprüfen kann.

Sind das alles nutzlose Spielereien mit Zahlen, nicht mehr wert als Lösungen von Kreuzworträtseln? Die Mathematik ist ein Ganzes. Wer ihre Zusammenhänge erforschen will, muß die Probleme aller ihrer Bereiche zu lösen versuchen, unabhängig davon, ob sie von praktischem Nutzen sind oder nicht. Als die Physiker in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts die Quantenmechanik entdeckten, die heute unser Leben beherrscht, konnten sie sich auf mathematische Methoden stützen, die ein Jahrhundert zuvor entwickelt wurden, um schwingende Saiten zu verstehen. Ähnlich bei den Verschlüsselungsverfahren, die im Geldverkehr und im elektronischen Informationsaustausch benutzt werden: Sie beruhen auf Jahrhunderte zuvor entwickelten “Zahlenspielereien”.

Gelöste Probleme Das Vierfarben-Problem: Will man auf einer Landkarte die Länder durch Farben markieren und sollen Länder mit einem Stück gemeinsamer Grenze verschiedene Farben erhalten, dann genügen bereits vier verschiedene Farben, unabhängig davon, wie viele Länder auf der Karte sind und wie sie sich über die Karte verteilen. Dieser empirisch gefundene Sachverhalt wurde im Jahre 1989 von den amerikanischen Mathematikern Kenneth Appel und Wolfgang Haken bewiesen.

Der Fermatsche Satz: Die Quadrate der Zahlen 3, 4 und 5 besitzen die Eigenschaft, daß 32 + 42 = 52 ist (man kann leicht nachrechnen: 9 + 16 = 25). Es gibt unendlich viele ganze Zahlen A, B und C, für die entsprechend gilt: A2+ B2 = C2, zum Beispiel A = 32, B = 126 und C = 130. Im Jahre 1670 schrieb der französische Jurist und Mathematiker Pierre de Fermat an den Rand der Ausgabe eines Buches des Mathematikers Diophant, der um 250 n. Chr. lebte, daß er folgende Annahme bewiesen habe: Es gibt keine ganzen Zahlen A, B und C, für die An + Bn = Cn gilt, wenn n größer ist als 2. Seither versuchten Mathematiker den Beweis des Fermatschen Satzes zu finden. Andrew Wiles lieferte ihn schließlich im Jahre 1995.

Unlösbare Probleme Die Dreiteilung des Winkels: In der Schule haben wir gelernt, wie man mit Zirkel und Lineal einen Winkel halbiert. Die Konstruktion ist kinderleicht. Doch kann man auch eine Konstruktion mit Zirkel und Lineal finden, die einen beliebigen Winkel in drei gleichgroße Winkel teilt?

Ungelöste Probleme Die Goldbachsche Vermutung: Im Jahre 1742 schrieb der Konferenzsekretär der St. Petersburger Akademie, Christian von Goldbach, dem Mathematiker Leonhard Euler in einem Brief, daß jede gerade Zahl, die größer ist als 2, als Summe zweier Primzahlen dargestellt werden kann. Beispiele: 20 = 13 + 7, 24 = 5 + 19, 872 = 199 + 673. Welche gerade Zahl man auch nimmt – bis heute wurde keine gefunden, die nicht die Summe zweier Primzahlen wäre. Trotzdem ist diese Vermutung nicht bewiesen. Gibt es unendlich viele Primzahlzwillinge? Unter den unendlich vielen Primzahlen treten immer wieder welche auf, die sich nur um 2 unterscheiden – sogenannte Primzahlzwillinge: 2/3, 3/5, 5/7, 11/13, 17/19, 29/31 und so weiter. Man könnte glauben, daß es sich dabei um eine Erscheinung handelt, die nur bei niedrigen Zahlen auftritt, denn dort folgen die Primzahlen dichter aufeinander als bei den großen Zahlen. Doch im Bereich zwischen 800 und 900 gibt es die Zwillingspaare 821/823, 827/829, 857/859 und 881/883. Auch bei noch größeren Zahlen findet man Primzahlzwillinge: 9890641/9890643. Selbst im Bereich der mehr als 11000stelligen Zahlen gibt es Primzahlzwillinge. Bis heute konnte noch niemand mathematisch entscheiden, ob die Folge der Zwillingspaare irgendwo aufhört.

Rudolf Kippenhahn

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