Nicholas Negroponte, Vordenker der Digitalisierung und ehedem Chef des „Media Lab“ am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT), verkündete Anfang 2007: Kinder in unterentwickelten Ländern sollen mit Laptops ausgestattet werden, um ihnen den gleichen Zugang zu Bildung zu ermöglichen wie den Kindern in der entwickelten Welt. Zu diesem Zweck hatte der amerikanische Visionär eine Stiftung mit programmatischem Namen gegründet: One Laptop Per Child (OLPC). Negropontes Credo: Es ist möglich, einen Computer mit etwas geringerer Leistung als marktüblich für nur 100 US-Dollar zu produzieren. Die Regierungen der betreffenden Länder sollten – teils unterstützt durch Sponsoren – die Billig-Laptops kaufen und sie gratis an die Kinder verteilen. Schon bis Ende 2008 sei durch den Preisverfall der Bauteile die 100-Dollar-Grenze zu erreichen.
Doch Negropontes Vorhersage hat sich als allzu optimistisch erwiesen: Derzeit kostet die Produktion des Kinder-Computers – Kürzel: „XO“ – noch erheblich mehr, nämlich 188 Dollar. OLPC-Sprecherin Jackie Lustig versucht die Prognose ihres Chefs zu retten und argumentiert, dass die Preise für Elektronik-Komponenten 2009 deutlich sinken würden. Doch das Marktforschungsinstitut Gartner in Stamford/Connecticut widerspricht. „Wir erwarten zwar, dass bei größeren Stückzahlen die Preise um 10 bis 15 Prozent fallen werden“, räumt Annette Jump ein, Forschungsdirektorin bei Gartner für den Bereich Client Computing Markets. „Aber nicht nur momentan, sondern auch in den kommenden drei Jahren ist ein 100-Dollar-Notebook nicht möglich.“
Trotz dieser Enttäuschung kann Negroponte sich zugutehalten: Das Verpassen des erhofften Preisniveaus hat nicht verhindert, dass der Laptop im November 2007 in die Serienproduktion ging – OLPC konnte genügend Geld dafür locker machen. Seither hat der Hersteller Quanta im chinesischen Changshu bei Shanghai rund 500 000 Geräte produziert, die weltweit ausgeliefert wurden. Allerdings ohne den geplanten Generator, mit dem die Kinder per Muskelkraft Strom für den Computer erzeugen sollten – ein Jo-Jo-ähnliches Gerät mit Zugleine: Es sei „nicht praktisch“ gewesen, sagt Jackie Lustig. Statt dessen kommt der Strom aus anderen Quellen, etwa Solaranlagen. Die meisten XO-Computer haben Peru und Uruguay abgenommen. Zuletzt bekam der Inselstaat Niue im Südpazifik 500 Stück.
Anders als ursprünglich beabsichtigt, arbeiten heute auch Kinder in der Ersten Welt mit dem bunten XO: Die Großstadt Birmingham im US-Bundesstaat Alabama erhielt Ende 2007 die stolze Zahl von 15 000 Bildungsrechnern. Zudem konnten spendierwillige Amerikaner und Kanadier über das Programm „Give 1 Get 1″ einen XO zum Preis von zweien erwerben. So kamen 35 Millionen Dollar für die Finanzierung weiterer Rechner zusammen. Eine Neuauflage des Programms startet in diesen Tagen in Kooperation mit dem Online-Buchhändler Amazon.
Eine der einschneidendsten Veränderungen wird der Abschied vom „Open-Source“-Prinzip sein. Ursprünglich sollte der Quellcode der Software auf dem XO – bislang das Betriebssystem Linux – offen zugänglich und von jedem veränderbar sein. So hatte OLPC zunächst die Zusammenarbeit mit Microsoft abgelehnt, weil der Branchenriese sich weigert, den Quellcode für sein Betriebssystem Windows offenzulegen. Indes: „Die Regierungen wollten den XO mit Windows“, begründet Lustig die jetzige Kehrtwende. Eine „ Dual-Boot“-Version mit Linux plus Windows „wird demnächst ausgeliefert“. In den eigenen Reihen ist dies durchaus umstritten: Walter Bender, einer der führenden OLPC-Mitarbeiter und Open-Source-Verfechter, hat die Stiftung verlassen. Werner Pluta■