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Nicht wirklich überraschend

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Nicht wirklich überraschend
Der diesjährige Physik-Nobelpreis zeichnet eine Entdeckung aus, mit der schon nach wenigen Jahren viel Geld verdient wurde.

Es muss wohl ein Ritual sein. Jedes Jahr an diversen Oktobertagen klingelt irgendwo das Telefon, Stockholm am Apparat. Eine freundliche Stimme verkündet dem Glücklichen, ihm würden die höchsten Forscherlorbeeren verliehen – der Nobelpreis. Kurz darauf folgt der Ansturm der Medien: Umringt von Mikrofonen und Kameras spielt der Laureat dann gern den völlig Ahnungslosen, der ob der frohen Kunde aus allen Wolken fällt. Ein solches Kokettieren hatte Peter Grünberg nicht nötig. Seit Jahren schon hatte er am Tag der Nobel-Entscheidung die Nähe zu seinem Büro am Forschungszentrum Jülich gesucht, um für das Stockholmer Komitee erreichbar zu sein. Und vor der Presse gab sich der diesjährige Physik-Nobelpreisträger zwar ehrlich gerührt, aber nicht wirklich überrascht. Mit legerem Jackett und verschmitztem Lächeln mag der 68-Jährige zwar dem Klischee des liebenswürdig-bescheidenen Professors entsprechen. Aus seinen Worten aber spricht Erfinderstolz – leise, doch selbstbewusst.

Grünberg weiß, dass er seit Jahren Nobelpreis-Aspirant war – aus gutem Grund. Vor 20 Jahren hatte der Physiker etwas entdeckt, das heute den Alltag prägt: Ohne seinen „GMR“-Effekt gäbe es keine Festplatten, die auf engstem Raum Hunderte von Gigabyte speichern. Die Geschichte beginnt in den frühen Achtzigerjahren. Damals untersuchte Grünberg in seinem Jülicher Labor magnetische Schichten, die aufgebaut sind wie ein Sandwich: zwei Eisenfilme, jeweils kaum einen Nanometer dick, getrennt durch eine ebenso feine Lage aus Chrom. „Die Kunst bestand darin, diese Schichten möglichst gleichmäßig zu präparieren“, erinnert sich Grünberg. Dazu musste der Forscher die Materialien in einer luftleeren Edelstahlkammer Atomlage für Atomlage aufdampfen – ein anspruchsvoller Prozess. 1986 waren Grünbergs Nano-Sandwiches so ebenmäßig, dass sie im Feld eines starken Magneten einen ungewöhnlichen Effekt offenbarten: Statt wie gewohnt in dieselbe Richtung zu zeigen, waren die Magnetfelder der beiden Eisenschichten plötzlich genau entgegengesetzt gerichtet.

„Antiferromagnetische Kopplung“, nannte Grünberg das Phänomen. Die Erklärung: Wegen ihres Spins (Eigendralls) wirken die Elektronen in den Eisenschichten wie winzige Kompassnadeln. Diese Magnetnadeln können durch die hauchdünne Chromschicht kommunizieren. Normalerweise synchronisieren sie sich miteinander und zeigen in dieselbe Richtung – die Richtung des äußeren Magnetfeldes. Hat aber die Chromschicht in der Mitte eine ganz bestimmte Dicke, vermag sie mittels eines Quanten-Resonanzeffekts die Kommunikation zwischen den Spins um 180 Grad zu drehen – mit der Folge, dass sich die Spins entgegengesetzt, also antiparallel, ausrichten.

gegen den strich gebürstet

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„Wir vermuteten gleich, dass diese antiparallele Ausrichtung den elektrischen Widerstand des Schichtstapels beeinflusst“, sagt Grünberg. Unverzüglich setzte er eine Diplomandin auf die Sache an. Und tatsächlich: Eines Morgens im Dezember 1987 vermeldete sie, dass der elektrische Widerstand des Sandwichs um einige Prozent stieg, sobald es einem Magnetfeld ausgesetzt war. Der Grund dafür war schnell gefunden: Bei antiparalleler Ausrichtung der beiden Eisenschichten gibt es viele Elektronen, deren Spin dem äußeren Magnetfeld entgegensteht – bildlich gesprochen sind sie gegen den Strich gebürstet. Da sich diese Elektronen beim Fließen deutlich stärker am Metallgitter reiben als ihre „ geschniegelten“ Kollegen mit parallelem Spin, ist der elektrische Widerstand bei antiparalleler Ausrichtung der Eisenschichten deutlich größer als bei paralleler Orientierung. Fast am gleichen Tag wie Grünberg zeigten auch die Messapparaturen von Albert Fert in Paris den Effekt, sogar noch deutlicher: Fert hatte mit Mehrfach-Stapeln – bestehend aus bis zu 30 Nanoschichten – experimentiert und dabei nicht nur ein Plus von einigen Prozent beobachtet, sondern fast eine Verdopplung des Widerstands.

„Eine Verdopplung ist wirklich riesig“, erklärt Grünberg. „ Deswegen hat Fert diesen Effekt als Riesenmagnetowiderstand bezeichnet.“ Rasch wurde den Physikern die Tragweite der Entdeckung klar: Beim Riesenmagnetowiderstand (GMR) genügen bereits äußerst schwache Magnetfelder, um zwischen paralleler und antiparalleler Ausrichtung der Schichten hin- und herzuschalten und gleichzeitig ihren elektrischen Widerstand sprunghaft zu steigern. Eingebaut in den Lesekopf einer Festplatte könnten die GMR-Schichten deutlich sensibler auf die gespeicherten Magnetbits reagieren als die alten Leseköpfe. Das wiederum sollte das Auslesen deutlich kleinerer Magnetbits ermöglichen – und damit viel höhere Speicherdichten. „Mein Chef sagte zu mir: Jetzt gehen Sie sofort zum Patentamt!“, schmunzelt Grünberg.

die industrie roch schnell lunte

Dieser Chef hieß Joachim Treusch und war einige Monate zuvor in den Vorstand der damaligen Kernforschungsanlage Jülich berufen worden. „Damals hatte ich meinen Mitarbeitern gesagt: Wer in Zukunft ein Paper für wichtige Journale schreibt, der muss sich vor dem Einreichen wenigstens zehn Minuten Zeit nehmen und überlegen, ob sich der Weg zum Patentanwalt lohnt“, sagt Treusch. Der erste Mitarbeiter, mit dem er ein derartiges Gespräch führte, war Peter Grünberg. „Der meinte, das bringe sowieso nichts“, erinnert sich Treusch weiter. „Deswegen könne man ihm ohne Weiteres auch 25 Prozent der Erfindervergütung versprechen. Das habe ich akzeptiert.“

Grünberg sollte sich täuschen: Schnell roch die Industrie Lunte – in Gestalt des Computerriesen IBM. „Als ich meine Resultate ein paar Monate nach der Entdeckung auf einer Konferenz vorstellte, haben die IBM-Leute die Ohren gespitzt, das hat man denen richtig angemerkt“, erinnert sich Grünberg. „Leider war die deutsche Industrie nicht so schnell.“ Schon im Herbst 1988 lud IBM die Gruppen von Fert und Grünberg ins sonnige Nizza. „Man hat aufs Mittelmeer hinunterschauen können, es war toll“, schwärmt der Physiker. „Und dann haben die uns richtig ausgequetscht.“ Mit vollen Kräften stieg der Konzern in die Technik ein. Im kalifornischen Almaden-Forschungszentrum fand das Team um Stuart Parkin heraus, wie sich die GMR-Schichten in Serie fertigen lassen. 1997 brachte IBM das erste Produkt auf den Markt – eine Festplatte mit damals erstaunlicher Speicherkapazität von 16,8 Gigabyte. „Ein Paradebeispiel, wie schnell eine Technologie in die Praxis umgesetzt werden kann“, findet Grünberg. „Das ist nicht der Normalfall.“ Als Ausgleich zahlte IBM wie auch andere Hersteller Lizenzen an das Forschungszentrum Jülich – insgesamt gut zehn Millionen Euro.

Heute basiert nahezu jede Festplatte auf der Erfindung von Grünberg und Fert. Die derzeit besten Harddisks erreichen eine Speicherkapazität von 1000 Gigabyte. Die kleinen, kaum fünf Zentimeter messenden Platten im iPod bringen es bis auf 160 Gigabyte. Der GMR-Effekt ist noch für andere lukrative Innovationen gut: So vermarktet die Motorola-Tochter Freescale seit Kurzem die ersten „MRAMs“. Das sind magnetische Computerchips, die ihr Gedächtnis auch ohne Stromzufuhr behalten (bild der wissenschaft 11/2007, „Der Trick mit dem Dreh“). Überall auf dem Globus tüfteln Forscher an einer völlig neuen Art von Elektronik, der Spintronik. Hierbei will man nicht nur wie üblich den Elektronenfluss zum Rechnen nutzen, sondern zusätzlich den Spin der Teilchen. Das Ziel: Computer, die noch einmal deutlich fixer sind als die heutigen PCs. Für Joachim Treusch – inzwischen Präsident der Jacobs University in Bremen – bedeutet Grünbergs Auszeichnung „eine wunderbare Bestätigung für meine 20-jährige Politik am Forschungszentrum Jülich“. Und wohl auch eine späte Genugtuung: Immerhin ist der diesjährige Physik-Nobelpreis der erste, der an ein Institut der Helmholtz-Gemeinschaft geht. ■

Frank Grotelüschen

Ohne Titel

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Um die Physik ist es in Deutschland offenbar nicht schlecht bestellt. In den letzten 22 Jahren wurden zehn Deutsche mit dem Physik-Nobelpreis geehrt – ebenso viele wie in der glanzvollen Zeit von 1901 bis 1930.

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