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Trotz Turbozucht – geschmacklich eine Wucht!

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Trotz Turbozucht – geschmacklich eine Wucht!
Obstzüchter entdecken alte Sorten neu, die besonders aromatisch und widerstandsfähig sind. Um aus deren Genom zu schöpfen, werden Samen und Äste in riesigen Gen-Banken tiefgefroren.

Jeden Herbst wartet Releika im Garten auf Andreas Peil. Wohlgeformt, süß und mit roten Bäckchen lächelt sie ihm entgegen. Peil schmilzt bei ihrem Anblick dahin. An keinem Tag möchte er die Schönheit missen. Und trotzdem, beichtet der Agraringenieur, ist er ihr nicht treu: „Meine Vorlieben wechseln.“ Auf dem Wochenmarkt hält er Ausschau nach Pisaxa und Relinda im roten Kleid, die einander zum Verwechseln ähnlich sehen. Peil hofft, sie dort so oft wie möglich zu treffen. Releika ahnt nichts von seinen Flirts. Andreas Peil züchtet Äpfel am Institut für Obstzüchtung in Pillnitz bei Dresden. Er selbst bevorzugt rotbäckige Äpfel mit leichter Säure wie Releika, Pisaxa und Relinda, allesamt Pillnitzer Züchtungen. Doch auch an den Genuss eines reif geernteten, grüngelben Golden Delicious im sonnigen Tirol denkt er mit Wonne zurück. Erst 2002 wechselte der studierte Landwirt vom Institut für Pflanzenzüchtung und Pflanzenschutz in Halle ins idyllische Pillnitz, umgeben von Wiesen und Hügeln. Die Arbeit als Apfelzüchter reizte ihn – ein Job mit viel Kreativität und ohne Konkurrenz. Kein Unternehmen, kein anderer Forscher und kein Bauer erfindet sonst hierzulande neue Äpfel. „Es dauert drei bis vier Jahrzehnte, eine neue Sorte zu züchten“, erzählt der 47-Jährige. Vier bis zehn Jahre vergehen, bis das Gehölz zum ersten Mal blüht.

Züchter mit Engelsgeduld

Wie die Früchte aussehen, wie fest sie sind und wie gut sie schmecken – all diese Fragen müssen bis dahin auf die lange Bank geschoben werden. Nach der Ernte folgen dann bei vielversprechenden Bäumen sechs bis sieben weitere Kreuzungszyklen, so lange bis die Frucht die Supermarktware übertrifft. In der Zwischenzeit werden die Äpfel als „ Forschungsabfall“ beseitigt. Viele Kreationen verlassen das Gelände der Pillnitzer Forscher nie, weil die Apfelindustrie nicht anbeißt. Aus Peils Lieblingen Pisaxa und Relinda sind bis heute noch keine Stars geworden. Wer Obstbäume züchtet, braucht eine Engelsgeduld. Peil hat sich darauf eingestellt, sein ganzes Forscherleben lang nur Apfelbäume zu Gesicht zu bekommen: klein, groß, blühend und Laub abwerfend. Vielleicht werden erst seine Enkel die Ergebnisse seiner Arbeit im Supermarkt kaufen. Vielleicht aber auch niemand. Diese Ungewissheit ist der Grund, weshalb kommerzielle Züchter ihre Finger von den Früchten lassen. Es sind hauptsächlich staatliche Forschungseinrichtungen, die in den EU-Ländern Obstsorten entwickeln. In Deutschland wird außer an Äpfeln auch an neuen Erdbeeren sowie an Süß- und Sauerkirschen geforscht. Die französischen Nachbarn haben Birnen im Programm, mischen aber auch bei Äpfeln mit.

Die langwierige Züchtung können die Wissenschaftler mit neuen molekularbiologischen Tests verkürzen. Vor allem Gen-Analysen helfen ihnen. Bei dieser intelligenten Zucht, „Smart Breeding“ genannt, werden Erbmerkmale gezielt eingekreuzt, die den modernen Hochleistungssorten fehlen. Insbesondere die Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten und ein kräftiges Aroma holen sich die Züchter auf diese Weise aus alten Sorten und wilden Arten. Damit steigt der Wert von Gen-Banken, in denen alte botanische Raritäten lagern. Ob bei Tomate, Weizen oder Reis – das Comeback der Oldies und die Wiederbelebung ihrer guten Eigenschaften mittels Smart Breeding zieht sich durch die gesamte Pflanzenzüchtung. Deutsche Forscher sind bei Apfel und Erdbeere ganz vorne mit dabei. Dieses Frühjahr haben Peils namenlose Zöglinge, eine Kreuzung aus Idared mit dem Wildapfel Malus x robusta, zum ersten Mal geblüht. Im Herbst wird er die Ernte seiner Forschung einfahren. „Das ist natürlich ein Highlight“, freut er sich, obwohl er weiß, dass die Früchte kaum größer als Kirschen und von grausigem Geschmack sein werden – nur ein Zwischenschritt auf dem langen Weg zum schmackhaften Apfel, der ihm vorschwebt. Denn seine Bäume haben die Gene von Malus x robusta im Stamm, der selbst nur Obst von der Dimension eines Daumennagels abwirft, noch dazu hart und bitter.

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Doch der knorrige Wilde aus Asien hat seine eigenen Vorzüge: Er trotzt dem Feuerbrand-Bakterium Erwinia amylovora, das Anfang der Siebzigerjahre aus Amerika nach Europa eingeschleppt wurde. Seither versetzt dieser Schädling die Obstbauern in Angst und Schrecken. Er dringt über die Blüte in das Holz ein und verstopft die Gefäße mit einem zähen Schleim. Der Baum bekommt kein Wasser mehr und verdorrt. Das tödliche Bakterium kann zwar mit Antibiotika aufgehalten werden, doch die dürfen nur in Ausnahmefällen gesprüht werden, da sich sonst Resistenzen ausbreiten könnten. Davon abgesehen, überleben die Parasiten die Spritzkur häufig, indem sie sich im Inneren der Gehölze verstecken. Infizierte Obstplantagen müssen deshalb fast immer gerodet werden. Vor drei Jahren erwischte der Feuerbrand auch die Felder der Forscher in Pillnitz. „Wir mussten fast 1000 Apfel- und Birnenbäume verbrennen“, bedauert Viola Hanke, Leiterin des Instituts. Die Forscher erwarten, dass sich Erwinia amylovora mit der Erderwärmung weiter ausbreiten wird. Deshalb wollen die Pillnitzer nun eine resistente Sorte züchten. Ein Wettlauf gegen die Zeit. Im Gewächshaus konnte Peil bereits die Setzlinge seiner Kreuzung aus Jonagold und Malus x robusta testen. Er schnitt ein Blatt ab, schlitzte die Mittelrippe mit einem Skalpell auf und tropfte die Bakterien in die Wunde. 34 von 72 Pflanzen widerstanden dem Eindringling. Doch Peil ist skeptisch: „Dieser Inokulationstest ist noch nicht ausgereift. Beim anfälligen Idared nisten sich die Bakterien nur bei einem von fünf Blättern im Inneren ein. Im Grunde müssten alle befallen sen.“ Entscheidend wird daher sein, wie sich die Pflanzen im Freiland verhalten. Der Feuerbrand hat das Versuchsfeld jedoch bisher verschont. Im Grunde stecken die Forscher in einer grotesken Situation: Um herauszufinden, ob ihre Neuzüchtungen dem Erreger trotzen, müssen sie insgeheim darauf hoffen, dass die gefürchtete Seuche die Pflanzung heimsucht. Eine künstliche Infektion ist im Freiland nicht erlaubt, weil sie zu gefährlich wäre.

Fahndung im Erbgut des Apfels

Deshalb geht Peil lieber auf andere Weise der Widerstandskraft seiner Zuchtpflanzen auf den Grund: Er fahndet nach Bereichen im Erbgut, die für Resistenz sorgen. „Ich habe eine wichtige Stelle auf Chromosom 3 eingekreist“, erklärt er. Sein Ziel ist es, einen molekularen Marker zu entwickeln, der diesen Bereich im Erbgut zuverlässig aufspürt. Mit einem solchen Marker ließen sich die Gene sämtlicher Jungpflanzen in einigen Tagen durchforsten und die feuerbrandfesten Kandidaten ausfindig machen. Der Marker besteht ebenfalls aus einem Strang von Erbgut-Bausteinen. Ähnlich wie bei einem Reißverschluss bindet der Strang an die entsprechende Sequenz des Apfelgenoms. Dieses Andocken wird mit einem Aufleuchten, einem Fluoreszieren, sichtbar gemacht.

Ob Inokulationstest oder Marker – beide Verfahren funktionieren bereits in einer Pflanze von der Größe eines Gänseblümchens. „Das beschleunigt den Zuchtprozess immens“, betont Peil. Die Sieger der Schnelltests qualifizieren sich für eine Kreuzung. Bei den entstehenden Sämlingen kann der Marker erneut eingesetzt werden. „Ich pflanze nur Bäumchen mit den gewünschten Eigenschaften ins Feld. Alle anderen kann ich getrost wegwerfen“, sagt Peil.

Die Zahl der Pflanzen, die groß gezogen werden müssen, sinkt. Die molekularbiologischen Tests sparen Zeit und Arbeit und erhöhen die Chance auf Erfolg. Smart Breeding gewinnt deshalb zunehmend an Bedeutung. „Das alte Berufsbild des Züchters, der nur mit Pinzette und Pinsel hantiert, hat heute keine Berechtigung mehr“, sagt Institutsleiterin Hanke. „Ein molekularbiologisches Labor gehört dazu.“ Viele Gene für die Entwicklung neuer Sorten schöpfen die Züchter aus wilden Apfelbäumen. „Sie sind ein sehr wertvolles Reservoir für uns“, hebt Peil hervor, während er den Wagen am Straßenrand parkt. Links und rechts dehnen sich Streuobstwiesen aus. Mit kraftvollen Schritten watet der Agraringenieur durch das kniehohe Gras und steuert auf die einzigen beiden blühenden Bäume zu. „Malus trilobata“, sagt er. „Sieht nicht aus wie ein Apfel, ist aber einer.“ Die Blätter sind dreilappig und erinnern an einen Mini-Ahorn. Die Blüten gleichen denen eines Kirschbaums. Malus trilobata wächst eigentlich im Nordosten Griechenlands. In Pillnitz gehört die alte Art zur lebenden Gen-Bank „Obst“. Die „ Bank“ besteht aus jener Wiese, über die Peil schlendert.

Ausladende Sträucher wechseln sich ab mit schlanken, hochgewachsenen Bäumen. Die meisten tragen bereits Früchte: johannisbeerkleine, grüne Äpfelchen. „Die werden auch nicht viel größer“, meint Peil, der einen lateinischen Namen nach dem anderen herunterspult, während er hier ein Blatt berührt und dort einen Zweig beäugt. „Bei einem unbekannten Apfelbaum kann ich nicht immer sagen, um welche Sorte es sich handelt. Das können nur die Experten vom Pomologenverein“, gesteht er.

Aber die Apfelbäume der Gen-Bank kennt er in- und auswendig, da er mindestens einmal in der Woche nach dem Rechten sieht. Sichtlich zufrieden kehrt er zu Malus trilobata zurück. „Der blüht immer erst vier Wochen nach den anderen Äpfeln. Wenn wir ihn mit einem anderen Baum kreuzen wollen, müssen wir den Pollen des Partners einfrieren“, berichtet er. Auf der Plantage gedeihen 900 verschiedene Sorten. Die älteste, eine Graue Französische Renette, stammt aus dem 12. Jahrhundert. Daneben pflegen die Pillnitzer 365 wilde Spezies, die in allen Erdteilen gesammelt wurden. Von einer Expedition nach China haben Hanke und ihre Mitarbeiter im Jahr 2000 Zweige und Samen der Wildart Malus sieversii mitgebracht. Doch die Mehrzahl der Neulinge wird heutzutage im Tausch mit anderen Gen-Banken erworben. Die wilden Bäume werden wie die Bücher einer Bibliothek registriert, mit einer Nummer versehen, nach Art und Herkunftsort getrennt.

„In alten Arten sind viele Gene enthalten, die in Jahrzehnten der Züchtung aus dem Erbgut der Kultursorten herausgefallen sind. Mit dem Smart Breeding können wir diese bewusst wieder einkreuzen und den Gen-Pool erweitern“, sagt Susan McCouch, die als Begründerin und energische Verfechterin des Smart Breeding gilt. Die Pflanzenforscherin von der Cornell University in Ithaca sieht die Natur als nie versiegenden Gen-Brunnen, aus dem die Züchter mit den molekularen Markern schöpfen sollen. In der Tat ist das Obst aus dem Supermarkt nicht selten Ergebnis der jahrelangen Inzucht von Hochleistungssorten. Die Gene von Jonagold, Cox Orange und Golden Delicious sind in vielen modernen Äpfeln zu finden. Dagegen haben die Graue Französische Renette und der Berner Rosenapfel keine berühmten Erben. Durch diesen Trichtereffekt ist der Gen-Pool über die Jahre verarmt. Von den 20 000 verfügbaren Sorten dreht sich auf dem Markt alles nur um 20 prominente.

Seit die Züchter das Erbgut der alten und wilden Bäume entdeckt haben, wird deren Konservierung in Gen-Banken immer wichtiger. Und von den Bäumen hält man nicht nur lebende Exemplare, sondern ihre knospenden Äste werden auch in Tanks mit flüssigem Stickstoff eingefroren. So erhielt das Institut für Obstzüchtung im Jahr 2003, nachdem der Feuerbrand in Pillnitz gewütet hatte, Zweige verschiedener Sorten aus der Bank der Cornell University. Die kahle Wiese wurde aus der Gefriertruhe aufgeforstet.

Botanischer Garten im Dauerfrost

Einen besonders großen botanischen Garten in flüssigem Stickstoff betreut die Genom-Konservierungsspezialistin Christina Walters vom National Center for Genetic Resources Preservation in Fort Collins in Colorado. Welchen Schatz sie hütet, zeigen die Sicherheitsvorkehrungen: Eine Notstromversorgung hält Tausende von Pflanzenteilen auch bei einem landesweitem Stromausfall im Dauerfrost. Das Gebäude ist gegen Überschwemmungen und Tornados gerüstet. Extrem dicke Wände und Decken sollen umstürzenden Bäumen und kleinen Flugzeugen Stand halten. Während die Apfelbäume im Freiland durch Unwetter oder Parasiten zerstört werden können, passiert den Pflanzenteilen im frostigen Fundus nichts. „Im flüssigen Stickstoff gibt es keine Krankheitskeime und keinen Klimawandel. Das ist der enorme Vorteil“, meint Walters.

Die Äste dienen als Kopie und Reserve für die lebenden Exemplare, da nur aus ihnen wieder der identische Obstbaum entstehen kann. Dazu werden die tiefgefrorenen Duplikate aufgetaut und auf einen nackten Stamm einer Kultursorte aufgepfropft. Der Zweig treibt einen Spross in das Holz. Ein Klon der ursprünglichen Sorte entsteht.

Wiese oder Gefriertruhe?

Doch die Reiser überstehen die Kälte von Minus 196 Grad Celsius in den Stahltanks nicht immer. „Die Zweige müssen mitten im Winter geerntet werden, sonst klappt es nicht“, erklärt Christina Walters. Vermutlich bilden die Pflanzen in der Kälte natürliche Frostschutzmittel auf der Basis von Zuckern oder Eiweißen. „Aber das ist immer noch ein Mysterium“, meint Walters. „Hier in Europa treiben die Zweige nach dem Auftauen generell nur schlecht“, ergänzt Viola Hanke. Überdies wissen die Forscher nicht, wie lange die Pflanzen in den Stickstofftanks halten. Kanadische Botaniker haben in diesem Jahr einen zehn Jahre alten Apfelzweig wieder zum Leben erweckt – ein Rekord.

Trotz der Unsicherheiten werden aufgrund der Zweigbanken die Freilandsammlungen in den USA bereits verkleinert: Man verzichtet auf das Duplikat jeder Apfelsorte. Statt zwei Bäumen wächst nur noch einer auf der Wiese, das spart Platz und Kosten. Auch in Deutschland ist geplant, die Kopien aus der Freilandsammlung in Pillnitz auszurangieren. Dort sucht Andreas Peil zurzeit nach Markern für wichtige Inhaltsstoffe. Einem Merkmal für Vitamin C ist er dicht auf der Spur. Und wieder einmal ist es eine Traditionssorte, die ihn bei seiner Suche leitet: der 400 Jahre alte Weiße Winterkalvill, ein sehr empfindlicher, dafür geschmacksintensiver, süß-säuerlicher Apfel, der Anfang des vergangenen Jahrhunderts kaum bezahlbar war. Heute kennt ihn niemand mehr.

Allerdings bringen die alten Sorten und wilden Arten auch Probleme mit sich. „Wenn man diese Bäume mit einer Kultursorte kreuzt, dauert es sehr lange, bis man die vom Handel geforderten Eigenschaften von der Fruchtgröße bis hin zur Saftigkeit wieder hinbekommt“, klagt Peil. Das Erbgut der Oldies muss deshalb in weiteren Kreuzungen schrittweise von dem der Kultursorten verdrängt werden, bis die Frucht der Norm entspricht. Die Gene für Widerstandskraft und Geschmack müssen dabei erhalten bleiben.

Hanke würde diesen mühsamen Drahtseilakt gerne umgehen: Aroma- oder Resistenz-Gene aus alten Pflanzen könnten viel schneller mittels Gen-Transfer ins Erbgut der Kultursorten eingeschleust werden, meint sie. „Cisgenetik“ heißt dieser neue Ansatz. Im Unterschied zur Transgenetik wird die Artenschranke nicht überschritten: Es werden nur Apfel-Gene auf Äpfel übertragen, keine Gene aus völlig anderen Pflanzenarten, Tieren oder gar Bakterien. Hanke hat ihren Mitarbeiter Henryk Flachowsky auf die Cisgenetik angesetzt. Er hat ein Resistenz-Gen gegen Feuerbrand in das Erbgut eines Pinova transferiert.

Mit „CISGENETik“ schneller zum Ziel

Im Gewächshaus päppelt er die genveränderten Bäumchen auf. Gerade mal ein Jahr arbeitet er daran, während Peil mit dem Smart-Breeding-Ansatz nach vier Jahren die ersten Mini-Früchte seiner hoffentlich feuerbrandresistenten Bäume erntet. „ Irgendwann wird die Cisgenetik eine ganz normale Methode sein“, ist Hanke überzeugt. Cisgenetik oder Smart Breeding – beide Methoden polarisieren die Wissenschaftler. McCouch hält jede Form der Gentechnik für überflüssig. Beistand erhält sie von Detlef Ulrich, Chemiker an der Bundesanstalt für Züchtungsforschung in Quedlinburg. „Durch die gentechnische Veränderung nur eines Gens können sich Kaskaden an Inhaltsstoffen verändern“, sagt er. „Nach dem Transfer muss man deshalb genauso lange weiter züchten wie bei einer Kreuzung.“ Er setzt daher auf Smart Breeding: „Bisher war Züchtung wie ein Schrotschuss ins Genom: Wir kreuzten, ohne zu wissen, welche Gene wir miteinander vereinten. Mit den molekularbiologischen Tests kommt endlich System hinein.“

Und was meint Andreas Peil? Der Apfelzüchter legt die Arme in den Nacken, überlegt einen Augenblick und sagt: „Beide Strategien haben ihre Berechtigung.“ Er betreibt zwar Smart Breeding, würde aber auch einen cisgenen Apfel essen. Obst züchten, das ist für ihn ein unpolitischer Akt mit einem Reiz der ganz anderen Art: „ Natürlich steckt viel Wissenschaft dahinter. Aber vor allem entwickelt man ein Gespür, welche Pflanze mit welcher zusammenpasst.“ Ein Züchter, der Pflanzen kreuzt, ist in seinen Augen auch ein Künstler, der lebendige Werke erschafft. Ein Boskoop würde sich wohl auf einen Weißen Winterkalvill einlassen, aber die neue Kreation wäre zu sauer. Pisaxa und Relinda, in einem Apfel vereint, wären langweilig. Aber einzeln liebt er sie beide. ■

Susanne Donner steht auf Ingrid Marie und Boskoop. Seit ihrer Recherche fragt sie auf dem Markt bei Äpfeln stets nach der Sorte.

Susanne Donner

Ohne Titel

· Smart Breeding ist eine beschleunigte Pflanzenzucht, bei der molekularbiologische Methoden zum Einsatz kommen.

· Forscher kreuzen damit zielgenau erwünschte Gene aus alten und wilden Obstsorten in Neuzüchtungen ein.

COMMUNITY Internet

Institut für Obstzüchtung Pillnitz:

www.bafz.de/baz2006V4/index.php?id=152

Informationssystem zu genetischen Ressourcen von Kultursorten und alten Sorten:

www.genres.de

Alte Sorten zum Bestellen:

www.genres.de/infos/vern/kataloguebersicht/sortenliste.htm

Lesen

Alan Toogood

Pflanzen vermehren

Expertenwissen für Hobbygärtner

Dorling Kindersley, Starnberg 2003, € 29,90

Beim Bestimmen alter Obstsorten hilft das unter Mitarbeit von Eckhart Fritz entstandene Buch:

Walter Hartmann

Farbatlas Alte Obstsorten

Ulmer, Stuttgart 2003, € 19,90

Ohne Titel

Ohne Titel

Die Rückbesinnung auf die Vielfalt in den Gen-Banken zieht sich durch die gesamte Pflanzenzüchtung. Ein Beispiel liefert das Institut für Obstzüchtung gemeinsam mit der Bundesanstalt für Züchtungsforschung in Quedlinburg: Den Forschern fiel auf, dass die alte französische Erdbeere Mara de Bois und die deutsche Mieze Schindler bei Verkostungen stets auf den vorderen Plätzen landen. Supermarktfrüchte schneiden dagegen schlecht ab. „Die schmecken eher nach Gurke als nach Erdbeere“, schimpft der Chemiker Detlef Ulrich vom Forschungsinstitut in Quedlinburg. Die Früchte wurden jahrelang auf Ertrag und Festigkeit getrimmt. „ Dabei sind die Inhaltsstoffe der genetischen Erosion zum Opfer gefallen“, bedauert Ulrich. Als er das Aroma von 70 verschiedenen Erdbeerpflanzen untersuchte, punkteten vor allem Raritäten wie die mongolische Wildbeere Fragaria mandshurica. Ebenso wie Mieze Schindler ist sie reich an Frucht-Estern. Das intensive Aroma der Wildfrüchte wird jedoch von einem bitteren Nachgeschmack begleitet, der die Gaumenfreude trübt. Die Supermarkt-Sorte Elsanta ist dagegen äußerst geruchsarm, dafür aber süß und mild. Mehr Aroma würde den Früchten gut tun, befand Ulrich nach seinem Test und kreuzte Fragaria mandshurica mit der heimischen Walderdbeere, bis das Ergebnis Elsanta um das Fünffache übertraf. „Die Beere schmeckt fantastisch. Aber sie ist so weich, dass sie für den Handel noch nicht taugt“, berichtet er. Unter acht Jahren Entwicklungszeit sei eben bei Erdbeeren nichts zu machen.

Ohne Titel

Im Herbst sind Sie ein gefragter Mann, Herr Fritz. Warum?

Weil ich zu den wenigen Spezialisten gehöre, die sehr viele Kernobstsorten bestimmen können.

Sie bestimmen Apfelsorten mit den Augen, aber auch mit dem Mund. Worauf achten Sie dabei?

Die Nase gehört auch dazu. Ich erkenne viele Sorten am Geruch der Schale. Die meisten erkenne ich auf den ersten Blick – an der Form, der äußeren Erscheinung, viele am Geschmack des Fruchtfleischs. Aber auch die inneren Merkmale und Kerne helfen bei der Bestimmung.

Wie wird man Pomologe?

Schwierige Frage. Studieren kann man das nicht. Ich hatte selbst Obstsorten, die ich nicht bestimmen konnte. Deshalb habe ich mich mit dem Thema beschäftigt, und so hat es seinen Lauf genommen. Als Perfektionist bin ich in der Pomologie an der richtigen Stelle.

Was sind das für Leute, die bei Ihnen Äpfel und Birnen bestimmen lassen?

Häufig stehen sie im letzten Drittel ihres Lebens. Da gibt es viele Dinge, die man bereinigen oder regeln will. Die Leute haben Obstbäume im Garten, die mit Kindheitserinnerungen verbunden sind. Und nun wollen sie wissen: Wie heißt eigentlich diese Sorte?

Was halten Sie von den neuen Züchtungsmethoden?

Ich würde mir wünschen, dass in der klassischen Züchtung mehr gemacht wird. Inzwischen laufen leider die meisten Anstrengungen nur in Richtung Molekularbiologie.

Und welche Äpfel essen Sie selbst am liebsten?

Man sollte jede Sorte zu ihrer Zeit genießen. Gerade jetzt, Mitte September, habe ich einen „Transparent aus Croncels“ gegessen – wunderbar. In zwei Wochen ist er nicht mehr gut.

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