Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

DIE 1. LIGA

Gesellschaft|Psychologie Technik|Digitales

DIE 1. LIGA
Der Bundespräsident vergibt seit 13 Jahren den Deutschen Zukunftspreis. So hoch aufgehängt ist keine andere nationale Auszeichnung für Forscher und Entwickler. Was hat der Preis bislang bewirkt?

BLITZARTIG entfaltet sich der Airbag im Fahrzeug, sobald es auf ein Hindernis prallt. Seit seiner Einführung verdanken rund 20 000 Autofahrer in Deutschland ihr Leben dem rettenden Luftsack. Verantwortlich für die schnelle Reaktion ist ein Sensor, der auf die abrupte Bremsbeschleunigung anspricht. Dazu braucht es nur eine bewegliche Masse und einen Mechanismus, der ihre Bewegung erfasst und in ein elektrisches Signal umwandelt. Im Prinzip einfach – sofern man nicht vor der Notwendigkeit steht, den Sensor zu einem Winzling schrumpfen zu lassen.

Forschern des Unternehmens Bosch ist das gelungen: Während die ersten piezoelektrischen Sensoren 1980 noch 400 Quadratmillimeter auf der Leiterplatte verdrängten, misst der aktuelle mikromechanische Sensor nur noch 34 Quadratmillimeter – eine Reduktion um mehr als 90 Prozent. Der bewegliche Beschleunigungsfühler des Bosch-Sensors, aus Silizium geätzt, ist dünner als ein menschliches Haar. Einschließlich der Signalverarbeitung passt das gesamte System in ein wenige Millimeter großes Gehäuse und damit in jede noch so vollgepackte Karosserie. Inzwischen machen sich die Bauteile sogar in Handys und Laptops nützlich. Bereits mehr als eine Milliarde dieser Sensoren haben die derzeit 2000 Mitarbeiter der Bosch-Tochter Sensortec produziert, eine neue Fertigungsanlage ist im Bau. Eine Erfolgsgeschichte – mit höchsten Weihen als Dreingabe: 2008 verlieh Bundespräsident Horst Köhler den Bosch-Forschern um Jiri Marek für ihre „smarten“ Sensoren den Deutschen Zukunftspreis.

DER WICHTGSTE INNOVATIONSPREIS

Die Wahl des Preisträger-Teams 2009 findet am 2. Dezember statt (siehe Kasten „Wer 2009 zur Wahl steht“). Schon zum 13. Mal wird dann die wichtigste nationale Auszeichnung für eine technische Innovation vergeben. Der „Preis des Bundespräsidenten für Technik und Innovation“ – so der Beiname der Auszeichnung – sei „gut für unser ganzes Land“, versichert Horst Köhler. Denn, so der Bundespräsident weiter, „wenn auf der Basis herausragender Wissenschaft marktfähige Produkte entstehen, profitieren wir alle davon, weil Innovationen neue Chancen bedeuten: auf Verbesserungen für unser Leben, auf Wohlstand, auf Arbeitsplätze“ . Ein hoher Anspruch. Steht das Erreichte nach 13 Jahren dafür?

Der Deutsche Zukunftspreis ist Chefsache, schon immer gewesen. Das Staatsoberhaupt verleiht die Auszeichnung und beruft die Auswahlkommission. Amtsinhaber Roman Herzog begründete 1997 den Preis – zu einer Zeit, als im Land schlechte Stimmung herrschte. Viele traditionsreiche, einst innovative deutsche Unternehmen hatten in den 1990er-Jahren den Zug ins Elektronikzeitalter verpasst. Den hielten nun amerikanische und vor allem japanische Firmen unter Dampf. Mit deutschen Markennamen wie Grundig, AEG und Telefunken gingen auch Zehntausende von Arbeitsplätzen verloren. Roman Herzog machte sich damals Sorgen um den Wirtschaftsstandort Deutschland. In seiner berühmten „Ruck-Rede“ vom April 1997 beklagte er den „Verlust wirtschaftlicher Dynamik, die Erstarrung der Gesellschaft, eine unglaubliche mentale Depression“ und forderte, dass ein Ruck durchs Land gehen müsse. Man müsse „rein in die Zukunftstechnologien“, durch Innovation neue Arbeitsplätze schaffen. Der Zukunftspreis zur Auszeichnung innovativer Forscher sollte dabei helfen. Er sollte nicht irgendein Erfinderpreis sein, sondern „der“ Preis für herausragende Innovationen – dotiert mit einer halben Million Mark (heute: 250 000 Euro), finanziert durch zehn große Stiftungen und Unternehmen. Bodenhaftung sollte der Preis haben: Die gute Idee allein reicht nicht. Die Statuten fordern: Die Idee muss patent- und marktfähig sein und Arbeitsplätze schaffen.

Anzeige

MEDIZIN UND PHARMAZIE LIEGEN VORN

Wofür Roman Herzog, Johannes Rau und Horst Köhler den Deutschen Zukunftspreis bislang verliehen haben, macht deutlich, wo Forschung und Industrie in Deutschland am innovativsten sind: Nimmt man auch die Nominierungen hinzu, liegen biologisch-medizinische Erfindungen aus Medizintechnik und Pharmazie mit 15 Projekten an der Spitze. In den Kreis der Besten gewählt wurden beispielsweise ein Hirnschrittmacher, ein Lasermikroskop, eine Magnetfalle für lebende Zellen, neuartige Wirkstoffe und ein Verfahren zur schonenden Strahlentherapie. Mit 5 Projekten ist die Sensortechnologie vertreten, etwa mit dem „ smarten“ Beschleunigungssensor oder einem Fingerabdrucksensor. Dieses Gebiet überlappt zum Teil mit der Halbleiter-, Mikro- und Optoelektronik, die 8 Projekte beisteuerten – von Leuchtdioden über Lichtweichen und einen sprachverstehenden Computer bis zu neuen Verfahren der Chip-Produktion. Aus der Fahrzeugindustrie kamen 7 Innovationen, darunter effiziente Motoren, Brennstoffzellen, Batterien und diverse Sicherheitssysteme.

Am Beginn steht der Vorschlag. Niemand kann sich selbst für den Deutschen Zukunftspreis bewerben. Vorschlagen dürfen 16 große Forschungsorganisationen und Wirtschaftsverbände, die in ihrer Summe das deutsche Forschungsfeld abdecken: Wer hierzulande herausragend innovativ ist, bleibt nicht unbemerkt. Eine der vorschlagsberechtigten Institutionen ist die Fraunhofer-Gesellschaft. Patrick Hoyer in der Münchener Zentrale ist dort für die Forschungspreise zuständig. Er berät potenzielle Kandidaten und hilft bei Bewerbungen. Bei Fraunhofer kommen so jedes Jahr fünf oder mehr Anwärter zusammen. Einen oder zwei schlägt die Gesellschaft schließlich vor. „Wir treffen eine gründliche Vorauswahl“, erklärt Hoyer. „Bei einem so hochrangigen Preis achten wir auf Qualität.“ Der analoge Ausleseprozess läuft in den 15 anderen vorschlagenden Organisationen ab. Über die eingegangenen Vorschläge, 20 bis 30 an der Zahl, entscheidet eine zehnköpfige Jury (siehe Interview im Anschluss an diesen Beitrag). Sie ist je etwa zur Hälfte mit Vertretern aus Wissenschaft und Industrie besetzt. Wessen Bewerbung auf dem Tisch der Auswahlkommission landet, der dürfte zur Crème de la Crème der angewandten Forschung in Deutschland zählen – ausgewählt aus Zehntausenden in Industrielabors, Forschungsinstituten und Universitäten. Die Jury beginnt ihre Arbeit im Januar, wenn die Preisträger des Vorjahres gerade den größten Medienansturm überstanden haben. Sie sichtet die umfangreichen Unterlagen der Kandidaten, vergleicht und bewertet. Die Juroren sind gründlich: Häufig haken sie bei Kandidaten nach, ziehen Erkundigungen ein. Im September gibt die Jury drei oder vier Nominierungen bekannt. Wenige Stunden vor der Verleihungszeremonie im Dezember wählt sie daraus den Preisträger.

WIE BEI DER OSCAR-VERLEIHUNG

Bis zum Ende bleibt es spannend. Man stellt die Nominierten und ihre Projekte ausführlich vor und drückt dann dem Bundespräsidenten einen Umschlag in die Hand, aus dem er das Schriftstück mit dem Namen des Preisträgers zieht. Auch das Staatsoberhaupt ist gespannt. So kennt man es von der Oscar-Verleihung in Hollywood. Und genauso wie in der Filmwelt „ Nominiert für den Oscar“ eine große Auszeichnung ist, gilt auch hier schon die Nominierung als Erfolg.

26 Preisträger hat es in den letzten zwölf Jahren gegeben. 4 Mal zeichnete der Bundespräsident einzelne Forscher aus, 8 Mal Teams von zwei bis drei Forschern. Drei Frauen sind darunter. Preisträger und Nominierte kommen vor allem aus großen Forschungseinrichtungen und Unternehmen. Mit 2 ausgezeichneten und 4 nominierten Teams liegt der Siemens-Konzern vorn. Die Großen der deutschen Innovationsszene – Siemens, Daimler, Fraunhofer- Gesellschaft, Max-Planck-Gesellschaft und Bosch – stellen die vordersten Plätze der für den Deutschen Zukunftspreis Auserwählten. Auch in der deutschen Patentstatistik führen die drei Industriefirmen an der Spitze das Feld an, die Fraunhofer-Gesellschaft ist unter den deutschen Forschungseinrichtungen die patentaktivste. Siemens, Daimler und Bosch sind zugleich wichtige Förderer des Zukunftspreises. Klaus Streubel von Osram Semiconductor, Preisträger des Jahres 2007, wittert jedoch keinen Einfluss der Industrielobby. Dazu arbeite die Jury zu sorgfältig, meint er.

BEGREIFLICHE ÜBERLEGENHEIT

Die Dominanz der Industrieforscher spiegelt wohl eher den Aufwand wider: Rund zwei Drittel der Forschungsinvestitionen in Deutschland trägt die Wirtschaft, ein Drittel der Staat. Und dass Siemens oben steht, sollte auch nicht wundern: Der Konzern beschäftigt über 30 000 Mitarbeiter in Forschung und Entwicklung und gibt dafür jährlich fast vier Milliarden Euro aus. Täglich meldet das Unternehmen mehr als 30 Patente an, mehr als jede andere deutsche Firma. Es stünde schlecht um den Konzern, wenn dieser Aufwand keine preiswürdigen Innovationen einbrächte. Zu kurz kommen nach Meinung von Streubel allerdings kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Die sind, laut Bundespräsident Köhler, zwar „das Salz in der Suppe“: Sie stellen fast 70 Prozent aller Arbeitsplätze und erwirtschaften 40 Prozent aller Umsätze im Land. Doch beim Deutschen Zukunftspreis wird diese Leistung nicht sichtbar, auch wenn die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen (AIF) „jedes Jahr“, wie deren Beauftragter Norbert Esser betont, einen KMU-Bewerber vorschlägt (Esser: „Flagge zeigen!“). Eine einzige Nominierung hat das bislang der AIF eingebracht, bis einschließlich 2009 wurden 16 Kandidaten aus dem Kreis der KMU nominiert.

EIN PREIS MIT ENORMER SCHUBKRAFT

Ist man erst einmal nominiert oder gar Preisträger, bricht die Öffentlichkeit wie ein Tsunami über die Auserwählten herein. Rainer Hintsche, Preisträger 2004, hatte rund 3000 Pressekontakte. An „riesige Publicity“ erinnert sich auch die Biochemikerin Martina Pohl, zusammen mit ihrer Kollegin Maria-Regina Kula Preisträgerin 2002. Diese Publicity hilft kräftig bei der Verwertung des Produkts. Der Informatiker Wolfgang Wahlster, 2001 für das Projekt „Sprachverstehende Computer“ ausgezeichnet, stellte vier Jahre später fest: Der Preis habe sein gesamtes Forschungsgebiet „mit der Schubkraft einer Weltraumrakete“ abheben lassen. Ein Preis dieses Kalibers erleichtert das Forscherleben. Man kommt einfacher an Fördergeld, wird von Industriepartnern eher akzeptiert, verbessert im Unternehmen seine Position. Innovation beginnt im Kopf – mit einer genialen neuen Idee, einem wissenschaftlichen Durchbruch, der Zusammenführung vorhandenen Wissens. Herauskommen sollte ein marktfähiges Produkt, das sich verkaufen lässt. Beides muss stimmen, die innovative Idee ebenso wie ihre erfolgreiche Umsetzung in nützliche Erzeugnisse: etwa der sprachverstehende Computer, das ultrascharfe Lichtmikroskop, Mikrosensoren, Leuchtdioden, Biochips, chemische Katalysatoren, Verfahren zur medizinischen Therapie, das weltweit erste digitale Funkmikrofon oder Flüssigkristalle für Bildschirme.

Aber auch Grundlagenforschung kann innovative Früchte tragen. Der zweite Preisträger, der Physiker Peter Grünberg vom Forschungszentrum Jülich, erhielt 1998 den Deutschen Zukunftspreis für den Riesen- magnetowiderstand (GMR), den er zehn Jahre zuvor entdeckt hatte. Was zunächst nur einen kleinen Kreis von Physikern interessierte, erwies sich schon bald als Entdeckung, mit der sich die Speicherdichte von Computerfestplatten immens erhöhen ließ. Zehn Jahre nach dem Deutschen Zukunftspreis konnte sich Peter Grünberg dafür obendrein den Nobelpreis in Stockholm abholen. Da war aus seiner Entdeckung bereits ein Milliardenmarkt geworden.

EINE IDEE WIRD ZUM MARKTPRODUKT

Auch den Zukunftspreisträger von 2006, Stefan Hell, könnte seine Entdeckung irgendwann nach Stockholm bringen. Grundlegend genug ist sie: Der Max-Planck-Forscher hat, entgegen aller Lehrbuchphysik, ein Lichtmikroskop entwickelt, mit dem man zehnmal schärfer sieht als mit herkömmlichen Mikroskopen. Damit können Biologen, sagt der Erfinder, „tief ins Innere lebender Zellen schauen und ihre Regulierung ,live‘ beobachten“. Hell hat frühzeitig erkannt, dass sich sein Gerät auch verkaufen lässt. Er hat es patentieren lassen und sich für Produktion und Verkauf mit der Firma Leica Microsystems einen Industriepartner gesucht. Das Unternehmen erhielt im Oktober 2009 von Max-Planck-Innovation, der Technologietransfer-Organisation der Max-Planck-Gesellschaft, eine Exklusivlizenz. Ingenieurwissenschaftliche Pionierleistungen sind die wichtigste Quelle innovativer Produkte. Dazu zählen die genannten Sensoren von Bosch ebenso wie die lichtstarken Leuchtdioden (LED), die ein Team um Klaus Streubel bei Osram entwickelt hat.

Das Ziel der dreijährigen Tüftelei war, die magere Lichtausbeute der Halbleiter-Leuchten deutlich zu steigern. Dazu bauten die Forscher in das Halbleitermaterial eine dünne Metallschicht ein. Sie wirft das Licht, das sonst nutzlos an der Rückseite austritt, nach vorn zurück. Eine einfache Idee, aber schwer zu verwirklichen. Niemand sonst hatte sich zuvor daran gewagt. Mit dieser sogenannten Dünnfilm-Technologie stellt das Unternehmen seit einigen Jahren LED-Chips her, die zu den hellsten weltweit gehören. „Viele große LED-Hersteller“, vermerkt Streubel stolz, „verwenden inzwischen die Regensburger Technologie.“ In Regensburg steht nun eine der modernsten LED-Fabriken der Welt mit über 1500 Mitarbeitern. Bei der LED-Autobeleuchtung ist das Unternehmen Weltmarktführer. Damit das so bleibt, fließen 15 Prozent des Umsatzes umgehend in die Forschung zurück.

NICHT NUR DEUTSCHLAND PROFITIERT

In den letzten sechs Jahren erhielten vor allem solche „ Umsatzbringer“ den Zukunftspreis. Doch nicht alle ausgezeichneten Projekte erfüllen diesen Anspruch. „Manche Erfindungen werden in Deutschland gemacht“, sagt Martina Pohl, „aber woanders verwertet.“ So erging es dem MP3-Verfahren des Fraunhofer-Forschers Karlheinz Brandenburg, Preisträger im Jahr 2000. Es ist die populärste Innovation, die mit dem Zukunftspreis ausgezeichnet wurde. Ihr Erfinder hat inzwischen einen Platz in der „Hall of Fame“ der International Electrotechnical Commission als einer der 120 wichtigsten Vordenker der Elektrotechnik aller Zeiten. Das Verfahren hat die Musikbranche revolutioniert, denn auf ihm beruhen viele Anwendungen im Internet ebenso wie die Medienabspielgeräte i-Pod und MP3-Player. Aber vor allem asiatische und US-Firmen verdienen daran.

Ein ähnliches Schicksal hatte der GMR, den Peter Grünberg Ende der 1980er-Jahre entdeckte und in weiser Voraussicht patentieren ließ. Deutsche Firmen, erinnert sich der Physiker, hätten damals kaum Interesse gezeigt. Einzig Siemens habe wegen einer Lizenz verhandelt, allerdings nur für die Anwendung des GMR-Effekts in Sensoren. Die GMR-Lese- und Schreibköpfe für Festplatten hat dann der US-Konzern IBM entwickelt und damit gutes Geld verdient. Immerhin kann heute dank IBMs Vorarbeit – und zur Freude des Nobelpreisträgers Grünberg – die mittelständische deutsche Firma Sensitec den GMR-Effekt nutzen, um schnelle Magnetfeld-Sensoren herzustellen. Sie messen Drehzahl, Drehmoment oder Beschleunigung und werden mehr und mehr in Autos eingebaut. „Das Potenzial ist immens“, vermutet Geschäftsführer Joachim Achenbach. Sensitec setzt damit rund 15 Millionen Euro pro Jahr um, die Zahl der Arbeitsplätze hat sich seit der Nutzung des GMR-Effekts auf 130 verfünffacht.

AUCH LIZENZEN BRINGEN GELD

Ein Trost ist außerdem: Obwohl die deutsche Industrie bei MP3 und GMR-Effekt den großen Markt verpasst hat, bringen beide Innovationen trotzdem als geistiges Eigentum Geld ein. So hat das Forschungszentrum Jülich mit dem GMR Dutzende von Millionen Euro an Lizenzgebühren verdient. Konsequent verwertet auch die MPG ihre Patente: Ihre Tochterfirma Max- Planck-Innovation hat seit ihrer Gründung vor 39 Jahren 260 Millionen Euro Lizenzeinnahmen verbucht. Bei der Fraunhofer-Gesellschaft ist die Produktion geistigen Eigentums sogar explizites Forschungsziel. Dazu soll die im März 2009 gegründete Fraunhofer-Zukunftsstiftung beitragen. Ihr Startkapital, 95 Millionen Euro, stammt vor allem aus MP3-Lizenzgebühren. Die mit dem Deutschen Zukunftspreis ausgezeichneten Innovationen, die aus den Labors starker Unternehmen kommen, haben sich glänzend behauptet. Schwerer haben es kleine „Start-ups“ – etwa die Firma eBiochips, eine Ausgründung des Fraunhofer Instituts für Siliziumtechnologie in Itzehoe. Hier hatte der Forscher Rainer Hintsche, Zukunftspreisträger 2004, einen Biochip entwickelt, mit dem sich gleichzeitig verschiedene Gifte schnell und präzise nachweisen lassen. Aber das Unternehmen – neun Mitarbeiter, jährlicher Umsatz etwa eine Million Euro – gelangte aus seinem Nischendasein nicht hinaus. 2007 verkaufte der Erfinder, nun schon im Rentenalter, eBiochips an die Firma Analytik Jena. „Kleine Firmen“ , so Hintsches Erfahrung, „sind gerade bei medizinischen Produkten in Bezug auf Marketing und Zulassungsverfahren überfordert.“ Osram-Forscher Klaus Streubel haut in die gleiche Kerbe: „Man braucht schon einen sehr langen Atem, um eine Innovation wirklich auf den Markt zu bringen.“ Daran hapert es bei kleinen und mittleren Unternehmen, die meist wenig Kapital haben. Da hilft auch ein Preisgeld von 250 000 Euro nicht weiter.

Hierzulande fehlt es an Wagniskapital, meint der Biologe Peter Gruss, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. Gruss erhielt 1999 zusammen mit seinem Göttinger Institutskollegen Herbert Jäckle den Deutschen Zukunftspreis für neuartige Konzepte zur Behandlung von Krankheiten wie Diabetes und Fettleibigkeit. Ihre damalige Ausgründung DeveloGen in Göttingen hat jetzt finanziell festen Boden gewonnen, seit sie im Mai 2009 eine Forschungspartnerschaft mit dem Pharmakonzern Boehringer Ingelheim eingegangen ist.

UNBEIRRBAR MUSS MAN SEIN

Auch wenn Innovationen immer mehr das Ergebnis von Teamarbeit sind: Der Zukunftspreis belohnt individuelle Leistungen. Teams müssen motiviert und während Durststrecken zusammengehalten werden. Das erfordert starke Charaktere – Wissenschaftler, die durchhalten können, die standhaft sind und das, was sie für richtig halten, auch durchsetzen wollen. Peter Grünberg ist stolz darauf, dass er seine Forschungen, die schließlich in die Entdeckung des GMR-Effektes mündeten, trotz des anfänglichen Widerstandes seines Chefs nie aufgegeben hat. Auch Maria-Regina Kula hat sich nicht beirren lassen, als sie begann, mittels neuartiger Verfahren Enzyme herzustellen und sich von Kollegen anhören musste: „Das wird nicht gelingen, das ist zu teuer.“ Stefan Hell kämpfte jahrelang, bis seine Idee eines neuartigen Lichtmikroskops akzeptiert wurde. Denn dagegen stand ein 120 Jahre altes, vermeintlich unumstößliches Gesetz der Physik.

Innovativ sein heißt, sich über Vorhandenes hinwegzusetzen. Innovative Produkte haben nur dann eine Chance, wenn sie unverkennbar besser – und am besten gleich auch preisgünstiger – als bereits vorhandene sind. Osrams Leuchtdioden liegen deshalb vorn, weil sich die Konkurrenz auf ihrem Vorsprung durch die alte Technologie ausgeruht hatte. „Mit unserer Dünnfilm-Technologie sind wir ein hohes Risiko eingegangen“, sagt Klaus Streubel. „Es hätte auch schiefgehen können.“ Der Zukunftspreis belohnt nicht nur fachliche Brillanz – er prämiert genauso Risikobereitschaft.

Bei der Preisverleihung im Dezember 2008 diskutierte der Bundespräsident mit den Nominierten auch über die Welt-Finanzkrise. Die Moderatorin der Runde, die TV-Journalistin Maybrit Illner, brachte dabei die Sache auf den Punkt: „Das wirkliche Mittel gegen die Krise“, sagte sie, „wird in den Labors und Forschungsinstituten des Landes hergestellt.“ Der Deutsche Zukunftspreis hat geholfen, mutige und hartnäckige Forscher und Entwickler, die in diesem Sinn Krisenvorsorge leisten, der breiten Öffentlichkeit vorzustellen. Denn auch wenn nicht alle ausgezeichneten Innovationen gleichermaßen erfolgreich waren: Unter dem Strich hat sich der Preis hervorragend bewährt – als Schaufenster für das Potenzial der Innovationswerkstatt Deutschland. ■

HEINZ HOREIS hat für bild der wissenschaft schon mehrfach Max-Planck- und Fraunhofer-Forschern über die Schulter geschaut.

von Heinz Horeis

WER 2009 ZUR WAHL STEHT

Drei innovative Projekte aus den Bereichen Materialforschung, Medizintechnik und Pharmazie hat die Jury als Kandidaten für den Zukunftspreis 2009 ermittelt:

Medikament zur Behandlung von Thrombosen

Nominiert: Frank Misselwitz, Dagmar Kubitza, Elisabeth Perzborn, Bayer Schering Pharma AG

An Thrombosen sterben in der westlichen Welt mehr Menschen als an Brust- und Prostatakrebs, Aids und Verkehrsunfällen zusammen. Das Unternehmen Bayer Schering Pharma hat in achtjähriger Arbeit ein neuartiges Medikament namens Xarelto entwickelt, das wirksamer und einfacher als die bisherige Standardtherapie vor Thrombosen schützt: Es wird nicht injiziert wie die vorhandenen Medikamente, sondern als Tablette verabreicht. Auch eine permanente Überwachung des Blutbilds zur Vermeidung von Fehldosierungen entfällt. Die Bayer-Forscher haben unter 2000 untersuchten Zielmolekülen eines gefunden, das, so eine Marktanalyse der Deutschen Bank, „dank seiner einzigartigen Eigenschaften Spitzenreiter seiner Klasse ist“.

Der Wirkstoff ist in 70 Ländern patentiert. 12 500 Patienten haben bislang an klinischen Tests teilgenommen. Bayer Schering Pharma erwartet für das Medikament ein Umsatzpotenzial von zwei Milliarden Euro pro Jahr. Seine Markteinführung, meinen die nominierten Forscher, stärke Deutschlands Ziel, wieder zur „ Apotheke der Welt“ zu werden.

Herzüberwachung per Mobilfunk

Nominiert: Hans-Jürgen Wildau, BIOTRONIK SE & Co. KG

Seit 2006 vertreibt das Berliner Medizintechnikunternehmen Biotronik Herzschrittmacher und Defibrillatoren mit Fernüberwachung. Der Herzschrittmacher übermittelt täglich wichtige Herzdaten per Mobilfunk, vollautomatisch und weltweit. Technisch innovativ ist die hohe Systemintegration. Datenverarbeitung und Funktechnologie sind in das Implantat integriert, das trotzdem nicht größer als ein herkömmlicher Schrittmacher ist. Eine Internetplattform empfängt die Daten, zeigt sie an und analysiert sie. Weichen die Werte von den Normalwerten des Patienten ab, wird der Arzt per Fax, E-Mail oder SMS informiert.

Biotronik ist das einzige Unternehmen, das diese Technologie anbietet. Weltweit sind damit bislang 150 000 Patienten ausgerüstet. Das Unternehmen hat in Deutschland 1700 Mitarbeiter. 100 hochwertige Arbeitsplätze sind bislang durch die neue Technologie entstanden.

Energieeffiziente Gebäude durch intelligente Materialien

Nominiert: Volker Wittwer und Peter Schossig, Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme ISE, Ekkehard Jahns, BASF AG

Forscher vom Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme und des Chemiekonzerns BASF haben ein Material entwickelt, das bei hohen Außentemperaturen ein angenehmes Raumklima schafft. Es erspart die Installation von Klimaanlagen. Wenn es im Gebäude bereits welche gibt, kann man sie zumindest stark herunterregeln. Das spart Kosten und Energie.

Der Ausgangspunkt sind Stoffe, die zwischen 23 und 26 Grad Celsius schmelzen und damit der Umgebung Wärme entziehen. Ab Mitte der 1990er-Jahre entwickelten Fraunhofer-Forscher und die BASF eine neuartige Lösung für solche Latentwärmespeicher: mikroskopisch kleine Kunststoffkapseln mit einem Kern aus reinem Wachs. Dieses Wachs schmilzt ab einer bestimmten Raumtemperatur und nimmt die überschüssige Raumwärme auf. Der Clou ist die Größe der Kapseln. Sie sind so winzig, dass man sie als Pulver etwa dem Wandputz zugeben oder in Gipsplatten einbringen kann. Eine 1,5 Zentimeter schmale Gipsplatte kann gleich viel Wärme speichern wie eine 9 Zentimeter dicke Betonmauer.

Die BASF brachte das erste Produkt 2004 auf den Markt. Die Firma rechnet damit, dass der Markt für Latentwärmespeicher mittel- und langfristig stark wachsen wird. Eine neue Großanlage zur Fertigung der Mikrokapseln ging vor einem Jahr in Betrieb.

KOMPAKT

· Der Deutsche Zukunftspreis wird seit 1997 jedes Jahr im Dezember verliehen und ist mit 250 000 Euro dotiert.

· Der Preis belohnt Mut und Risikobereitschaft bei Forschern und Entwicklern, die aus innovativen Ideen erfolgversprechende Marktprodukte gemacht haben.

MEHR ZUM THEMA

EVENT

Die Arbeiten der mit dem Deutschen Zukunftspreis Ausgezeichneten können Besucher des Deutschen Museums mit allen Sinnen erleben: Eine multimediale Dauerausstellung präsentiert dort die jeweils zehn aktuellen preisgekrönten Projekte. Als „ Hall of Fame“ würdigt die Ausstellung sowohl die wissenschaftlichen Leistungen als auch die volkswirtschaftliche Auswirkung der Innovationen.

Sonderausstellung DEUTSCHER ZUKUNFTSPREIS Deutsches Museum Museumsinsel 1, 80538 München Tel.: 089/217 91 Fax: 089/217 93 24 Automatische Telefonauskunft: 089/217 94 33 Internet: www.deutsches-museum.de

Öffnungszeit: täglich von 9 bis 17 Uhr

Eintrittspreise: Erwachsene € 8,50, Kinder von 6 bis 15 Jahren € 3,–

INTERNET

Alles über den Deutschen Zukunftspreis in Wort und Bild: www.deutscher-zukunftspreis.de

Ohne Titel

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Te|le|fo|nat  〈n. 11〉 Telefongespräch, Anruf ● ein ~ führen

Va|so|kon|strik|tor  auch:  Va|so|kons|trik|tor  auch:  … mehr

al|lar|gan|do  〈Mus.〉 breiter u. langsamer werdend (zu spielen); Sy largando … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige