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Das Enfant terrible

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Das Enfant terrible

So entsorgt man Anstößiges: Schnell eine Schablone schnitzen, nur möglichst grob an die Tatsachen anpassen – dann ab in die Schublade. Und die bleibt zu. Sicherheitshalber elf Jahre. Das ist fast die Höchststrafe für lebenslänglich verurteilte Regelbrecher. 1990 kehrte der damals 32jährige Dr. Eberhard Zangger nach Geologiestudium, Promotion und Forschungsarbeiten in Amerika, England und im Mittelmeerraum nach Deutschland zurück. Er nannte sich „Geoarchäologe“ – ein Studienabschluß, den man in den USA, nicht aber in Deutschland erwerben konnte. Das Etikett „ Enfant terrible der Archäologie“ hatte der Naturwissenschaftler schnell am Hals, denn er stellte Fragen an die archäologische Lehrmeinung – für deutsche akademische Verhältnisse vorlaut und unverfroren. Noch schlimmer: Er tat dies nicht auf Symposien oder in den Kungelstuben gelehrter Zirkel, sondern in der Öffentlichkeit und mit populär geschriebenen Büchern.

„Ich war zu ungeduldig, um meine Ideen langsam in die Community zu infiltrieren“, sagt der Regelverletzer heute. Und: „ Ich fand meine Ideen so spannend, daß ich dachte, darüber muß man doch reden.“ Zum Beispiel über die Frage: Wo lag der Hafen von Troja wirklich? Darüber wird heute noch gestritten. Zanggers Vorstellung von wissenschaftlicher Auseinandersetzung war offenbar naiv und wurde mit Mißachtung durch die Gemeinschaft geahndet. Nach seinem „Atlantis“-Buch (1992) konnte die Szene die darin vertretene These „Atlantis gleich Troja“ erleichtert als Humbug abtun, und den Mann gleich dazu. Der Versuch von bild der wissenschaft, den in Deutschland meinungsführenden Troja-Ausgräber Prof. Manfred Korfmann und Eberhard Zangger an einen Diskussionstisch zu bekommen, schlug fehl. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Zanggers Fragen und Anstößen – etwa zur ägäischen Vor- und Frühgeschichte oder zur Bedeutung von Troja im bronzezeitlichen Machtgeflecht – fand auch danach nicht statt. Die Schublade blieb zu. Statt dessen wurde Zangger bis ins Jahr 2000 mit dem – für einen Wissenschaftler tödlichen – Hinweis aus der Forschergilde gekegelt: Sein Name sei in keiner wissenschaftlichen Publikation zu finden. Das Münchener Landgericht untersagte Prof. Korfmann vor einem halben Jahr die Wiederholung dieser Behauptung, bei Androhung einer Strafe von 500000 Mark.

Aber da hatte Zangger seine Lektion längst gelernt. Schon zwei Jahre zuvor war er, Familienvater und 41 Jahre alt, von der Wissenschaft in die Wirtschaft gewechselt. Anfang April 2001 lud die Heidelberger Akademie der Wissenschaften ihn als Referenten zu einem Symposium „Lebensraum Troia“ ein. Der in seriöses Business-Tuch gekleidete ehemalige Störenfried nutzte die Einladung zur Verabschiedung: „Sie haben meine wissenschaftlichen Arbeiten nicht zur Kenntnis genommen, Sie haben auf meine Briefe nicht geantwortet, Sie haben jahrelang nicht mit mir geredet“ – bei ihm sei inzwischen kein Gesprächsbedarf mehr vorhanden. Aufatmend kehrte die Gemeinschaft der Gelehrten zur Tagesroutine zurück.

Michael Zick

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