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„Gute Qualität heißt: Viel Aufwand“

Technik|Digitales

„Gute Qualität heißt: Viel Aufwand”
Nach knapp siebenjähriger Entwicklungszeit produziert die Firma Würth Solar jetzt großvolumig Dünnschicht-Solarzellen und will damit den Wettbewerb aufmischen.

Ministerpräsidenten lassen sich solche Termine nicht nehmen. Als am 27. Oktober 2006 im Schwäbisch Haller Vorort Hessental eine neue Produktionsstätte für Solarmodule eingeweiht wird, ist Günther H. Oettinger, Landeschef von Baden-Württemberg, als einer von 400 Gästen selbstverständlich mit von der Partie. Die neue Fabrik soll ab 2007 jährlich rund 200 000 Solarmodule produzieren. Zusammengenommen werden sie eine Maximalleistung von 14,8 Megawatt haben. 175 Mitarbeiter arbeiten daran, dass dieses Ziel erreicht wird und die Module auch verkauft werden.

Mit dieser Produktion schlägt die Würth-Unternehmensgruppe (54 000 Mitarbeiter weltweit, 6,9 Milliarden Euro Umsatz 2005, 455 Millionen Euro Gewinn vor Steuern) „ein neues Kapitel der Photovoltaik auf, denn weltweit erstmalig laufen dort von nun an CIS-Solarmodule in Großserie vom Band” – so die Eigendarstellung im Internet. Anstelle der heute üblichen 200 bis 300 Mikrometer dicken Silizium-schicht tragen die Module nur noch ein photovoltaisch wirksames Häutchen von 2 Mikrometer Dicke, das sich aus den Elementen Kupfer, Indium und Selen aufbaut und in Fachkreisen abgekürzt als CIS firmiert.

Eine solche Innovation schafft man nur im Team. Sie hat somit viele Väter. Dennoch stechen vier Personen besonders hervor, ohne die am 27. Oktober der Ministerpräsident nicht aufs Land gekommen wäre: Karl-Heinz Groß als Geschäftsführer der Würth Solar GmbH & Co KG, Bernhard Dimmler, Diplom-Ingenieur und Entwicklungschef, Betriebsleiter Bernd Sprecher und natürlich Reinhold Würth – der vom Land Baden-Württemberg mit dem Professorentitel geadelte Konzernpatriarch und Vorzeige-Unternehmer.

Er hatte 1996 in Stuttgart das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff- forschung Baden-Württemberg – kurz ZSW – besucht und war wie elektrisiert von dem, was er dort sah: Man konnte Solarzellen mit einer deutlich dünneren und damit auch preisgünstigeren aktiven Schicht herstellen, als er bis dato glaubte. 1999 gründete er in Marbach am Neckar die Firma Würth Solar. Deren Ziel: „Mittelfristig den Output auf mindestens zehn Megawatt steigern”, wie es in einem bdw-Beitrag vom Juli 2000 hieß. „Erst wenn wir in diesem Maßstab produzieren, können wir die Herstellkosten so herunterfahren, dass damit Geld zu verdienen ist”, sagte Dimmler damals.

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Da es für die CIS-Technologie so gut wie keine Standard-Produktionsmaschinen gab, verstrichen Jahre, ehe die Technik serienreif war. „Der Anlagenbau für eine Pilotfabrik schien vielen Lieferanten zu risikoreich. Selbst die späteren Geschäftsmöglichkeiten wollten sie nicht sehen”, resümiert Groß, gelernter Betriebsschlosser und Wirtschaftsingenieur. Das Kommen und Gehen der Partner – etwa weil einige plötzlich insolvent waren – verzögerte die Pilotfertigung. Mehr noch: Zwar gilt Baden-Württemberg als Land der Lasertechnologie. „Doch die Laserstrukturierung unserer Zellen mussten wir selbst entwickeln. Keiner wollte das machen”, so Groß. Überdies kostete es viel Zeit, sich das Wissen anzueignen, wie man den Ausstoß von einem Modul pro Tag auf 60 erhöht. „So hatten wir plötzlich ein Problem mit dem Glas, das Verspannungen bekam. Erst nach mehr als einem Jahr bekamen wir das in den Griff”, verrät Groß. Die Lösung lieferte ein fachkundiger Professor aus dem Glasbereich, auf den die Mitarbeiter nach einigem Suchen gestoßen waren. „Der hat unser Problem aus dem Bauch heraus gelöst.” Nachdem die Abkühlkurve während des Beschichtungsprozesses modifiziert wurde, seien die Verspannungen verschwunden, berichtet der Geschäftsführer.

Ein wesentlicher Ferti-gungsschritt der CIS-Zellen von Würth Solar ist die Abscheidung von hochwertigen Kupfer-Indium-Diselenid-Kris- tallen in Vakuumkammern. Nur Kristalle mit bester Qualität haben die chemischen und physikalischen Halbleiter- eigenschaften, um über Jahre einen hohen Wirkungsgrad zu gewährleisten. Die Kristalle auszuformen dauert mehrere Minuten. Dieser Prozess ist komplex und energieintensiv. Hier steckt also Potenzial zur Kostenreduktion. „ Wer gute Qualität produzieren will, kommt gegenwärtig allerdings nicht um diesen Aufwand herum”, erklärt Bernhard Dimmler. Deshalb sei die Chance, gute CIS-Solarzellen im Druckverfahren herzustellen, was das Unternehmen Nanosolar anstrebt (siehe Seite 84), allenfalls am Horizont sichtbar. Ein wichtiger Meilenstein der Pilotentwicklung war für Dimmler, „als wir von Quadratzentimetern auf Quadratdezimeter umgestiegen sind – also unsere Solarmodule größer dimensionieren konnten”. Am Anfang sei es ungewiss gewesen, ob das zu schaffen sei. „Läuft uns die Zeit davon?”, fragten sich viele. „Ich selbst hatte nie Zweifel, dass wir das Ziel erreichen”, sagt der Diplom-Ingenieur heute. Er beschäftigt sich mit Dünnschicht-Solarzellen seit seiner Diplomarbeit 1983 und war Reinhold Würth bereits bei dessen Besichtigung des ZSW 1996 aufgefallen: „Wenn wir da etwas machen, müssen Sie mitkommen”, hatte der Konzernchef gesagt.

Zweifel, ob die Module in Serie gehen würden, gab es an anderer Stelle schon. Als bild der wissenschaft bereits 2004 bei Würth Solar nachfragte, wann denn die Entscheidung fallen würde, wurden wir mehrfach vertröstet. Der Autor dieses Beitrags war überrascht, als Karl-Heinz Groß im Mai 2005 verkündete: „Ich freue mich wahnsinnig. Die jetzige Pilotproduktion wird zur Serie ausgebaut.” Groß räumt ein, dass Würth Solar mit der Serienfertigung ein gutes Jahr später dran ist als zu Beginn der Pilotproduktion gedacht. „Doch das ist bei so komplexen Dingen ganz normal.”

Spatenstich für die Produktionsanlage war im Oktober 2005. Hergestellt werden dort 60 mal 120 Zentimeter große Module, die mit einem auf Jahre garantierten Wirkungsgrad von 11,3 Prozent aus dem eingestrahlten Sonnenlicht Gleichstrom erzeugen können. Damit entspricht der Wirkungsgrad etwa dem von marktgängigen polykristallinen Siliziummodulen und liegt lediglich rund 2 Prozent unter dem von monokristallinem Silizium.

Die genannten Wirkungsgrade sind bei optimaler Sonneneinstrahlung in der Praxis dauerhaft erreichbar. Andere werden nur im Labor erzielt – unter optimierten Bedingungen und mit eigens fit gemachten Zellen. Deshalb empfiehlt es sich, ganz genau hinzuhören, wenn jemand von Rekorden berichtet: Handelt es sich um physikalisch erreichbare Potenziale? Erhofft sich ein Hersteller einen bestimmten Wirkungsgrad im Laufe des Optimierungsprozesses? Wird er auch nach Jahren im Einsatz noch erreicht? Oder ist das Material dann schon in Mitleidenschaft gezogen – degradiert, wie der Fachterminus heißt?

„Der Kunde ist gut beraten, wenn er die Dinge nachprüft, die man ihm verspricht”, meint Dimmler. „Man muss äußerst vorsichtig sein, dass man Meldungen über Wirkungsgradrekorde nicht überinterpretiert. Es ist ein großer Unterschied, ob sie auf einer wenige Quadratmillimeter kleinen Zelle erreicht werden oder auf Quadratdezimetern.”

Würth Solar muss in den kommenden Jahren weitere Produktivitätsfortschritte erzielen. Nur so können Solarmodule, die pro Watt Spitzenleistung zurzeit zwischen 3,50 und 4 Euro kosten, preisgünstiger werden. „Zur Mitte des nächsten Jahrzehnts kommen wir mit den Produktionskosten für Photovoltaik so hin, dass wir uns mit konventionellen Stromerzeugern im Wettbewerb befinden”, hofft Groß. Erreicht werden soll dies auch durch ein Mehr an Output: Die Modulfabrik ist so dimensioniert, dass die jetzige Kapazität nahezu verdreifacht und in einer zweiten Ausbaustufe noch einmal verdoppelt werden kann.

Es war höchste Zeit, mit der Serienproduktion zu beginnen. Denn nur, wer jetzt am Markt ist, kann Mitnahme-Effekte erzielen: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz finanziert den Ausbau der Photovoltaik in beträchtlichem Ausmaß. Überdies entwickelt sich die gesetzgeberische Erfindung der rot-grünen Koalition zum Exportschlager. Spanien hat das Modell bereits übernommen. In Italien, Frankreich und Griechenland ist ein ähnliches Gesetz geplant.

Würth Solar – so die Planung – wirft ab 2007 Gewinne ab. „Die Fabrik in Schwäbisch Hall wird nicht unsere letzte sein. Wichtig ist, dass die Konzernführung bereit ist, auch international zu investieren”, sagt Groß. Die Konkurrenz ist beachtlich. Außer Nanosolar (über die Dimmler sagt: „Ich habe von dort weder ein Proof of Concept gesehen, noch kenne ich Produkte, die von unabhängigen Instituten getestet worden sind”) stehen die Firmen Showa-Shell, Honda und Avancis – ein Gemeinschaftsunternehmen von Shell und dem Glashersteller Saint-Gobain – für Serien von 20 und mehr Megawatt in den Startlöchern.

Der inzwischen 71-jährige Würth, der sich vor Jahren aus der aktiven Arbeit seiner Unternehmensgruppe zurückgezogen hat, aber neben vielen Ehrenämtern noch Vorsitzender des Stiftungsaufsichtsrates der Würth-Gruppe ist, wird für Dynamik sorgen. „Wir haben einen Gesellschafter, der Leistung abfordert. Gleichwohl hat er uns nie bedrängt, wenn wir mit der Entwicklung der Technologie nicht so richtig vorankamen”, erklärt Geschäftsführer Groß. Reinhold Würth ist außergewöhnlich – und eigenwillig: Der Standort in Marbach am Neckar behagte ihm für die Serienproduktion nicht. Zum Leidwesen der dortigen Stadtväter siedelte er seine Modulfabrik – im Unternehmensslang: CISfab – in einem Industriepark in Schwäbisch Hall an. Dafür entschied er sich nicht zuletzt, weil das Werk nun unmittelbar an einem Regionalflugplatz liegt – einem Sprungbrett nach Übersee.

Ausschlaggebend für den Umzug war aber die Bodenständigkeit des Unternehmers. Er macht sich für seine Heimatregion stark, die abseits der Kristallisationspunkte der Weltwirtschaft liegt. Würth fördert dort Hochschulen, schafft Museen und nun auch die modernste Solarfabrik der Welt. Die Marbacher Beschäftigten spielten mit: Alle wichtigen Köpfe blieben dabei. „Und in der Produktion”, so Groß, „haben uns nur zwei Mitarbeiter den Rücken gekehrt.”

Hätte Würth in den östlichen Bundesländern investiert, wie so viele Hersteller der boomenden Photovoltaik-Branche, wären ihm mehr als 20 der 55 Millionen Investitionskosten von der EU erstattet worden. Doch er wollte Hohenlohe stärken – eine Gegend, die in der Gastronomie bundesweit wegen des Schwäbisch-Hällischen Landschweins geschätzt wird. Im Gegensatz zu der schmackhaften Hausschweinrasse hat Würth Solar noch keinen Eintrag in Wikipedia. ■

Wolfgang Hess

Ohne Titel

• Der Aufbau einer völlig neuen Solarmodultechnologie kostet schon deshalb viel Zeit, weil die Maschinen nicht von der Stange gekauft werden können.

• In Schwäbisch Hall startete soeben die Serienproduktion von CIS-Modulen, die eine photovoltaisch wirksame Fläche von 0,7 Quadratmetern haben.

COMMUNITY internet

Die Webseiten von Würth Solar:

www.wuerth-solar.de

Mehr über die Entwicklung der Solarenergie: www.bsi-solar.de

Wer genau wissen will, wie die Förderung von Photovoltaik aussieht:

www.solarserver.de/geld/html

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