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Morgendämmerung des Lebens

Erde|Umwelt Technik|Digitales

Morgendämmerung des Lebens
Bereits vor 3,5 Milliarden Jahren bevölkerten sehr verschiedenartige Mikroorganismen Erde, Luft und Wasser.

Eine flache Lagune bei Ebbe. Am Horizont türmen sich hohe Vulkankegel. Die Berge sind eingehüllt von Aschewolken und Wasserdampf – erzeugt durch das Zusammentreffen von Lava und Meerwasser. In der Lagune selbst, einer weiten Ebene aus grauem Schlick, winden sich ein paar Priele in Richtung Meer. Hie und da glitzern flache, salzige Gezeitentümpel im Sonnenlicht.

Eine düstere Szenerie im Archaikum vor 3,5 Milliarden Jahren – in einer Zeit, als die junge Erde gerade ihrer chaotischen Kindheit entwuchs. „Ein höllisches Zeitalter“, sagt Michael Bau, Professor an der International University Bremen.

Vulkane spucken Lava, Asche und giftige Gase. Die Atmosphäre ist frei von Sauerstoff. Immer wieder treffen Meteoriten auf die junge Erde. „Auch das Meer ist zu dieser Zeit eine unappetitliche Brühe“, sagt der Geochemiker, „mit einer Temperatur von über 50 Grad Celsius und einen extrem hohen Salzgehalt.“ Das Wasser enthält keinen Sauerstoff, dafür viel Eisen, Mangan und Schwermetalle.

Und doch wimmelt die archaische Lagune von Leben. Es ist zwar mikroskopisch klein, bildet aber bereits komplexe Ökosysteme, die an unterschiedliche Bedingungen angepasst sind. Und es hinterlässt sichtbare Spuren: In der Gezeitenzone liegende Steine sind mit einer glitschigen Schleimschicht überzogen – einem Biofilm, der aus Millionen von Mikroben besteht. Wenige Meter weiter formen andere Bakteriengemeinschaften girlandenartige Strukturen, die sich meterweit am Meeresboden erstrecken. Im tieferen Wasser haften Gebilde am Meeresboden, die Eierkartons oder umgedrehten Eiswaffeln ähneln.

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Die Ablagerungen des Küstenstreifens wurden von Vulkangestein verschüttet und verwandelten sich im Lauf der Jahrmillionen in ein rotbraunes Quarzgestein. Es ist heute in der entlegenen Pilbara-Region im Nordwesten Australiens zu finden. Die Relikte der Bakteriengemeinschaften darin sind wahrscheinlich die ältesten Fossilien der Welt.

Die versteinerten Girlanden, Eiswaffeln und Eierkartons bestehen allesamt aus wenige Millimeter dicken Schichten, die, so argumentierte ein Forscherteam um Abigail Allwood von der Macquarie University in Sydney kürzlich in der Fachzeitschrift nature, nur durch Lebewesen erzeugt worden sein können. Diese Gebilde werden Stromatolithen genannt – frei übersetzt: „ Teppichgestein“. Noch heute kommen Stromatolithen vereinzelt vor, meist in Salzseen oder sehr salzigen Meeresbuchten. Auf Bakterienfilmen bleiben dort Kalkkörnchen kleben, die sich zuvor im Flachwasser gebildet haben. Nach und nach entstehen daraus Schichten.

Bei den Stromatolithen aus der Pilbara-Region bestanden bislang Zweifel, ob sie biologischen Ursprungs sind. Allwood und ihre Kollegen argumentieren jetzt, dass die Vielseitigkeit der Formen sich nicht durch anorganische Prozesse erklären lässt. „ Die Organismen lebten unter relativ normalen marinen Bedingungen und bildeten ein blühendes Riff-Ökosystem“, ist die Forscherin überzeugt.

Da sichtbare Fossilien wie die Stromatolithen von Pilbara selten sind, ist die Suche nach Leben im Archaikum eine mühsame Detektivarbeit. „Wer die Frühgeschichte des Lebens aus den geologischen Archiven rekonstruieren möchte, steht vor der Aufgabe, ein unvollständiges Puzzle fertigzustellen“, klagt der Biogeochemiker Don Canfield von der University of Southern Denmark in Odense. „Ein paar Teile passen zusammen, viele aber nicht, und die meisten fehlen.“

Um mehr Puzzleteile zu finden, sind die Forscher ständig auf der Suche nach möglichst unverändertem Gestein aus dem Archaikum. Einer der besten Orte dafür ist die Pilbara-Region. Dort bohrten daher mehrere Forscherteams 2003 und 2004 im Rahmen des von der NASA initiierten „Archean Biosphere Drilling Program“ und des „ Deep Time Drilling Program“ insgesamt 13 bis zu einem Kilometer tiefe Löcher. Ziel war es nicht nur, die Anfänge des Lebens auf der Erde zu untersuchen. Es ging auch darum, Techniken zu entwickeln, mit denen sich Relikte von Lebewesen auf anderen Planeten identifizieren lassen. „Die Astrobiologen brauchen erstklassige Daten von der Erde, um zum Beispiel auf dem Mars Lebensspuren finden zu können“, erläutert Projektleiter Arthur Hickman von der University of Western Australia in Perth.

In den Bohrkernen stießen die Forscher zuhauf auf Lebensspuren, zum Beispiel auf so genannte Biomarker: widerstandsfähige Moleküle, die die Jahrmilliarden praktisch unverändert überdauert haben. Dabei handelt es sich um Hopanoide – stabile Moleküle aus vier Kohlenstoff-Ringen. Einzeller verstärken damit ihre Zellwände. Die ersten Analysen, berichtete Rose Grymes vom NASA Astrobiology Institute kürzlich auf der Tagung der European Geosciences Union in Wien, deuten auf eine vielfältige Mikrobengesellschaft im Archaikum hin.

Welche Einzeller damals die Erde bevölkerten, fanden unter anderem Forscher um Yuichiro Ueno vom Tokyo Institute of Technology in Yokohama heraus. In Pilbara-Vulkangestein analysierten sie eingeschlossenes Methan und stellten fest, dass Mikroben das Gas produziert hatten. Die lebten einen Kilometer tief unter dem Meeresgrund und gehörten zu den Archäen – einzelligen Organismen, die heute vor allem in extremen Milieus zu finden sind. Moderne Methanbildner leben zum Beispiel in Sümpfen – oder im Verdauungstrakt von Wiederkäuern.

Auch andere heute noch lebende Mikrobenarten tummelten sich schon damals auf der Erde. „Wir können sicher sein, dass eine aktive Biosphäre existierte, die viele Bestandteile moderner anaerober Ökosysteme enthielt“, lautet die Einschätzung von Don Canfield. Außer den methanogenen Organismen gehörten dazu Sulfat-Reduzierer, die statt Sauerstoff Sulfat zum „Atmen“ brauchen. Es gab auch schon Purpurbakterien und grüne Schwefelbakterien. Diese Mikroben betreiben Photosynthese, stellen dabei aber keinen Sauerstoff her.

Ob vor 3,5 Milliarden Jahren bereits Cyanobakterien lebten, die ersten Sauerstoffproduzenten, ist nicht gesichert. „In einigen Gesteinen dieses Alters sind winzige Strukturen gefunden worden, die manche Kollegen für versteinerte Cyanobakterien halten“, sagt Michael Bau vorsichtig. „Aber das ist umstritten. Ähnliche fadenförmige Gebilde können auch anorganisch entstehen.“ In modernen Stromatolithen bilden Cyanobakterien die oberste Schicht der Bakteriengemeinschaft, die mehrere Stockwerke aus unterschiedlichen Organismen umfasst. Die Stromatolithen aus dem Archaikum, die weniger komplex und von geringerer Formenvielfalt sind, hatten aber möglicherweise einen anderen Aufbau. „Es besteht jedenfalls wenig Zweifel daran, dass sich nennenswerte Mengen freien Sauerstoffs in der Atmosphäre erst vor 2,4 Milliarden Jahren anreicherten“, sagt Michael Bau. Damals gab es im heutigen Westaustralien und in Südafrika erstmals riesige Schelfgebiete, in deren flachem Wasser sich Stromatolithen ausbreiteten und große Mengen Sauerstoff produzierten.

Das höllische Archaikum scheint vor etwa 2,7 Milliarden Jahren zu Ende gegangen zu sein. Jennifer Eigenbrode und Katherine Freeman von der Pennsylvania State University fanden heraus, dass sich damals im flachen Wasser erste „Sauerstoff-Oasen“ bildeten. Das Gas war zwar für die meisten Mikroben des Archaikums giftig, doch einige Organismen konnten nun Sauerstoff für ihre Atmung verwenden. Wenige Hundert Millionen Jahre später begannen sie, die Welt zu beherrschen. ■

Ute Kehse

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