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Streit um die Dunkle Materie

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Streit um die Dunkle Materie
Italienische und amerikanische Wissenschaftler hadern um eines der größten Rätsel der modernen Physik: Haben sie Spuren unsichtbarer Schatten-Teilchen erhascht?

Experimente in Italien und in den USA haben vermutlich erste Hinweise auf die lange gesuchte Dunkle Materie gebracht. Physiker vermuten die Existenz dieser unsichtbaren Partikel seit Jahrzehnten, aber ins Netz der Detektoren hat sich bislang noch keines der geisterhaften Teilchen verirrt.

Dabei besteht das Universum rechnerisch zu über 90 Prozent aus dieser Dunklen Materie. Denn die Bewegungen von Galaxien und Galaxienhaufen können nur erklärt werden, wenn bedeutend mehr Materie in den Galaxien und Haufen steckt, als sich in Form von Sternen und Wolken aus Gas oder Staub beobachten läßt. Auch sagen physikalische Theorien, mit denen die bekannten Naturkräfte auf eine einheitliche Superkraft zurückgeführt werden, die Existenz bislang unbekannter Elementarteilchen voraus. Und die kosmologischen Modelle der Entwicklung von Galaxien und -haufen sind ebenfalls auf Dunkle Materie angewiesen. Falls es diese finsteren Partikel gibt, dürfen sie nicht der elektromagnetischen Wechselwirkung unterliegen und deshalb kein Licht aussenden oder reflektieren. Vermutlich flitzen sie ständig durch normale Materie hindurch, ohne signifikant darauf zu reagieren. Mit neuen Detektoren und raffinierten Nachweismethoden versuchen die Physiker inzwischen, indirekte Spuren der ominösen Partikel zu erhaschen, die sie WIMPs nennen. Ein WIMP ist ein schwach wechselwirkendes, massives Teilchen, das ungefähr 50mal schwerer als ein Proton sein soll.

Experimente könnten jetzt die ersten Spuren von WIMPs entdeckt haben. Dabei konkurrieren zwei Forschergruppen mit ihren Detektoren um den wissenschaftlichen Ruhm: DAMA (Dark Matter Search): Das italienisch-chinesische Projekt zur Suche nach Dunkler Materie läuft seit vier Jahren. Der DAMA-Detektor steht in 1400 Meter Tiefe unter dem Felsmassiv des Gran Sasso bei Rom, wo er von störender Strahlung abgeschirmt ist. Er enthält Detektorzellen aus Natriumjodid, dessen Moleküle Lichtblitze und Hitze abstrahlen, wenn sie von einem WIMP getroffen werden. Leiterin von DAMA ist Rita Bernabei von der Universität Rom in Kooperation mit Wissenschaftlern vom Institut für Hochenergiephysik der Akademie der Wissenschaften in Peking. CDMS (Cyrogenic Dark Matter Search): Das amerikanische Projekt gibt es seit zwei Jahren. Im Gegensatz zu DAMA arbeitet der Detektor mit Germanium, das bis auf wenige hundertstel Grad über dem absoluten Nullpunkt heruntergekühlt wurde. Er steht zehn Meter unter dem Campus der University of California in Berkeley. Das Gerät kann zwischen verschiedenen Einflüssen unterscheiden, die auf natürliche Radioaktivität oder kosmische Strahlung zurückgehen. Es mißt die bei einer Teilchenkollision steigende Temperatur sowie die entstehende elektrische Ladung. Auf dem 4. Internationalen Symposium über Dunkle Materie im kalifornischen Marina Del Rey stellten beide Gruppen ihre Resultate vor. Sofort entbrannten heftige Diskussionen. Denn die Wissenschaftler-Teams aus den USA und aus Italien arbeiten mit völlig unterschiedlichen Meßinstrumenten. Viele Forscher stellten die Vergleichbarkeit der Ergebnisse deshalb in Frage.

Die italienischen Wissenschaftler glauben, WIMPs entdeckt zu haben. Theoretisch gibt es verschiedene Arten von WIMPs. Die Theorie der Supersymmetrie, die eine Vereinheitlichung der Naturkräfte beschreibt, wie sie kurz nach dem Urknall geherrscht hat, postuliert für jedes bekannte Elementarteilchen ein massereicheres Gegenstück. Die Pedants zu Photonen nennen die Physiker Photinos, die der Quarks heißen Squarks, die der Neutrinos Neutralinos und so weiter. Die Suche nach diesen Teilchen ist eines der wichtigsten Ziele der Teilchenphysiker.

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„Diese Partikel sind Überbleibsel des frühen Universums“, sagt Franca Masciulli vom italienischen Forschungszentrum am Gran Sasso, „und wahrscheinlich sind sie im galaktischen Halo gefangen.“ Der galaktische Halo umschließt die scheibenförmige Milchstraße wie eine Kugel. Dort kreisen Sternhaufen und ältere Sterne um das galaktische Zentrum. Die DAMA-Gruppe meint, ein Neutralino gefunden haben. Die Wissenschaftler stützen sich auf eine Theorie ihrer amerikanischen Kollegen Katherine Freese, David N. Spergel und Andrezej K. Drukier. Demnach unterliegt der WIMP-Strom aus dem All jahreszeitlichen Schwankungen, weil das Sonnensystem um den Mittelpunkt der Milchstraße wandert. Die Erde müßte also im Juni von mehr WIMPs getroffen werden als zu anderen Zeiten des Jahres. Denn Anfang Juni bewegt sich die Erde um die Sonne in genau die gleiche Richtung wie die Sonne um das galaktische Zentrum – der WIMP-Strom aus dem Halo müßte sich also addieren. Die DAMA-Gruppe fahndet daher nach einem Signal, das seine höchste Leistung Anfang Juni erreicht.

Franca Masciulli hält es für unwahrscheinlich, daß andere Effekte dem Einfang eines WIMPs in den Detektor ähneln könnten. Das CDMS-Team ist vom Gegenteil überzeugt. „Berücksichtigt man unsere eigenen Ergebnisse und den Grad der Empfindlichkeit, dann muß ich den DAMA-Ergebnissen widersprechen“, sagt Bernard Sadoulet, Leiter des Zentrums für Teilchen- und Astrophysik an der Universität Berkeley und Mitglied des CDMS-Teams. Zwar hält er es für möglich, daß unter den DAMA-Teilchendurchgängen auch WIMPs waren. „Aber mit den zur Zeit akzeptierten theoretischen Modellen passen unsere Ergebnisse nicht zusammen. Wir beobachten einfach nicht genug Kollisionen im CDMS-Detektor, die über der normalen Verunreinigung durch Neutronen liegen.“ Wenn ein WIMP mit Atomkernen kollidiert, sprengt es Neutronen aus ihnen heraus, und diese soll DAMA nachgewiesen haben. „Natürlich könnten wir beide recht haben, weil wir mit verschiedenen Detektortypen arbeiten“, so Sadoulet weiter.

Masciulli befürchtet, daß der CDMS-Detektor nicht sicher zwischen WIMPs und anderen kollidierenden Teilchen unterscheiden kann. Die amerikanischen Wissenschaftler erheben allerdings ähnliche Einwände gegen die Ergebnisse ihrer italienischen Kollegen. Sie argumentieren, bei den Messungen handele es sich um Fehler des DAMA-Detektors. Er sei nicht ausreichend gegen störende Neutronen aus anderen Quellen gesichert. Das könnten Neutronen sein, die die kosmische Strahlung aus den Molekülen des umliegenden Gesteins herausgeschossen hat. Zwar zeigen auch die CDMS-Daten mögliche WIMPs, aber die Wissenschaftler können nicht ausschließen, daß sie eine Art Eigenrauschen ihres Detektors aufgezeichnet haben. Denn die gemessenen Teilchendurchgänge stimmen ziemlich genau mit der normalen Verunreinigung durch verstreute Neutronen überein. Beide Gruppen arbeiten zur Zeit an einer Verbesserung ihrer Detektoren. Das CDMS-Team will einen neuen Detektor in einer stillgelegten Eisenmine in Minnesota in Betrieb nehmen, der in 1310 Meter Tiefe besser gegen die kosmische Strahlung abgeschirmt sein soll. In Gran Sasso werden die Wissenschaftler die Zahl ihrer Natriumjodid-Detektorzellen erhöhen. Am Ende soll eine Masse von 250 Kilogramm Kollisionen mit WIMPs melden.

Wenn eine der beiden Gruppen Dunkle Materie zweifelsfrei nachwiese, hätte das weitreichende Konsequenzen – denn Materie, die für uns normal ist, wäre die Ausnahme im All.

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