Die Vorschußlorbeeren waren gewaltig: Datenspeicher von gigantischer Leistungsfähigkeit sollten daraus entstehen und Muster in nie dagewesener Geschwindigkeit erkannt werden. Das Wundermittel, das all das fertig bringen sollte, ist ein Farbstoff namens Bakteriorhodopsin. Der deutsche Biochemiker Prof. Dieter Oesterhelt hatte die Eigenschaften dieses Stoffs, mit dem salzliebende Bakterien Energie umwandeln, 1970 als erster beschrieben. Der Clou von Bakteriorhodopsin ist, daß es seine Farbe unter Lichteinfluß in Sekundenbruchteilen von violett nach gelb verwandeln kann. Während sich Oesterhelt eher zurückhaltend zu den technischen Anwendungen von Bakteriorhodopsin äußerte, brachten euphorische Bemerkungen anderer Wissenschaftler den Farbstoff in die Schlagzeilen. Mitte der neunziger Jahre kursierten in der Publikumspresse viele Berichte über die neuen Chancen der digitalen Datenspeicherung durch diesen Stoff. „Es gab ein paar Kollegen, die phantasierten von dreidimensionalen Gigabyte-Speichern. Das hat uns sehr geschadet“, sagt Oesterhelt heute.
„Eine nicht erfüllte Erwartung kann mehr verderben als hundert gute Berichte.“ Tatsächlich sind die Hersteller von Computerspeichern meilenweit davon entfernt, auf Bakteriorhodopsin zurückzugreifen. Daran wird sich wohl auch in den kommenden Jahren nicht viel ändern. Auch die ursprünglich ins Auge gefaßte elektronische Mustererkennung wurde nicht weiter verfolgt, weil Videosysteme nur 30 Bilder pro Sekunde vergleichen müssen. „Dazu braucht man kein Bakteriorhodopsin, das 10000 Bilder pro Sekunde schafft. Das wäre wie ein Ferrari, der nur 30 fahren darf“, meint Norbert Hampp, Professor an der Universität Marburg und seit Jahren Oesterhelts Mitstreiter.
Dennoch ist Oesterhelts Forschungsobjekt als Datenspeicher durchaus erfolgreich – wenn auch weniger spektakulär, als einstmals gemutmaßt: Soeben, im September, kam ein Interferometer auf den Markt, bei dem der Farbstoff Verformungen dokumentiert. Interferometer werden beispielsweise eingesetzt, um das Schwingungsverhalten von Flächen zu ergründen. Nun soll das innovative Bakteriorhodopsin-Interferometer die berührungsfreie Kontrolle von Werkstücken vereinfachen. „Dieses Gerät sprengt hinsichtlich Auflösung und Geschwindigkeit alle bisherigen technischen Grenzen“, schwärmt Norbert Hampp, der das Marktvolumen dieses Produkts auf 200 Millionen Mark schätzt. Eine weitere Anwendung ist in der Entwicklung: die Verwendung von Bakteriorhodopsin als Sicherheitsmerkmal. Geldscheine, Ausweise und Pässe wären besser vor Fälschungen geschützt, wenn sie einen Punkt aus Bakteriorhodopsin tragen. „Mit einer einfachen Vorrichtung kann man anhand des Farbumschlags kontrollieren, ob die Papiere echt sind“, sagt Oesterhelt.
Obwohl der 60jährige an technischen Anwendungen viel Interesse hat, Begeisterung kommt bei ihm vor allem in der Grundlagenforschung auf. So ist es für ihn „ein Faszinosum“, daß es vor kurzem gelungen ist, das Bakteriorhodopsin-Molekül wie eine winzige Sprungfeder auseinanderzuziehen. Und der Mechanismus, wie es Ladungen quer durch die Hülle von Zellen schleust, sei nun auch endlich verstanden.
Dieter Oesterhelt