Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Gedacht – getan

Allgemein

Gedacht – getan
Eine Elektrode im Gehirn hilft gelähmten Menschen, über den Computer mit der Umwelt zu kommunizieren. Künftig sollen sich sogar Prothesen mit Gedankenkraft bewegen lassen.

„Locked-in“ nennt man Patienten, die geistig völlig gesund sind, deren Körper aber gelähmt ist – als Folge eines Schlaganfalls oder einer Rückenmarkschädigung. Sie können weder reden noch gestikulieren. Ihnen bleibt nur noch die Kraft ihrer Gedanken. Daß sie die nun nutzen können, um sich mit der Umwelt zu verständigen und vielleicht auch einen Rollstuhl zu bedienen, ermöglicht eine stecknadelkopfgroße Elektrode aus Glas. Sie wird in das Gehirn des Patienten eingepflanzt, mißt dort Nervensignale und sendet sie an einen Computer, der allein durch den Willen des Gelähmten gesteuert wird (bild der wissenschaft 9/1995, „Elektronische Sinne für Menschen“).

Vater der „neurotrophic electrode“ ist Dr. Phillip Kennedy, Neurophysiologe aus Deluth (Georgia). Er entwickelte sie zusammen mit Dr. Roy Bakay von der Emory University in Atlanta (Georgia).

Zwei Patienten erhielten bislang das Implantat: eine Frau, die unter Amyotropher Lateralsklerose (ALS) litt, und ein schlaganfallgeschädigter Mann. Die ALS-Patientin war nach einem Training in der Lage, ihre Gehirnsignale wie einen Lichtschalter an und aus zu schalten und sogar die Stärke des Impulses zu kontrollieren. Inzwischen ist sie an den Folgen ihrer Krankheit gestorben.

Der Mann ist vom Gesicht abwärts gelähmt und kann nicht sprechen. „Er konnte sich nur über Blickkontakt verständigen. Zweimal zwinkern hieß ,jaO, einmal hieß ,neinO“, erklärt Kennedy. Heute bedient der Mann einen Computer mit seinen Gedanken. „Allein durch seine Willenskraft“, berichtet Dr. Bakay, „kann er den Cursor sekundenschnell über Ikons auf dem Bildschirm lenken. Dann spuckt der Sprachcomputer Sätze aus wie ‚Ich habe HungerO oder ,Bitte schalte das Licht ausO.“ Sein Lieblings-Ikon ist: „Bis bald mal wieder. Nett, mit Dir gesprochen zu haben.“ Momentan übt der Patient, den Cursor über eine Bildschirmtastatur zu führen und Buchstaben zu aktivieren. Zuerst will er lernen, damit seinen Namen zu schreiben – und dann E-Mails.

Anzeige

Die Elektrode vermittelt zwischen Gehirn und Computer. Sie wird im motorischen Rindenfeld eingesetzt. In dem Implantat befinden sich stimulierende Substanzen, die bewirken, daß Nervenzellen mit den Goldkontakten der Elektrode verwachsen. Nervenimpulse werden über die Golddrähte durch die Schädeldecke zu einem Sender unter der Kopfhaut weitergeleitet.

Von dort aus gelangen die Signale drahtlos zu einem Rechner, der sie auswertet, und dann zum PC-Bildschirm mit den Sprachikons. „Das Schöne ist“, sagt Dr. Kennedy, „daß der Patient nicht verkabelt ist.“ Einziger optischer Hinweis auf die Elektrode: Der Patient muß eine Baseballmütze tragen, in der sich eine Batterie befindet, die den Sender mit Strom versorgt.

In Deutschland arbeitet der Tübinger Neurobiologe Prof. Nils Birbaumer mit einem ähnlichen Verfahren. Auch seine Patienten schreiben Briefe, indem sie einen Cursor mit Gedankenkraft über den Bildschirm steuern. Die Amerikaner denken indes schon weiter. Dr. Bakay: „Wir hoffen, daß wir als nächstes mit gedachten Signalen auch Prothesen bewegen können.“ Bis das funktioniert, ist aber noch viel Kopfarbeit zu leisten.

neurotrophic electrode: Mit dem Gerät ist es erstmals gelungen, die Gehirnsignale eines Menschen über einen längeren Zeitraum im Inneren des Kopfes aufzufangen und zur Steuerung eines Computers zu nutzen. Bei bisherigen Systemen wurden Metall-Elektroden benutzt. Deren Metallzinken zerstörten aber schnell die Nervenzellen. Die neuen Glaselektroden dagegen sind mit Stoffen versehen, die die Nervenzellen schonen und sogar zum Wachstum anregen.

motorisches Rindenfeld: Die Elektrode wird in nur vier bis fünf Millimeter Tiefe in den Teil der Großhirnrinde implantiert, der für die Bewegungssteuerung der Gliedmaßen zuständig ist. Die genaue Position ist bei jedem Menschen etwas anders und wird durch ein Magnet-Resonanz-Verfahren ermittelt. Es zeigt, welche Gehirnteile aktiv sind, wenn der Patient über „Bewegung“ nachdenkt.

Training: Um den Cursor über den Bildschirm des Computers zu lenken, muß der gelähmte Patient denken, daß er seine Hände bewegt. Damit aktiviert er die Nervenzellen, in deren Nähe die Elektrode implantiert wurde. Er wird dabei von einem akustischen Signal unterstützt, einem Summ-Ton, dessen Lautstärke an die Stärke seiner Gedankenimpulse gekoppelt ist.

Désirée Karge

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Süß|was|ser|po|lyp  〈m. 16; Zool.〉 zu den Hydrozoen gehöriger, einzeln im Süßwasser lebender Polyp, der niemals Medusen hervorbringt

Er|ben|ge|mein|schaft  〈f. 20; Rechtsw.〉 Gemeinschaft von Erben, die einen Nachlass gemeinsam verwalten

Ro|man|ze  〈f. 19〉 1 〈Lit.〉 aus Spanien stammende (14. Jh.), lyrisch gefärbte, volkstüml. Verserzählung in vierzeiligen Strophen mit acht– od. später vierhebigem trochäischem Versmaß 2 〈Mus.〉 seit Ende des 18. Jh. zuerst in Frankreich aufkommendes strophisches Gesangstück (für ein od. zwei Singstimmen u. Klavier), später stimmungsvolles Instrumentalstück … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige