Wie entstand das Leben, und wie entwickelte es sich aus ersten Anfängen zu einem so hochkomplexen Wesen wie dem Homo sapiens? Den Schlüssel dazu lieferte das Studium extrem schneller chemischer Reaktionen, mit denen sich der Physikochemiker Manfred Eigen vom Max-Planck-Institut für physikalische Chemie und Spektroskopie befaßte. 1967 erhielt er für seine Erkenntnisse den Nobelpreis für Chemie. Es war ihm gelungen, mit Hilfe trickreicher elektronischer Meßvorrichtungen erstmals die „innere Uhr“ solcher Reaktionen bis herab zu einigen milliardstel Sekunden abzulesen.
Eigen war sich bewußt, daß seine Ergebnisse nur für wenige Spezialisten interessant waren. Deshalb erweiterte er seine Fragestellung: Wie konnte ein anfänglich nur nach statistischen Gesichtspunkten reagierendes Gemisch chemischer Verbindungen in einen Reaktionszyklus eintreten, der zur Evolution des Lebens führte? Welche Prozesse spielten hierbei eine Rolle? Und: Können wir durch das Studium der Dynamik molekularer Prozesse überhaupt das Wesen der Lebensvorgänge verstehen?
Kernstück der Eigenschen Evolutions-theorie ist der sogenannte Hyperzyklus – eine zyklische Verknüpfung von sich selbst reproduzierenden Einzelzyklen. Mit dieser Verknüpfung wird die vorher bestehende Konkurrenz zwischen den Einzelzyklen in eine Kooperation umgewandelt. Eigen geht davon aus, daß Nukleotide, die – wie die Experimente von Stanley Miller zeigten – durch elektrische Entladungen in einer „Ursuppe“ entstanden sein könnten, sich zu kurzen Nukleinsäureketten zusammenlagern und mal mehr, mal weniger effektiv vervielfältigen. Unter den Molekülen soll Wettbewerb herrschen: Durch Fehler beim Kopieren entstehen immer neue Nukleinsäurevarianten, darunter auch effektivere als die bereits existierenden. Mutation und Selektion sollen die Reproduktion weiter verbessern, bis die effektivsten Moleküle ihre Konkurenten verdrängt haben und allein übriggeblieben sind.
Michael Globig / Manfred Eigen