Ein männlicher Löwe, der ein Weibchenrudel übernimmt, tötet sämtliche Jungtiere, die noch von ihren Müttern abhängig sind. Die Löwinnen sind daraufhin in wenigen Tagen wieder empfängnisbereit und paaren sich mit dem neuen Chef, statt den Nachwuchs des alten großzuziehen. So gewinnt der neue Haremsherrscher wertvolle Zeit.
Daß es bei Spinnen ähnlich rigoros zugehen kann, fand die Biologin Jutta Schneider vom Zoologischen Institut der Universität Mainz heraus. Vier Jahre lang untersuchte sie im Mittelmeerraum beheimatete Röhrenspinnen der Art Stegodyphus lineatus und entdeckte ein für Spinnen einzigartiges Verhalten: Hier beseitigt das Männchen den Eikokon seiner Auserwählten, tötet also ihren Nachwuchs. Im Gegensatz zu den Löwinnen ergeben sich jedoch nicht alle Spinnenweibchen in ihr Schicksal.
Weibliche Spinnen bauen in der Regel nur einmal in ihrem Leben einen Kokon. Etwa 30 Tage später schlüpfen daraus die Jungtiere. Aufopfernd füttert die Mutter ihren Nachwuchs, indem sie eine Nährflüssigkeit hochwürgt. Nach zwei Wochen ist sie ausgezehrt und stirbt.
Nur wenn das Weibchen seinen ersten Eikokon verliert, produziert es einen zweiten. Das machen sich die Männchen zunutze. Denn ihnen bleiben nach ihrer Geschlechtsreife nur wenige Wochen, in denen sie für eigenen Nachwuchs sorgen können. Spinnenmänner sind deshalb immer auf der Suche nach dem „schwachen Geschlecht“.
Wer von ihnen zu Beginn der Saison geschlechtsreif ist, trifft meist jungfräuliche Weibchen an – oder zumindest solche, die zwar bereits mit einem anderen Männchen kopuliert, aber noch keine Eier produziert haben. Je später ein Männchen eine Paarungspartnerin sucht, desto häufiger haben die bereits einen Eikokon gebildet.
Um sich trotzdem mit einem solchen Weibchen fortpflanzen zu können, muß der Spinnenmann den Nachwuchs beseitigen. Seine Auserwählte aber verteidigt häufig den Kokon, denn dessen Verlust kommt sie teuer zu stehen: Erstens büßt sie Zeit ein, zum anderen fällt das zweite Gelege wesentlich kleiner aus als das erste.
Im Kampf der Geschlechter siegt in der Regel das größere Tier. Gewinnt das Männchen, durchtrennt es die Seidenfäden, mit denen der Kokon in der Behausung des Weibchens aufgehängt ist. Damit ist das Schicksal der Eier besiegelt und das Weibchen produziert notgedrungen ein neues Gelege.
Für das Männchen zahlt sich sein rüdes Vorgehen aus: Zwar befruchtet es nur ungefähr die Hälfte der Eier im neuen Kokon, weil sich sein Samen im Speicherorgan des Weibchens mit dem seines Vorgängers vermischt. Doch ein paar eigene Nachkommen sind besser als gar keine.
Beim Kampf um den Kokon riskieren die Spinnen, verletzt zu werden. Die Männchen können der Gefahr nicht ausweichen, die Weibchen haben eine Alternative: Einige lassen es gar nicht erst zum Kampf kommen, indem sie ihren Kokon sehr spät in der Saison herstellen. Dann sind nur noch wenige Männchen unterwegs, die ihn gefährden.
Margit Enders