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7. Können Hirnforscher Gedanken lesen?

Gesundheit|Medizin

7. Können Hirnforscher Gedanken lesen?
Was neue neurologische Methoden über die komplexen Vorgänge im Gehirn verraten.

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Mit bildgebenden Verfahren, allen voran die seit Anfang der Neunzigerjahre boomende Magnetresonanztomographie (MRT), schauen Neurowissenschaftler tief ins menschliche Hirn und spüren dort den neuronalen Fährten nach, die Sehen, Riechen und Hören, aber auch Orgasmen, Schadenfreude, Lügen, politische Einstellung oder unbewusstes Denken in den Gehirnwindungen hinterlassen. Jeden Monat werden Dutzende solcher Studien publiziert. Die Bilder strahlen eine schon fast bedrückende Faszination aus, denn sie legen offen, mit welchen Hirnwindungen wir Musik hören, Eifersucht fühlen oder uns in einem Irrgarten orientieren. Verraten solche inneren Einsichten sogar, was wir gerade denken?

„Auf jeden Fall – wenn es sich um einfache Dinge handelt”, sagt John-Dylan Haynes vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig. Der Psychologe hat nachgewiesen, dass man aus dem Gehirn-Scan herauslesen kann, ob eine Versuchsperson ein Gesicht oder ein Haus anschaut und in welcher Orientierung er eine Grafik sieht. „Man kann sogar einfache Absichten identifizieren, etwa ob ein Proband sich vornimmt, zwei Zahlen zu addieren oder zu subtrahieren oder ob er die linke oder die rechte von zwei Tasten drücken will”, sagt Haynes.

Dass sich Gedanken visualisieren lassen, hat auch ein Wettbewerb bewiesen, der von Forschern der University of Pittsburgh initiiert wurde. Die Wissenschaftler zeigten Probanden drei Sequenzen einer amerikanischen TV-Komödie und zeichneten währenddessen deren Gehirnaktivitäten im MRT auf. Anschließend mussten die Testpersonen aufschreiben, was sie während des Films wahrgenommen hatten: Musik, Schauspieler, Gespräche, Spaß und dergleichen. Die Scans und die Antworten zu den ersten beiden Sequenzen stellten die Forscher ins Internet mit der Frage: Wer kann aus den Hirn-Scans der dritten Filmsequenz berechnen, was die Probanden gesehen haben?

Überraschenderweise hatten am Ende des Wettbewerbs nicht Neurowissenschaftler die Nase vorn, sondern Informatiker, die von der Funktionsweise des Denkorgans nicht die Spur verstanden. Dank cleverer Algorithmen, die sie auf der Basis der ersten beiden Scans und der Inhaltsangaben geschrieben hatten, konnten sie recht gut herausfinden, wann die Probanden während der dritten Folge Musik oder Sprache hörten oder Gesichter wahrnahmen.

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Trotz ihrer hohen Popularität sind die Gehirnbilder aus dem Magnetresonanztomographen nicht unumstritten. „Die Fachwelt diskutiert lebhaft darüber, wie weit die Interpretation der Daten gehen kann”, sagt Bruno Weber, Neurophysiologe an der Universität Zürich. Warum?

Viele neuronale Prozesse spielen sich auf so kleinem Raum ab, dass man sie mit konventionellen MRT nicht direkt nachweisen kann. Doch neue statistische Rechenverfahren, wie sie Haynes anwendet, haben die Sensitivität der MRT-Messungen verbessert.

Die extreme Verteilung der Gedankenprozesse auf verschiedene Hirnbereiche erschwert die Zuordnung von Gedanken und anatomischer Struktur. Außerdem haben die Neuroforscher ihre Hirn-Scans mit teilweise sehr alten anatomischen Karten abgeglichen, die manchmal nur von einem einzigen Gehirn stammen. Da aber Gehirne sehr variabel sind, können individuelle Unterschiede je nach Region bis zu mehrere Kubikmillimeter Hirnvolumen betragen. Das klingt wenig – doch weil sich die Hirnaktivität mitunter millimetergenau bestimmten winzigen Strukturen zuordnen lässt, ist diese Varianz ein erheblicher Unsicherheitsfaktor.

Erst vor wenigen Jahren hat sich ein internationales „Brain Mapping Konsortium” zusammengefunden, um den Bau von mehreren Tausend individuellen Gehirnen in einer Datenbank zusammenzufassen. „Wir erstellen dreidimensionale Karten von Gehirnen. Insgesamt haben wir schon 30 Prozent der Oberfläche des menschlichen Gehirns kartiert”, sagt Katrin Amunts, Expertin für „ Strukturell-Funktionelles Brain Mapping” in der Medizinischen Fakultät der RWTH-Aachen und am Forschungszentrum Jülich. „Selbst mit diesen Daten können wir nur eine Wahrscheinlichkeit für die Lokalisierung einer neuronalen Aktivität angeben.”

Schließlich lassen Hirn-Scans keine direkten Rückschlüsse auf die neuronale Aktivität zu. Die Daten, die die Forscher mit den Magnetresonanztomographen aufzeichnen, dokumentieren nämlich nicht das Neuronenfeuer selber, sondern so genannte BOLD-Signale. BOLD steht für „Blood Oxygen Level Dependent”. Vereinfacht formuliert: Es wird gemessen, wie hoch der Anteil an deoxygeniertem – nicht mit Sauerstoff beladenem – Hämoglobin ist. Die Arbeitshypothese ist: Wenn Nerven feuern, brauchen sie Energie und Sauerstoff. Die Folge: Ihre Region wird besser durchblutet. Allerdings sind die physiologischen Vorgänge dabei komplizierter als man lange dachte. „Die aktuelle Forschung zeigt, dass wir weg müssen von der simplen Idee, ein BOLD-Signal sei direkt an neuronale Aktivität gekoppelt”, betont Weber. „Wie Blutfluss, Sauerstoffverbrauch und neuronale Aktivität genau zusammenhängen, ist noch ein großes Geheimnis.”

Deshalb haben manche Forscher damit begonnen, Magnetresonanztomographie mit altbewährten Elektroenzephalogrammen zu kombinieren. Mit einem solchen EEG lassen sich die Nervenimpulse schnell und zeitlich hochgenau messen. Das MRT steuert Informationen über den Sitz der aktiven Nerven hinzu. Aus der Kombination der Daten erhält man ein Bild, das sowohl zeitlich und als auch örtlich hochaufgelöst ist.

Stand der Forschung ist also: Manche Reize, denen ein Mensch ausgesetzt ist, spiegeln sich in seinem Gehirn. Man kann daran ablesen, DASS jemand ein Gesicht sieht, DASS jemand Musik hört oder DASS jemand emotional aufgewühlt ist. Aber WELCHES Gesicht der Betreffende sieht, WELCHE Musik er hört und WORÜBER er sich aufregt, können die Forscher aus den bunten Bildern ebenso wenig herauslesen wie höhere kognitive Fähigkeiten, etwa Intelligenz, soziales Geschick oder Einfühlungsvermögen. Irgendwie beruhigend, könnte man meinen. Karin Hollricher■

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