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KREBS-IMPFUNG: HOFFNUNG ODER HORROR?

Gesellschaft|Psychologie Gesundheit|Medizin

KREBS-IMPFUNG: HOFFNUNG ODER HORROR?
Eine Impfung, die vor Krebs am Gebärmutterhals schützt – das klang nach einem großen Fortschritt. Jetzt ist die HPV-Impfung in die Kritik geraten. Was ist von ihr zu halten?

Die Stimmung ist meist optimistisch bei der jährlichen Gesundheitswoche der Stadt Herne. Nicht so in diesem März, als die Frauenärztin Cornelia Baumgart sprach. Ihr Thema: „Was ist dran an der Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs?“ Baumgart hatte angekündigt, über „wesentliche, aber völlig ungeklärte Fragen“ zu referieren. Der Andrang war gewaltig. Die anschließende Diskussion machte klar, warum: Die Frauen waren zutiefst verunsichert. Einige Tage zuvor hatte die Presse berichtet, dass zwei Mädchen kurz nach der Impfung gestorben waren, eines in Österreich, eines in Deutschland. Plötzlich äußerten sich überall Zweifler und Kritiker der Impfung – von den TV-Magazinen Frontal und Monitor über die Zeitschrift Brigitte bis zur Lausitzer Rundschau.

Doch für viele kamen diese Berichte zu spät: Ein gutes halbes Jahr nach der Empfehlung der Ständigen Impfkommission der Bundesregierung im März 2007 waren in einigen Bundesländern bereits 40 Prozent der 12- bis 17-jährigen Mädchen gegen das Humane Papillom-Virus (HPV, siehe „Gut zu wissen“) geimpft. Auch viele der Herner Frauen hatten ihre Töchter impfen lassen und berichteten nun über beunruhigende Symptome danach: Übelkeit, Schwindel, Fieber, Unwohlsein. Hatte manche Mutter vorher geglaubt, mit der Impfung etwas Gutes für die Gesundheit ihrer Tochter zu tun, ging jetzt die Angst um: Unter Beifall erklärte eine Zuhörerin jede weitere Diskussion für überflüssig. Nach dem Vortrag werde ja wohl niemand mehr ernsthaft erwägen, sein Kind impfen zu lassen.

Während die öffentliche Meinung von Begeisterung in harsche Ablehnung umschlägt, rückt in den Hintergrund, dass auf der Impfung gegen die Krebsviren nach wie vor große medizinische Hoffnungen ruhen: Zum ersten Mal scheint echte Krebsvorsorge möglich. Die kleine Spritze soll 70 Prozent der Erkrankungen an Gebärmutterhalskrebs verhindern können. Allein in Deutschland sterben jährlich etwa 1700 Frauen an diesem Krebs, weltweit sind es eine Viertelmillion. Der öffentliche Stimmungsumschwung hat vielerlei Gründe.

Streitpunkt NEBENWIRKUNGEN

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Die beiden toten Frauen in Deutschland und Österreich sind nicht die ersten, die mit der Impfung in Zusammenhang gebracht werden. Bereits im Mai 2007 veröffentlichte die Organisation Judicial Watch in den USA eine Liste mit 1637 „Zwischenfällen“, darunter 371 schwere Erkrankungen und drei Todesfälle – ein „ Horrorkatalog“, so ein Sprecher der Organisation. Zu dieser Zeit waren in den USA bereits Hunderttausende Menschen gegen HPV geimpft. Die gemeldeten Impffolgen reichten von Schmerzen, Fieber, Benommenheit über Zuckungen und Lähmungen bis hin zu Blutverklumpungen und Herzversagen.

Experten des Berliner Robert-Koch-Instituts und der Europäischen Arzneimittelbehörde EMEA haben sich die Obduktionsberichte angesehen. Einen Zusammenhang zwischen dem Impfstoff und den Todesfällen erkennen sie nicht. Deshalb sehen die Behörden auch keinen Anlass, von ihren bisherigen Empfehlungen abzugehen. Sie sagen: Unerklärliche spontane Todesfälle gibt es immer wieder. In der entsprechenden Altersgruppe stirbt pro Jahr ein Mädchen unter 100 000, ohne dass man weiß, warum. Bei 700 000 Geimpften wären demnach statistisch 7 Todesfälle zu erwarten, darunter auch manche, die zufällig relativ kurz nach der Impfung eintreten.

Letztlich läuft es, wie bei jeder anderen medizinischen Vorgehensweise, auf ein Abwägen von Schaden und Nutzen hinaus. Das Problem ist: Das Schadenspotenzial lässt sich nicht sicher beurteilen. Man weiß zwar aus den klinischen Studien vor der Zulassung der beiden derzeit erhältlichen Impfstoffe (siehe Kasten „Gut zu wissen: HPV“) über viele geringfügige Nebenwirkungen Bescheid. Vor denen warnen die Hersteller denn auch auf dem Beipackzettel. Bei den sehr seltenen schwerwiegenden Fällen hingegen sieht es anders aus. So lässt sich weder beweisen noch ausschließen, dass der Impfstoff für die Todesfälle verantwortlich ist.

Streitpunkt NUTZEN

Wie beim Schaden bleibt auch beim Nutzen Raum für Spekulationen. Von einer „Impfung gegen Krebs“ zu sprechen, ist voreilig. Bei den klinischen Studien an bislang insgesamt rund 40 000 Frauen wurde nicht nach Tumoren gefahndet, sondern nach Tumorvorstufen. Die aber entwickeln sich in den meisten Fällen nicht weiter. Da Gebärmutterhalskrebs normalerweise über Jahrzehnte heranwächst, hätte es entsprechend lange gedauert zu ermitteln, wie gut der Impfstoff vor Krebs schützt. So lange wollten die Firmen nicht warten. Ein Fehler, meint etwa die Frauenärztin Claudia Schumann vom bundesweiten Arbeitskreis für Frauengesundheit. „Es drängt uns ja nichts“, sagt sie und verweist auf den bewährten PAP-Abstrich, den jede Frau zur Früherkennung eines Gebärmutterhalskrebses bei ihrem Gynäkologen vornehmen lassen kann. Dank dieser sehr guten Präventionsmaßnahme herrsche keine medizinische Notlage. Jetzt ist die Chance für weitere Forschungen vertan – denn inzwischen wurden auch die Frauen in den Vergleichsgruppen geimpft. Aus ethischen Gründen, sagen die Studienbetreiber. Um mögliche Schwächen zu verschleiern, sagen die Kritiker.

Streitpunkt BEFANGENHEIT

Ist die Ständige Impfkommission wirklich unabhängig? Deren Stellungnahme vom März 2007 fiel zurückhaltend aus: „Die Impfempfehlung wird (…) mit der möglichen Verringerung der Wahrscheinlichkeit, an Gebärmutterhals zu erkranken, begründet.“ In der Folgezeit kamen dennoch Zweifel an der Unabhängigkeit der Kommission auf. In ihr ein neutrales Gremium zu sehen, fällt schwer. So erregt sich der neue Vorsitzende Friedrich Hofmann laut Ärzteblatt über die „lasche und teilweise überkritische Haltung“ zum Impfen und macht moralisch Druck: „Sich impfen zu lassen, ist nicht nur egoistisch, sondern auch altruistisch.“ Wissenschaftliche Neutralität sieht anders aus. Öl in das Feuer der Impfkritiker gießen die Verbindungen etlicher Impfkommissions-Mitglieder mit der Industrie. Nachdem der bisherige Vorsitzende Heinz-Josef Schmitt einen Preis des Pharma-Unternehmens Sanofi Pasteur MSD bekommen hatte, folgte er im Herbst vergangenen Jahres vollends dem Lockruf des Geldes und nahm einen Job bei Novartis an. „Heilige sind sehr selten – auch in der Medizin“, kommentierte das Deutsche Ärzteblatt.

Streitpunkt KOSTEN

Lohnt sich die Impfung? Hochgerechnet müssen dafür in Deutschland jährlich 200 Millionen Euro aufgewendet werden. Für Mädchen, die später die jährliche Früherkennung mittels PAP-Abstrich in Anspruch nehmen wollen, ist der Nutzen einer zusätzlichen Impfung tatsächlich verschwindend gering. Deshalb möchte Rolf Rosenbrock, Professor für Gesundheitspolitik an der TU Berlin und Mitglied des Sachverständigenrats im Gesundheitswesen, das Geld lieber in die zusätzliche Verbreitung des PAP-Tests stecken. Dieser kostet nach Schätzungen derzeit 350 bis 700 Millionen Euro im Jahr, Folgeuntersuchungen eingerechnet.

Man kann die Impfung aber auch anders sehen: nicht – wie Rosenbrock – als Zusatz-Angebot, sondern als Alternative zum PAP-Abstrich. Im direkten Vergleich hat die Impfung durchaus gute Karten: Sie ist weniger invasiv, kostengünstiger, kommt mit weniger Arztkontakten aus, und sie ist – trotz möglicher Nebenwirkungen – vermutlich weniger belastend. Schließlich hat auch der PAP-Abstrich Nachteile: Schätzungen zufolge erhält jede zweite Frau einmal in ihrem Leben einen beunruhigenden Vorsorge-Befund, der weiter abgeklärt werden muss. Bestätigt sich der Befund, wird die Zellveränderung entfernt, obwohl sich diese meist nicht zu einem Tumor weiterentwickeln würde. Solche Übertherapien bringen den Frauen keinen Nutzen, können ihnen aber schaden, denn sie sind wie jede Operation mit Gefahren verbunden. Impfung oder PAP-Test – welches Verfahren effektiver ist, lässt sich nicht beurteilen – auch deshalb, weil es keine entsprechenden Studien zum PAP-Abstrich gibt.

Was leicht vergessen wird: Neben dem PAP-Abstrich und der Impfung gibt es noch eine Möglichkeit zur Vorbeugung. Da HPV beim Geschlechtsverkehr übertragen wird, bieten Kondome einen guten Schutz. Sie allein können das Risiko, an Gebärmutterhalskrebs zu erkranken, um 70 Prozent senken.

FAZIT

Eine Frau, die gar nichts unternimmt, kann – da Gebärmutterhalskrebs selten ist – zu 99 Prozent sicher sein, nicht an dem Krebs zu erkranken. Wer das Restrisiko von einem Prozent weiter reduzieren möchte, hat folgende Möglichkeiten: die HPV-Impfung, den PAP-Test, das Kondom – oder eine Kombination. Welche davon die beste Schaden-Nutzen-Bilanz aufweist, wird sich nie mit Bestimmtheit sagen lassen. Die Wahl des Mittels ist also letztlich eine Sache der persönlichen Einstellung. ■

CHRISTIAN WEYMAYR, promovierter Biologe, ist Medizinjournalist und Buchautor („Mythos Krebsvorsorge“). Er lebt in Herne.

von Christian Weymayr

GUT ZU WISSEN: HPV

• Gebärmutterhalskrebs geht fast immer auf die Infektion mit Humanen Papillom-Viren (HPV) zurück, die Harald zur Hausen vom Deutschen Krebsforschungszentrum in den Siebzigerjahren entdeckte. Heute kennt man rund 100 HPV-Typen, von denen etwa 15 als krebserregend gelten, auch wenn nur ein kleiner Bruchteil der Infektionen tatsächlich zu Krebs führt. Die Typen 16 und 18 sind für 70 Prozent der Tumore verantwortlich.

• Vor etwa zehn Jahren begannen Firmen mit der Entwicklung von Impfstoffen. Im September 2006 wurde als erster Impfstoff Gardasil von Sanofi Pasteur MSD in Europa zugelassen, ein Jahr später folgte Cervarix von GlaxoSmithKline. Werbung der Hersteller, Kampagnen der Ärzteschaft, positive Medienberichte sowie das Vorpreschen einiger Kassen übten Druck auf die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut aus, die schließlich im März 2007 die dreimalige Impfung für Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren vor dem ersten Geschlechtsverkehr empfahl. Die Krankenkassen kommen seitdem dafür auf.

• Wie in großen Studien gezeigt wurde, schützen die Impfstoffe nichtinfizierte Frauen zuverlässig vor Tumorvorstufen, die auf die Virentypen 16 und 18 zurückgehen. Schwerwiegende Nebenwirkungen zeigten sich in diesen Studien nicht.

KOMPAKT

· Gebärmutterhalskrebs ist der erste Krebs, gegen den eine Impfung angeboten und empfohlen wird.

· Kritiker stellen ihren Nutzen in Frage, weil es bewährte Untersuchungen zur Früherkennung gibt.

· Todesfälle nach HPV-Impfungen sorgen für Beunruhigung. Ein kausaler Zusammenhang ist aber nicht erwiesen.

MEHR ZUM THEMA

LESEN

Informationsblatt des Deutschen Krebsforschungszentrums: www.krebsinformationsdienst.de/ wegweiser/iblatt/iblatt-hpv-impfung.pdf

INTERNET

Über die HPV-Impfung informieren im Internet verschiedene Experten- und Interessengruppen. Hier eine Auswahl:

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen: www.gesundheitsinformation.de Stichwort: HPV-Impfung

Arbeitskreis Frauengesundheit: www.akf-info.de

Ärztliche Fachgesellschaften mit Industrie-Sponsoren: www.zervita.de

Impfkritische Ärzte: www.aerzte-fuer-individuelle- impfentscheidung.de

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