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WER SCHÖN SEIN WILL, MUSS LEIDEN

Allgemein

WER SCHÖN SEIN WILL, MUSS LEIDEN
Gut aussehende Menschen haben mit Vorurteilen und anderen Widrigkeiten zu kämpfen.

Ein attraktives Äusseres ist eine Gabe der Natur, die das Leben leichter macht – heißt es immer wieder. Die damit Gesegneten werden im Alltag, in der Schule, im Beruf und sogar vor Gericht bevorzugt behandelt und können damit rechnen, dass der Blick der anderen mit Wohlgefallen auf ihnen ruht. Auch Wissenschaftler ließen sich lange von der Schönheit blenden – bevor sie erkannten, dass sie auch ihre hässlichen Seiten hat. Denn gutes Aussehen ist – wie alles Körperliche – vergänglich. Wie sehr der Schönheitsschwund den Betroffenen zusetzt, hat ein Team um die Psychologin Ellen Berscheid von der University of Minnesota in einer Studie mit 240 Männern und Frauen in den späten Vierzigern und frühen Fünfzigern nachgewiesen. Die Forscher zeigten einer Gruppe unabhängiger Juroren Fotos aus der Studienzeit der Probanden. Sie sollten auf einer 20-stufigen Skala ankreuzen, wie gut die abgebildeten Personen aussahen. Die Forscher setzten diese Bewertung in Relation dazu, wie zufrieden die Testpersonen heute mit ihrem Leben waren. Resultat: Frauen, die in ihren frühen Zwanzigern blendend ausgesehen hatten, waren heute oft weniger glücklich und psychisch schlechter an ihre Lebenssituation angepasst als die ehemaligen grauen Mäuse. Sie litten unter einem verringerten Selbstwertgefühl. Den männlichen Prachtexemplaren blieb dieses Schicksal dagegen erspart.

Die nachlassende weibliche Schönheit kann auch am Ehesegen zehren. Das zeigten die amerikanischen Psychologen Leslie Margolin und Lynn White, die 1500 Personen im Abstand von drei Jahren nach ihrer Beziehungsqualität befragten. Männer, die die Attraktivität ihrer Partnerin schwinden sahen, klagten häufiger über einen Verlust sexueller Anziehung und über Unzufriedenheit. Sie kompensierten ihre Tristesse häufiger mit Seitensprüngen. Der ästhetische „Abbau“ der Männer machte den Frauen dagegen nichts aus. „Das weibliche Geschlecht wird mehr über sein gutes Aussehen definiert – und tut das auch selbst“, schließt der amerikanische Politikwissenschaftler Ron Inglehart. Das heißt aber auch, dass der Verlust körperlicher Vorzüge Frauen mehr Kummer bereitet. Dazu passt das Ergebnis internationaler Befragungen: Unter 45 Jahren sind die meisten Frauen glücklicher als Männer, während sie im höheren Alter – wenn die Makellosigkeit schwindet – weniger Freude am Leben haben.

GANZ SCHÖN ENTTÄUSCHT

Für die Gutaussehenden kommt es noch schlimmer, denn Schönheit erzeugt einen starken „Halo-Effekt“: Da heißt, ihnen werden im Alltag blindlings angenehmere Wesenszüge und mehr persönliche Qualitäten angedichtet, als sie haben. Und diese Überschätzung kann sich rächen: in Form von Enttäuschung. Denn die Schönen können die in sie gesetzten Erwartungen oft nicht erfüllen, weil sie eben nicht besser sind. Das hat die Wirtschaftswissenschaftlerin Catherine Eckel von der University of Texas in Dallas anhand des sogenannten Vertrauensspiels demonstriert. Bei diesem Experiment gibt der Spielleiter zwei Personen A und B, die sich nicht kennen, jeweils 10 Dollar. Dann kann A einen beliebigen Betrag von seinem Geld an B senden. Was er B transferiert, wird vom Spielleiter verdreifacht. B kann dann wiederum etwas von seinem Gesamtguthaben an A zurückgeben. Die Teilnehmer sahen sich gegenseitig nur als Bilder auf einem Monitor. Probanden in der A- und B-Position mussten nicht nur über die Höhe ihrer eigenen Abgabe entscheiden. Sie sollten auch schriftlich abschätzen, welchen Betrag sie von der Gegenseite als Reaktion auf ihre Spende zurück erwarteten. Zuvor hatten unbeteiligte Gutachter die 206 Versuchspersonen auf einer mehrstufigen Skala nach ihrem Aussehen, aber auch nach vermuteten Charaktereigenschaften wie Vertrauenswürdigkeit oder Aggressivität beurteilt.

Wie von Eckel vermutet, konnten gutaussehende Spieler in der B-Position einen „Schönheitsbonus“ verbuchen: Sie erhielten im Durchschnitt einen Dollar mehr. Das Vertrauen war berechtigt, denn die Schönen revanchierten sich auch mit einer höheren Zuwendung. Überraschend war jedoch, dass attraktive A-Spieler nur 30 Prozent ihres Einsatzes zurückbekamen, während sich ihre körperlich weniger gesegneten Kollegen über 40 Prozent Rücklauf freuen konnten. Die Erklärung: Die „Nehmer“, die sich von den attraktiven „Gebern“ 1,50 Dollar mehr erhofft hatten, als diese wirklich locker machten, quittierten ihre Enttäuschung mit einer Strafe. „Die Erwartungen an attraktive Menschen sind offenbar prinzipiell überhöht, und eine Enttäuschung ist geradezu vorprogrammiert“, fasst die Forscherin ihre Studie zusammen.

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Übrigens bekamen die Schönen diese Sanktion nur zu spüren, wenn sie mit ihrer Spende unter der Erwartung lagen. Geschlechtsunterschiede gab es dabei nicht. Wahrscheinlich erleben attraktive Menschen im Alltag des Öfteren verschnupfte Reaktionen, weil sie die Projektionen ihrer Mitmenschen nicht erfüllen können. „Viele Zeitgenossen beäugen sie insgeheim ohnehin mit Neid und Missgunst, weil sie den Eindruck haben, beim sozialen Vergleich schlecht abzuschneiden“, gibt der Trierer Psychologe Jürgen Maes zu bedenken. „Während in der modernen Gesellschaft in vielen Lebensbereichen das Gleichheitsprinzip eine verbindliche Norm darstellt, ist physische Attraktivität ein Bereich, in dem faktisch Ungleichheit herrscht.“

Es gibt sogar eine latente Bereitschaft, Triumphe und Leistungen gut aussehender Menschen zu diskreditieren, um das angegriffene Gerechtigkeitsprinzip wiederherzustellen. Darauf stieß der Psychologe Friedrich Försterling von der Ludwig-Maximilians-Universität München: Er hatte 144 Männern und 144 Frauen Fotos von mehr und weniger attraktiven Personen vorgelegt, die angeblich in erstaunlich kurzer Zeit Karriere gemacht hatten. Weibliche Teilnehmer führten den Erfolg schöner weiblicher Zielpersonen überwiegend auf Glück, und sehr viel weniger auf Fähigkeit zurück. Männer enthielten sich solcher Interpretationen. „Für Frauen sind attraktive Geschlechtsgenossinnen offenbar Konkurrentinnen auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten“, schließt Försterling. Deren Erfolge abzuwerten sei ein Schachzug, um den Glauben an die eigene Wettbewerbsfähigkeit aufrecht zu halten. ■

von Rolf Degen

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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