Angefangen hat alles im Fruchtbaren Halbmond – hier wurden die Menschen sesshaft. In dem klimabegünstigten Gebiet vom Persischen Golf über das Zweistromland, hinauf nach Nordsyrien, entlang der türkischen Südgebirge, an der Mittelmeerküste hinab bis ans Tote Meer bauten die Menschen um 9500 v.Chr. erstmals sporadisch Getreide, Lein und Hülsenfrüchte an. Um 8000 v.Chr. züchteten sie aus wilden Schafen und Ziegen die ersten Haustiere und erfanden 1000 Jahre später das gebrannte Tongeschirr.
Kultur kam über das Land. Dieser Umbruch – die „ Neolithisierung” oder „Neolithische Revolution” – ist bis heute nicht restlos geklärt. Warum gaben die Menschen ein relativ autonomes, friedliches und wenig arbeitsreiches Leben auf, um sich in Abhängigkeit zu begeben von Witterung und Ernte und sich viel Arbeit aufzuhalsen?
Woher kam dieser Innovationswille? Prof. Jens Lüning, Spezialist in Sachen Jungsteinzeit, begründet die erste Kulturrevolution der Menschheit mit äußeren Zwängen: Rasche Wechsel zwischen Warm- und Kaltzeiten prägten das Klima am Ende der letzten Eiszeit um 10500 v.Chr. Die Vegetation änderte sich mit jedem Klimawechsel. „Aus Kältesteppen mit Kräutern wurden in den warmen Zeiten Grassteppen. Die Sammler wurden gezwungen, auf Grasfrüchte – also Getreide – umzusteigen. Auf die Erwärmung folgte ein Kälterückschlag, dann wieder eine Erwärmung. Die Menschen kamen bei einem erneuten Temperatureinbruch zwangsläufig auf die Idee, das schwindende Wildgetreide anzubauen.”
Als sich das heutige Klima mit seinem jährlichen Wechsel von Sommerdürre und Winterregen einstellte, mussten die Steinzeitler Vorratswirtschaft betreiben. Denn das Getreide wird kurzfristig reif – in drei bis vier Wochen muss man ernten, sonst verdirbt alles. Die Folge: Die Bauern blieben bei ihren Feldern und Vorräten und wurden sesshaft.
Die Erfindungen aus dem Fruchtbaren Halbmond breiteten sich wie ein Lauffeuer über die Türkei, Griechenland und Ungarn nach Mitteleuropa aus. Nach der Verzierung ihres Geschirrs werden die ersten deutschen Bauern „Linearbandkeramiker” genannt. Sie bauten sich Holzhäuser von 30 bis 40, bisweilen 50 Meter Länge und 10 Meter Breite – die Urform der großen Bauernhäuser in Deutschland. Zwischen den dicken Hauspfosten bildete ein Flechtwerk aus Ruten die Außenfassade. Ein Lehmverputz dichtete die Wände ab, ein Estrich aus Lehm ebnete den Fußboden. Im hinteren Teil der Gebäude gab es einen erhöhten Speicherteil für die Getreidevorräte.
In der Mitte lag die Feuerstelle, das Zentrum des Familienlebens. Vieh war – entgegen bisheriger Archäologenmeinung – nicht Mitbewohner. Lüning geht nach seinen Untersuchungen davon aus, dass die großen Gebäude allein der Familie zum Leben und Arbeiten dienten. Damit sind die Langhäuser Luxuswohnungen: Auf 400 Quadratmetern lebte nur eine einzige, durchschnittlich sechsköpfige Familie. Jede neue Generation baute sich ein eigenes Haus.
Die Bandkeramiker waren ausgezeichnete Zimmerleute. Das beweist nicht nur der Hausbau, sondern auch die Qualität ihrer hölzernen Brunnen. In den letzten Jahren sind drei entdeckt worden – mit immer neuen Superlativen in Alter und Technik. Der älteste Brunnen Deutschlands wurde – gleich neben einem zweiten – im sächsischen Eythra gefunden. Die Jahresringe der verbauten Eichenhölzer nennen das exakte Alter: Im Winter des Jahres 5084 v.Chr. gingen Eythras Bandkeramiker in den Wald, um die Bäume für ihren Brunnen zu fällen. Der liegt dicht am Fluss, der Weißen Elster. Den aufwendigsten Brunnen bauten die Bandkeramiker im rheinischen Erkelenz-Kückhoven: Für den 14 Meter tiefen und zweimal ausgebesserten Brunnenkasten benötigten sie 150 Eichenbohlen. Die Bretterritzen wurden mit Moos abgedichtet, damit kein schmutziges Wasser in den Brunnen eindringen konnte. Die ersten Bauern stellten unerwartet hohe Ansprüche an ihr Trinkwasser – aus Bächen und Seen trank wohl nur das Vieh.
So viel die Archäologen auch über die bandkeramischen Siedlungen wissen, so wenig wissen sie über Religion und Jenseitsvorstellungen ihrer Bewohner. Es gibt große Friedhöfe, auf denen 200 bis 300 Menschen sorgfältig bestattet wurden. Doch die sind so selten, dass die Wissenschaftler sich fragten, was mit dem Rest der Bevölkerung passiert ist. Ende der neunziger Jahre fand man in Herxheim bei Landau ein Dorf, in dem die Bandkeramiker fast 450 Menschen pietätlos zwischen den Wohnhäusern vergraben hatten. Oft waren nur noch planvoll zerlegte Teile des Skeletts vorhanden: Von den Schädeln waren die Kalotten abgetrennt, die Langknochen waren entfleischt und zerschlagen. Da den Menschen nachweisbar nicht zu Lebzeiten Gewalt angetan worden war, müssen die Zerstückelungen und Entfleischungen Teil des Totenrituals gewesen sein.
Die linearbandkeramische Kultur breitete sich in Deutschland rasend schnell aus: Von Ungarn bis an den Rhein brauchte sie nur 100 Jahre. Bis 5000 v.Chr. gehörten die Menschen von der Ukraine bis in das Pariser Becken einer gemeinsamen Kultur an. Dann ging die älteste mitteleuropäische Bauernkultur in landesweiten Unruhen unter. Die ersten Anzeichen für einen schwindenden Kulturzusammenhalt sind Probleme in der Versorgung mit Feuerstein. Eine gute Steinqualität war lebenswichtig für die Bandkeramiker, die alles Werkzeug vom Küchenmesser bis zur Sichel – von den Waffen ganz zu schweigen – aus diesem Stahl der Steinzeit fertigten. In der Endphase der Bandkeramik um 5000 v.Chr. wurde der begehrte Silex – umgangssprachlich Feuerstein – zur Mangelware.
In den archäologischen Funden zeichnen sich soziale Konflikte und gewalttätige Auseinandersetzungen ab. Das Massengrab von Talheim bei Heilbronn, in dem über 30 erschlagene Menschen lagen, zeugt von Mord. Die gesamte Einwohnerschaft eines Weilers lag ermordet in einer Grube: 18 Erwachsene, 16 Jugendliche und Kinder, 3 Kleinkinder. Sie wurden auf der Flucht von hinten erschlagen. Möglicherweise stammten die Mörder aus der Nachbarschaft: Sowohl Angreifer als auch Opfer waren Bandkeramiker.
Als Reaktion auf die unruhigen Zeiten fingen die steinzeitlichen Bauern an, ihre Dörfer mit Gräben und Zäunen zu befestigen. In einem Haus wohnten jetzt mehrere Familien unter einem Dach. Es gab Einrichtungen, die alle zusammen bauten und nutzten. Ein imposantes Beispiel für solche Gemeinschaftsarbeiten sind die großen Kreisgrabenheiligtümer der späteren Stichbandkeramiker.
Äußeres Kennzeichen der veränderten Kultur ist ab 5000 v.Chr. ein neuer Geschmack. Die schlichten, kugelförmigen Gefäße der Bandkeramiker werden zu geschwungenen Bechern. Die Verzierungen verändern sich. Das europäische bandkeramische Gebiet zerfällt in kleinräumige Provinzen mit unterschiedlichem Schönheitsempfinden. Süd- und Westdeutschland sind von der Rössener Kultur geprägt, die ihre Gefäße über und über mit waagerechten Bändern und schraffierten Dreiecken verziert. In Mitteldeutschland dagegen tritt die Stichbandkeramik, deren umlaufende Bandverzierung aus einzelnen Einstichen zusammengesetzt ist, die Nachfolge der Linearbandkeramik an. Eine großräumige Epoche mit immensem Innovationspotenzial geht zu Ende.
Wer waren die Menschen, die diese bandkeramische Kultur über ein halbes Jahrtausend zusammenhielten? Die Frage entzweit die Wissenschaft: Sind die ersten Bauern Deutschlands Einwanderer aus dem Osten, die die einheimischen Jäger und Sammler verdrängten? Oder sind die Bandkeramiker zum Bauerntum bekehrte Einheimische? Landnahme oder Ideentransfer?
Ähnlich lautet die Frage bei den Haustieren, die sich die Bandkeramiker hielten. Haben Einwanderer die Herden mitgebracht oder züchtete man vor Ort? Schaf, Ziege, Schwein und Rind tauchen zu Beginn der Jungsteinzeit neu und gleich in allen bandkeramischen Siedlungen auf. Schaf und Ziege hatten in Mitteleuropa aber keine wilden Verwandten, müssen also von Einwanderern aus dem Vorderen Orient mitgebracht worden sein. Schwein und Rind können auch vor Ort aus dem heimischen Wildschwein und Auerochs gezüchtet worden sein.
Die Diskussion um eine mögliche Einwanderung ist neu entflammt. Ende 2000 hatten archäologische Spuren auf dem Grund des Schwarzen Meeres das Bild einer sintflutartigen Katastrophe heraufbeschworen. Das nach der Eiszeit ansteigende Mittelmeer, so amerikanische Geologen, habe sich um 5600 v.Chr. über die Schwelle des Bosporus in das tiefergelegene Schwarze Meer ergossen und Siedlungen und Ackerflächen am Ufer überflutet. Die Schwarzmeer-Anrainer mussten fliehen. Waren sie donauaufwärts gewandert und hatten das Wissen von Ackerbau und Viehzucht nach Mitteleuropa gebracht?
Die Theorie hat durch aktuelle Analysen unseres Erbguts erneut Aufwind bekommen. Eine Gruppe Genetiker um den Londoner Wissenschaftler Lounès Chikhi hat spezielle Mutationen auf dem Y-Chromosom untersucht – mit dem Ergebnis, dass 50 bis 65 Prozent der Gene der heutigen Europäer aus dem Nahen Osten stammen. Die einheimischen Jäger und Sammler hätten demnach weniger als ein Drittel der Bevölkerung ausgemacht.
Die Archäologen stehen auf der Gegenseite. In ihrem Material ist nicht die große Einwanderung, sondern ein enger Kontakt zwischen Bauern-Pionieren und einheimischen Jägern und Sammlern festzustellen. Steinzeitkenner Lüning, Emeritus der Universität Frankfurt am Main, denkt an das Modell „Entwicklungshelfer”: Wenige Bauern bringen den Jägern und Sammlern Ackerbau und Viehzucht bei.
Archäologe Lüning hat in einer Siedlung der frühesten Bandkeramik eine solche Entwicklungshelferfamilie zwischen Einheimischen ausgemacht: In Schwanfeld (Unterfranken) lebten vier Familien über mehrere Generationen zusammen. Alle Haushalte schlugen ihre Werkzeuge aus baltischem Feuerstein zurecht. Eine Familie aber besaß augenfällige Kontakte nach Ungarn: In ihrem Haus wurde Radiolarit benutzt, ein leuchtend roter Feuerstein aus einem Bergwerk nördlich des Plattensees. Der Wissenschaftler ist überzeugt: „Die Familie, die diesen Hof betreibt, hat Verbindungen nach Osten zu ihren Verwandten. Das sind die eingewanderten Bandkeramiker, das sind die Missionare und Entwicklungshelfer.” Und die anderen? „Das sind die Einheimischen.”
KOMPAKT
• Um 5500 v.Chr. kommt das Wissen um Ackerbau und Viehzucht nach Mitteleuropa. • Genetiker und Archäologen suchen eine Antwort: Einwanderung oder Eigenerfindung? • Nach einem halben Jahrtausend zerbricht die europaweite Kultur.
Almut Bick