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Bacchus im Genlabor

Allgemein

Bacchus im Genlabor
Mithilfe der Gentechnik können Winzer schon bald besseren und gesünderen Rebensaft produzieren. Doch zuvor müssen sie die Weintrinker überzeugen.

Wenn es um die Gene geht, greift Sakkie Pretorius zu großen Buchstaben: „IN UNSERER WEININDUSTRIE WERDEN KEINE GENTECHNISCH VERÄNDERTEN ORGANISMEN VERWENDET“, mailt der Leiter des Australischen Weinforschungsinstituts in Adelaide dem Interview mit bild der wissenschaft hinterher. Doch die Gentechnik schätzt er durchaus: „Es gibt keinen Zweifel, dass die Gentechnik in der Weinindustrie ein atemberaubendes Potenzial besitzt“, schreibt Pretorius in einem kürzlich erschienenen Fachartikel des Südafrikanischen Instituts für Weinbiotechnologie.

In den Labors brodelt es. Gerade debattiert die argwöhnische Gemeinde der Weintrinker, ob Eichenspäne im Edelstahlfass eine moralisch vertretbare Geschmacksmanipulation seien, da setzen Gen-Forscher vor allem im Ausland zu einem Schlag ganz anderer Größenordnung an. Sie wollen mittels Gentechnik die Qualität des Weins verbessern. Und damit an etwas herummanipulieren, was nach Ansicht vieler Weinliebhaber ein Mysterium ist, das sich in einem nicht erfassbaren Zusammenspiel von Lage, Sonnenschein und Winzergenius ereignet.

Allerdings ist es nicht neu, dass Weinforscher den Trauben an die Gene wollen: Die Önologen nutzen DNA-Analysen von Rebstöcken schon seit einigen Jahren, um gezielter zu züchten. Das deutsche Institut für Rebenzüchtung in Siebeldingen arbeitet an der Entwicklung von transgenen Reben, die dem Mehltau und der durch Viren verursachten Reisigkrankheit widerstehen. Kanadische Winzer hantieren mit Frostschutz-Genen. Und im fränkischen Veitshöchheim haben die Hightech-Winzer der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) Anfang dieses Jahres sogar die ersten 50 Flaschen des in Siebeldingen entwickelten Gentech-Rieslings abgefüllt. Auch Weinkenner konnten keinen Unterschied zu einem herkömmlich produzierten Tropfen schmecken. „Sortenreinheit und Qualität ändern sich nicht, wenn Sie ein paar Resistenz-Gene in das Genom einschleusen“, versichert Reinhard Töpfer, der Institutsdirektor in Siebeldingen. „Das war schließlich auch nicht unsere Absicht.“

Forscher wie Sakkie Pretorius und mit ihm Kollegen aus fast allen Weinländern in Europa und Übersee planen mehr. Sie wollen Farbe, Geschmack und Aroma des Rebensaftes verbessern. Vor allem soll er verträglicher werden, auf dass die wachsende Zahl gesundheitsbewusster Konsumenten ihn ohne Bedenken trinken kann. Schließlich, so Pretorius, blieben derzeit jedes Jahr rund fünf Milliarden Liter produzierten Weins ungetrunken.

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Kleine unscheinbare Lebewesen sollen bei dem ambitionierten Projekt helfen. Denn mittlerweile haben die Gentechniker erkannt, dass sie besser bei der Weinhefe (Saccharomyces cerevisiae) als bei den Trauben ansetzen. Denn die Hefen spielen eine entscheidende Rolle bei der Weinproduktion: Sie betreiben die Gärung, verwandeln also Zucker in Alkohol, und beeinflussen die Farbe, das Aroma und den Geschmack des Weines. Da sie sich in wenigen Stunden vermehren, lässt sich der Erfolg von gentechnischen Eingriffen sehr viel schneller erkennen als bei Rebstöcken, die mindestens drei Jahre heranwachsen müssen, um kelterfähige Trauben zu liefern.

Hinzu kommt der historische Zufall, dass die Genetiker die einfach strukturierte Weinhefe schon vor einem Jahrzehnt zum biologischen Modellsystem erkoren haben. Ihre nur etwa 6000 Gene sind alle bekannt, bei knapp einem Drittel sogar die Funktionen. Es gibt also kaum einen Organismus, der sich für einen Zugriff per Gentechnik besser eignen würde. Das erklärt einen Teil der Erfolge, die Forscher in den letzten Jahren gemeldet haben. Ein paar Beispiele:

• Gentechniker beeinflussen das Gleichgewicht zwischen Zuckergehalt und Fruchtigkeit. Gerade in sonnigen Ländern haben voll ausgereifte, schmackhafte Trauben einen extrem hohen Zuckergehalt, der zu einem übermäßigen Alkoholgehalt von 15 oder 16 Prozent führt. Zugleich schmecken die Weine wegen der fehlenden Säure flach. Um dieses Problem zu lösen, hat die Biologin Sylvie Dequin vom Institut für Agrarforschung im südfranzösischen Montpellier ein Gen eines Milchsäure-Bakteriums in die Weinhefe eingebaut, das den Säuremangel ausgleicht.

• Die Forscher um Florian Bauer von der Stellenbosch University in Südafrika versuchen sogar, bestimmte Geschmacksnoten zu erzielen. Sie konnten ein Hefe-Enzym dazu bringen, größere Mengen eines Esters zu produzieren, der nach Banane schmeckt. Andere Projekte drehen sich um Vanille- und Zimtsäuren. Australische Forscher arbeiten mit flüchtigen Thiolen, die von schwefelhaltigen Komponenten der Reben produziert werden und nach Passionsfrucht oder sogar nach Katzen-Urin schmecken. In einem komplexen Bukett haben, stark verdünnt, auch solch ungewöhnliche Geschmacksnoten ihre Bedeutung.

• Weltweit experimentieren Biotechnologen mit gentechnisch veränderten Hefen, die eine ganze Reihe von unerwünschten Bestandteilen beseitigen – Bakterien oder Pilze, die Nebengeschmack und Fehlgeruch verursachen. Besonders stolz sind die Weingenetiker auf ihre Erfolge bei der Herstellung eines gesünderen Weines. So konnten sie den Alkoholgehalt reduzieren, und sie haben eine Möglichkeit gefunden, die Produktion des unerwünschten zellschädigenden Ethylcarbamats zu unterbinden. Sogar der Kater nach einer durchzechten Nacht könnte eines Tages milder ausfallen. Der wird nämlich nicht allein vom Alkohol ausgelöst, sondern vom Schwefeldioxid und diversen Aminen. Um die soll sich in Zukunft ein Gen namens HEL1 kümmern.

• Nicht zuletzt erwarten die Önologen produktionstechnische Fortschritte von gentechnisch standardisierten Hefen. Die bislang instabilen Fermentationsvorgänge würden wahrscheinlich sicherer ablaufen, und es gäbe weniger Ausschussproduktion.

Trotz dieser neuen Möglichkeiten rechnet kaum ein Forscher damit, dass noch in dieser Dekade irgendwo auf der Welt in den Restaurants gentechnisch veränderter Wein eingeschenkt wird. In seltener Einmütigkeit versichern alle Verbände der Weinindustrie, dass sie noch nicht mal daran denken, in absehbarer Zeit Gentech-Wein auf den Markt zu bringen. „Wir können gentechnisch veränderten Wein nicht einfach in die Kehlen der Verbraucher zwängen“, warnt Sakkie Pretorius. „Die Industrie hängt entscheidend vom äußerst empfindlichen europäischen Markt ab. Es wäre zurzeit wirtschaftlicher Selbstmord, dort einen solchen Wein anzubieten.“

Typisch ist etwa die Erfahrung des französischen Champagnerproduzenten Moët & Chandon. Als das Satire- und Enthüllungsmagazin „Le Canard enchaîné“ 1999 aufdeckte, dass die Traditionskellerei Wissenschaftlern fünf Jahre lang den Anbau von genveränderten Chardonnay-Stöcken auf einem Forschungsfeld gestattet hatte, war der Druck der internationalen Weingemeinde so groß, dass das Experiment abgebrochen wurde. Als im gleichen Jahr die Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau am Würzburger Pfaffenberg 80 gentechnisch veränderte Riesling-Reben pflanzte, verurteilte der Bund Naturschutz den Versuch als „ Anschlag auf die fränkische Weinkultur“. „Moralisch bedenklich“, urteilte der Öko-Winzerverband Ecovin.

Die Angst der Verbraucher vor einem genetischen Eingriff ist groß, beruht aber zu großen Teilen auf falschen Informationen. Selbst wenn die Reben – statt der Hefen – gentechnisch verändert werden, hilft dies mehr der Umwelt, als ihr zu schaden, beteuert der Siebeldinger Rebenforscher Töpfer. „Da alle traditionellen Rebsorten hoch anfällig für Schädlinge sind, kommt kein Winzer ohne die chemische Keule aus. Gentechnik kann dieses Problem umgehen und somit auch die Weinqualität durch gesundes Lesegut verbessern.“ Bisher konnte man nur durch eine Kreuzungszüchtung die Pilzwiderstandsfähigkeit verbessern. Doch dies führt unweigerlich zu einer neuen Traubensorte, die mit einem enormen Marketingaufwand erst eingeführt werden muss.

Doch wahrscheinlich sind es gerade die pragmatischen Versprechungen der Gen-Forscher, die so manchen Weinfreund irritieren. Wenn die Kritiker Sakkie Pretorius fragen, ob die Wissenschaftler den Menschen nicht ein paar kleine Inseln lassen sollten, mit denen sie eine etwas mystische Beziehung pflegen können, regt sich der schlagfertige Forscher dann doch auf. Ob die kleinen Inseln der traditionellen Landwirtschaft mit ihren Pestiziden und Düngern so idyllisch seien? Und fügt hinzu: „ Stagnation bedeutet Tod, im Leben und in der Forschung.“

Auch wenn viele Weintrinker mit den herkömmlichen Weinen zufrieden sind und die Reben im Überfluss wachsen – Pretorius ist überzeugt, dass spätestens die nächste Generation Gen-Wein trinken wird: „Die Steinzeit endete schließlich auch nicht, weil die Steine knapp wurden.“

 

KOMPAKT

• Bislang beschränken sich die Gentechniker darauf, Rebstöcke vor Krankheitserregern und Frost zu schützen. • In neuen Projekten soll Gentechnik Wein mehr Geschmack und mehr Fülle geben sowie die Produktion gesundheitsschädlicher Stoffe unterbinden.

Andrea Schuhmacher

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