Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

SCHWACHPUNKT PILOT

Technik|Digitales

SCHWACHPUNKT PILOT
Die meisten Flugunfälle ereignen sich bei der Landung. Da hilft die beste Technik nichts. Das Flugpersonal muss besser geschult werden.

Es ist der 17. Juli 2007. Ein Airbus A320 der brasilianischen Fluggesellschaft TAM befindet sich auf einem Routineflug. Im Cockpit haben die Piloten die Leistung der Triebwerke reduziert. Die Maschine wird in wenigen Minuten auf dem Flughafen Congonhas in São Paulo landen. In der mit 162 Fluggästen fast voll besetzten Kabine freuen sich viele Passagiere schon auf die brodelnde südamerikanische Metropole. Mit einem Ruck setzt der Airbus auf der Landebahn auf – und schießt immer weiter über die Piste. Beobachtern stockt der Atem. Den Piloten gelingt es nicht, die Maschine auf der Bahn zum Stehen zu bringen. Der Jet rast über die regennasse Landepiste hinaus, hinein in eine Frachthalle und eine Tankstelle. Er fängt Feuer. 199 Menschen sterben.

Es ist das größte Flugzeugunglück des Jahres 2007 – und ein typischer Unfall der zivilen Luftfahrt. Insgesamt starben 2007 weltweit 764 Menschen im kommerziellen Luftverkehr (im Jahr zuvor waren es 845 gewesen). Die Statistik 2007 hätte besser ausfallen können, wäre es nicht am 16. September im thailändischen Ferienparadies Phuket zu einem Unglück gekommen, das wie eine Dublette der Katastrophe von São Paulo erscheint. Eine McDonnell-Douglas MD-82 der thailändischen Orient Thai Airways schoss bei strömendem Regen über das Ende der Landebahn hinaus. 89 Menschen kamen ums Leben. Der ähnliche Ablauf ist kein Zufall. Die Flugzeugunglücke des letzten Jahres haben viele entscheidende Gemeinsamkeiten. Insgesamt kam es zu 45 Unfällen, die zum Totalschaden des Flugzeugs führten. Davon geschah fast jeder zweite Unfall während des Landeanflugs oder beim Landen. Das relativ große Risiko bei oder unmittelbar vor der Landung bestätigt eine Untersuchung des Flugzeugbauers Boeing.

PILOT Nicht STÖREN! LEBENSGEFAHR!

Die Flight Safety Foundation (FSF), eine unabhängige Flugsicherheitsorganisation, beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit solchen Katastrophen. Schon 1996 hat sie eine Task Force ins Leben gerufen, um die Ursachen für die häufigen Landeunfälle herauszufinden. Die Experten der FSF unterzogen 76 Unfälle und schwere Zwischenfälle einer detaillierten Analyse. In 72 Prozent der untersuchten Fälle hatten die Piloten „wichtige Handlungen ausgelassen oder falsch ausgeführt“: Die Piloten waren von den „Standard Operating Procedures“ für ihre Maschine abgewichen. Diese Prozeduren, die der Hersteller für jeden Jet vorgibt, beschreiben penibel die Aufgaben der Piloten in jeder Phase des Flugs. Warum aber verhalten sich Piloten immer wieder anders, als es die Prozeduren vorschreiben?

Die Gründe dafür sind oft Unterbrechungen und Störungen der Piloten, stellten die FSF-Fachleute fest. Und davon gibt es jede Menge – gerade vor und während der Landung, wenn die Arbeitsbelastung ohnehin besonders hoch ist. Behelligt werden die Piloten durch eingehende Funksprüche, Warnmeldungen – etwa von dem Kollisionswarngerät TCAS – oder eine ins Cockpit kommende Stewardess. Dadurch kann es passieren, dass die Piloten einen wichtigen Hinweis in einem Funkspruch überhören, eine Checkliste unvollständig abarbeiten oder die Überprüfung eines Instruments unterlassen. Meist bleibt das zum Glück folgenlos, manchmal aber ist es die Ursache eines schweren Unfalls.

Anzeige

Die Experten der FSF stießen auf weitere aufschlussreiche Fakten. So kam es vor jedem fünften Zwischenfall zu Fehlern der Flugzeugführer im Umgang mit dem Autopiloten der Maschine. Der sorgt nicht nur dafür, dass Flugrichtung und Geschwindigkeit einer Maschine beibehalten werden, er regelt auch den Schub und bewältigt automatisch komplexe Flugwege, die der Pilot zuvor programmiert hat. Zu Fehlern kann es kommen, wenn irrtümlich ein falscher Betriebsmodus eingestellt ist, ein falscher „Waypoint“ (Wegmarke) eingegeben oder eine Höhenangabe nicht korrekt eingetippt und unzureichend kontrolliert wird.

Fehler passieren im Cockpit außerdem bei der Art, wie Kapitän und Copilot zusammenarbeiten. Anders als früher agieren sie heute als Team. Dabei gibt es klare Regeln. Einer der beiden Crewmitglieder ist „Pilot Flying“, der andere „Pilot Not Flying“: Während der Pilot Flying fast nur fürs Fliegen der Maschine zuständig ist, wickelt der Pilot Not Flying den Funkverkehr ab und übernimmt Kontrollaufgaben. Das funktioniert meist gut, doch bei Stress kommt es oft zu Problemen und Diskussionen – mit fatalen Folgen.

Automatische Systeme, bei denen ein per Funk übermittelter Gleitpfad den Piloten den Weg zur Landebahn weist, erleichtern die Landung. Doch nicht alle Flughäfen sind mit solchen Systemen ausgestattet. Bei manchen Flughäfen sind die Piloten auch auf das angewiesen, was sie sehen können. Über ein Viertel der untersuchten Vorfälle ereignete sich bei solchen Anflügen. Häufig saßen die Piloten Sinnestäuschungen auf oder waren desorientiert. So etwas passiert etwa, wenn ein ansteigendes oder abfallendes Gelände unter der Maschine während des Anflugs den Eindruck erweckt, dass der Jet zu hoch oder zu tief fliegt. Korrigieren die Piloten den vermeintlichen Fehler, gerät das Flugzeug tatsächlich in eine ungünstige Landeposition.

Daneben spielt bei Landeunfällen natürlich das Wetter eine wichtige Rolle. Gefährlich sind etwa eine regennasse Piste und widrige Winde: starker Seitenwind, Rückenwind oder Scherwinde. Auch wenn die Piloten entsprechende Warnungen erhalten – vom Tower oder von einem Warngerät in der Maschine –, müssen sie manuell reagieren. Das nimmt ihnen kein Autopilot ab. Scherwinde erzeugen einen mächtigen Luftsog nach unten, der stark genug sein kann, um ein Flugzeug mit sich zu reißen. Besonders gefährlich ist das, wenn sich der Jet knapp über dem Boden befindet. Die Piloten können sich zwar durch geeignetes Einstellen des Schubs und eine angemessene Flughöhe auf eine Windscherung vorbereiten. Doch das geht nur, wenn die Crew ausreichend geschult ist.

Bei vielen Unfällen hätten die Piloten mit einem „Go Around“ durchstarten können – und nichts wäre passiert. Doch obwohl ein Go Around die Chance bietet, ein Unglück bei einem missglückten Landeversuch zu verhindern, wird er nur selten gewagt. Auch da gilt: Damit er gelingt, müssen die Piloten gut für die Notsituation trainiert sein und sich an klare Regeln halten. Der Einbau von Kollisionswarngeräten in Cockpits hat in den letzten Jahrzehnten die Gefahr von Zusammenstößen in der Luft drastisch sinken lassen. Landeunfälle hingegen sind nicht einfach durch technische Aufrüstung des Flugzeugs zu verhindern. Es gibt bereits viele Systeme, die die Piloten während des Landeanflugs unterstützen. Dazu gehören Radarsysteme, die gefährliche Schwerwinde erfassen und vor ihnen warnen, sowie neue Bodenannäherungssysteme. Sie ermöglichen den Piloten mit ihren Instrumenten einen vorausschauenden virtuellen Blick auf die Piste vor dem Jet. Bei modernen Systemen wird eine präzise digitale Landkarte kombiniert mit den Höhendaten, dem GPS-Navigationssystem sowie dem Bordcomputer und den Daten für den geplanten Flugverlauf. So erkennt die Crew Bodenhindernisse auch ohne Sicht nach außen. Doch solche Systeme können die Piloten nicht ersetzen. Entscheidend ist immer noch deren fliegerisches Know-how.

RISIKO: DIE FLUGROUTINE FEHLT

Das aber wird heute im Dienstalltag vieler Crews kaum noch trainiert. Dieter Reisinger, Flugsicherheitsexperte und erfahrener Pilot aus Österreich, hat bei der Lauda Air viele Jahre lang den Bereich Flugsicherheit geleitet. Er betont: „Ich sehe eine Risikoquelle in den immer längeren Strecken, die wegen der maximal zulässigen Flugdienstzeiten mit einer erhöhten Zahl von Cockpitcrews operiert werden müssen. Das bedeutet, dass bei Start und Landung im Regelfall ein Pilot zusieht und nicht am Steuer sitzt. Bei zwei Landungen pro Monat hat ein Langstreckenpilot kaum noch eine Chance, seine fliegerischen Fähigkeiten zu verfeinern.“

Im Notfall kann ein neuartiges technisches System die Folgen von Landeunfällen deutlich mildern: ein Haltestreifen aus zellförmigem Spezialzement, der am Ende der Landebahn installiert wird. Überrollt ein Flugzeug die Piste, zerbröckelt der Zement unter den Reifen und lässt das Fahrgestell in die Schicht einbrechen. So wird die Maschine abgebremst, wodurch die Schäden gering bleiben. Die Landebahnverlängerung, die von der US-Firma Engineered Arresting Systems entwickelt wurde, ist längst über das Prototypenstadium hinaus. Sie wurde bereits an einigen Flughäfen installiert, etwa am Logan International Airport in Boston sowie an den New Yorker Flughäfen La Guardia und John F. Kennedy. Seine ersten Bewährungsproben hat das System mit Bravour bestanden. ■

FRANK LITTEK ist Journalist und Buchautor im niedersächsischen Heeslingen. Er hat sich auf das Thema Luftfahrt spezialisiert.

von Frank Littek

Die SCHWERSTEN Flugzeugunglücke 2007

Datum Land Airline Flugzeugtyp Tote Fakten

17.7.2007 Brasilien TAM Airbus A320 199 Bei der Landung in São Paulo schoss der Jet

über die Piste hinaus und fing Feuer.

5.5.2007 Kamerun Kenya Airways Boeing 737–800 114 Die Boeing 737 stürzte kurz nach dem Start zu

einem Flug nach Nairobi ab.

1.1.2007 Indonesien Adam Airlines Boeing 737–400 102 Auf einem Flug von Juanda nach Manado in Indonesien verschwand das Flugzeug plötzlich aus noch ungeklärter Ursache vom Radarschirm.

16.9.2007 Thailand Orient Thai Airways McDonnell Douglas MD-82 89 Die Besatzung versuchte bei starkem Regen im thailändischen Phuket zu landen. Dabei raste die Maschine über das Ende der Piste hinaus.

Feuer durch kaputte Kabel – DAS RISIKO WÄCHST

Hinter einem Flugzeugunglück steckt selten ein technisches Problem. Doch wenn es dazu kommt, geschieht das oft in Zusammenhang mit dem Ausbruch eines Brandes. Der Absturz der Swissair-Maschine 1998 vor der kanadischen Küste bei Halifax ist ein Beispiel. Solche Katastrophen könnten künftig häufiger werden. Denn oft sind defekte Kabel am Feuer schuld. Brände entstehen, weil brüchig gewordene Isolierungen Kurzschlüsse oder Funkenflug auslösen. Und die Zahl der Kabel an Bord von Verkehrsflugzeugen nimmt ständig zu.

Nach dem Absturz vor Halifax fanden die Ermittler etliche geschmolzene Kabel. Sie hatten den Brand ausgelöst, der den Jet zum Absturz brachte. Bei der Havarie einer Boeing 747 der Fluggesellschaft TWA 1996 über dem Atlantik hatte ein Kurzschluss gar den Haupttank der Maschine im Rumpf explodieren lassen. Nach diesem Unglück nahmen die Ermittler der US-Flugsicherheitsbehörde NTSB viele Kabel genauer in Augenschein. Moderne Verkehrsflugzeuge sind von insgesamt über 100 Kilometer langen Kabelverbindungen durchzogen. Viele Kabel sind dabei in mächtigen Kabelsträngen zusammengefasst, die unter 350 Volt Hochspannung stehen. Bei der Untersuchung der Kabel in der TWA-Boeing stellten die Ermittler fest, dass die Leitungen an vielen Stellen Brüche und andere Beschädigungen aufwiesen. Dadurch aufmerksam geworden, untersuchten sie stichprobenweise 25 weitere Maschinen. Das Ergebnis war katastrophal: In allen Flugzeugen – mit Ausnahme einer nagelneuen Boeing 737 – entdeckten die Fahnder Metallteile oder andere Fremdkörper auf oder bei den Kabeln. Es gab Kabel, deren Isolierung aufgeschnitten, durchgescheuert oder gebrochen war. Teilweise lagen die Leitungen frei. In fünf Jets fanden die Ermittler bereits Spuren von Feuer oder Hitzeeinwirkung an den Kabeln. Hier könnte der Einsatz von Glasfaser-Verbindungen helfen. Sie können zwar keine Stromkabel ersetzen, aber sie sind in der Lage, Daten zu übermitteln – etwa in Infotainment-Systemen.

Auf und Ab

Die Zahl der Menschen, die jährlich durch Flugzeugunglücke ums Leben kommen, schwankt seit Jahren. Doch während Unfälle durch Zusammenstöße in der Luft dank neuer Warnsysteme seltener werden, sterben bei Landeunfällen nach wie vor viele Menschen.

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Tier|pfle|ger  〈m. 3〉 1 jmd., der Tiere pflegt (füttert, betreut, sauber hält) 2 dreijähriger Ausbildungsberuf, in dem das zur artgerechten Pflege von Tieren notwendige Wissen erworben wird … mehr

♦ Hy|dro|me|trie  auch:  Hy|dro|met|rie  〈f. 19; unz.〉 Messarbeiten an Gewässern … mehr

Bri|ard  〈[–ar] m. 6; Zool.〉 große frz. Schäferhundrasse

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige