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der Mensch im Hund

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der Mensch im Hund
Der Hund ähnelt dem Menschen wie kein anderes Tier – in Hormonen, Psyche und sogar Krankheiten.

Seelentröster, Partnerersatz, Fitnesstrainer und Mode-Accessoire – Hunde sind der Deutschen liebstes Haustier. Warum viele Menschen Hundehaare auf dem Sofa und einen Kauknochen im Bett klaglos in Kauf nehmen, hat gute Gründe: Hunde halten ihre Frauchen und Herrchen körperlich und seelisch fit, können Beziehungen kitten und sogar die Schulnoten der Kinder verbessern.

Brian Hare, Forscher an der Duke University in Durham/North Carolina, machte als 19-jähriger Student der Psychologie mit den beiden Hunden seiner Eltern in der Garage sein erstes Experiment: Unter einem von zwei Bechern versteckte er einen Hundekuchen. Dann zeigte oder nickte er in die Richtung des Bechers mit der Belohnung. Die Hunde verstanden sofort. Hares Garagenexperiment wurde später mehrfach mit Schimpansen und Wölfen wiederholt und die Ergebnisse in Fachzeitschriften veröffentlicht: Von elf Schimpansen verstanden gerade einmal zwei die Hinweise des Versuchsleiters. Ganz anders bei Hunden: Selbst wenn der Versuchsleiter zum falschen Becher lief, aber auf den richtigen zeigte, wussten alle Hunde gleich Bescheid. Ihre Fähigkeit, die Blickrichtung und Gesten der Menschen zu deuten, ist genauso gut wie die von ein- bis zweijährigen Kindern.

Diese Fähigkeit ist genetisch verankert, ist Ádám Miklósi, Verhaltensforscher und Hundeexperte an der Eötvös Universität in Budapest, überzeugt. Denn bereits Hundewelpen verhalten sich bei den Becherversuchen entsprechend. Wölfen hingegen fehlt diese Gabe, selbst wenn sie von Menschen aufgezogen worden sind. Versteckten die ungarischen Forscher etwa Futter in einer verschlossenen Kiste, die von den Tieren nicht zu öffnen war, gaben Hunde nach wenigen Versuchen auf und schauten abwechselnd zum Versuchsleiter und zur Box, als wollten sie fragen: „Was soll ich jetzt tun?“. Wölfe dagegen versuchten bis zum Ende des Versuchs, die Kiste zu öffnen. „Wir sind sicher, dass die Hunde im Verlauf der Domestizierung viele sozial-kognitive Fähigkeiten des Menschen übernommen haben und dass so etwas wie eine gemeinsame Evolution stattgefunden hat“, sagt Brian Hare.

ECHTE LEIDENSGENOSSEN

Wie DNA-Analysen zeigen, hat sich der Ur-hund vor mindestens 15 000 Jahren in Ostasien aus dem Wolf entwickelt. Die Tiere lungerten vermutlich in der Nähe menschlicher Lagerplätze herum und ernährten sich von Abfällen. Zunächst nutzten die Menschen Hunde wohl als Wächter und Jagdhelfer. Aber da sie sich gut dem Verhalten des Menschen anpassen konnten, wurden sie bald zu dessen ständigen Begleitern. Bei der Züchtung wurden je nach Bedarf bestimmte Charaktereigenschaften und Äußerlichkeiten verstärkt, die zu den heutigen rund 400 Hunderassen führten. Miklósi ist überzeugt, dass der Hormonhaushalt verantwortlich ist für die charakteristischen Eigenschaften der Hunde: menschenähnliches Sozialverhalten mit lebenslangen Bindungen, ausgeprägte Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit, verminderte Aggression in der Gruppe und die Fähigkeit zur Imitation. Bekanntlich spielen die Hormone Oxytocin und Vasopressin bei Menschen und einigen Tieren eine wichtige Rolle beim Bindungsverhalten. Ádám Miklósi vermutet, dass dies auch bei Hunden der Fall ist. Forscher der Russischen Akademie der Wissenschaften haben bereits 1991 bei der Züchtung zahmer Füchse festgestellt, dass deren geringe Aggression mit einem erhöhten Wert des beruhigenden Botenstoffs Serotonin im Gehirn einhergeht. Miklósi ist überzeugt, dass Hunde ebenfalls höhere Serotonin-Werte als Wölfe haben. Entsprechende Tests laufen zurzeit.

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Überraschend ist auch, welche Krankheiten Hunde am häufigsten haben. Genau wie Millionen Menschen leiden sie vor allem an Krebs, Epilepsie, Allergien und Herzkrankheiten. Hunde zeigen zudem viele menschliche Verhaltensauffälligkeiten wie Zwangsneurosen, Panikstörungen und offenbar auch die Aufmerksamkeitsstörung ADHS. Zusammen mit der Molekularbiologin Krisztina Hejjas konnte Miklósi zeigen, dass Hunde mit typischen ADHS- Symptomen genau wie Menschen veränderte DRD4-Dopamin-Rezeptoren haben. Aufgrund der jahrtausendelangen Inzucht weisen Hunde von allen Tieren die größte Zahl an Erbkrankheiten auf. Das hilft den Forschern dabei, das menschliche Genom zu kartieren: Mindestens die Hälfte aller bei Hunden bekannten Erbkrankheiten gleichen denen von Menschen. Die Vierbeiner gelten hier als Studienobjekte, da Mensch und Hund seit Tausenden von Jahren in derselben Umgebung leben und dieselben Umweltrisiken tragen.

WAS MÖPSE ZU BIETEN HABEN

Von einem evolutionären Standpunkt aus betrachtet, ist es schwer zu verstehen, warum der Mensch Lebewesen einer anderen Art durchfüttert – und seit geraumer Zeit geradezu vermenschlicht. Jäckchen, Hüftimplantate und extrazarte Hühnchenbrust kosten den deutschen Hundehalter viel Geld. Im Schnitt gibt er pro Jahr satte 1200 Euro für Fiffi aus – die mit nicht viel mehr als einem Schwanzwedeln und einem treuen Hundeblick entschädigt werden. Vor etlichen Tausend Jahren dienten Hunde hauptsächlich zum Schutz und noch vor wenigen Jahrhunderten zur Jagd. Diese Funktionen haben sie heute nur noch selten. Was haben hochgezüchtete Handtaschen-Rassen wie Möpse und Chihuahuas also zu bieten? Eine Reihe wissenschaftlicher Studien beweist, dass Hunde durchaus von Nutzen sein können: Ihre Besitzer haben im Schnitt eine geringere Stressanfälligkeit, einen niedrigeren Blutdruck und geringere Cholesterin-Werte. Nach einem Herzinfarkt ist die Überlebensrate von Hundehaltern achtmal so hoch wie von Menschen ohne Hund. Außerdem zeigten Pilotstudien, dass Hunde bei Arbeitslosigkeit und Scheidungskrisen sozial stabilisierend wirken, da sie den Tagesablauf strukturieren und Sicherheit vermitteln. Noch dazu bewegen sich Hundehalter nicht nur mehr als etwa Katzenbesitzer – die gemeinsamen Spaziergänge bringen sie auch oft ins Gespräch mit anderen Menschen. Außerdem stärkt die bedingungslose Zuneigung des Hundes das Selbstwertgefühl. In vielerlei Hinsicht ist die Bindung von Hunden und Menschen mit der von Eltern und Kindern vergleichbar. Das bestätigt der sogenannte Strange-Situation-Test, mit dem Psychologen das Bindungsverhalten von Kindern untersuchen. Die Kinder werden dabei mit einer fremden Person allein gelassen, und ihr Verhalten wird analysiert.

SENSIBEL WIE KLEINKINDER

Als Ádám Miklósi diesen Test bei Hunden und Haltern anwendete, stellt er fest, dass sich die Hunde wie Kleinkinder verhielten. Sie waren deutlich entspannter und eher bereit, ihre Umgebung zu erkunden, wenn sie ihren Halter in der Nähe wussten, als wenn sie mit einem Fremden allein waren. Tatsächlich nehmen Hunde oft die Rolle von Kindern ein. In manchen Familien sind sie aber auch eine echte Hilfe für die Kinder: Die schulische Leistungen werden besser. Reinhold Bergler vom Psychologischen Institut der Universität Bonn stellte fest, dass sich Kinder mit einer engen Beziehung zu ihrem Hund länger und intensiver mit ihren Hausaufgaben beschäftigen – vor allem wenn ihnen der Hund dabei Gesellschaft leistet. Sie hatten in der Studie insgesamt einen besseren Notenschnitt und besonders in den Fächern Mathematik, Physik und Kunst bessere Noten. Eine Erklärung, warum es ausgerechnet diese Fächer sind, hat der Bonner Psychologe nicht gefunden.

Fest steht: Im Lauf der gemeinsamen Evolution hat sich der Hund perfekt an seine ökologische Nische angepasst und reagiert auf die Stimmungen seines Halters wie ein sensibler Seismograph. „ Mensch und Hund sind einfach ein perfektes Team“, bringt es der Wiener Verhaltensforscher Kurt Kotrschal auf den Punkt. ■

SIMONE EINZMANN hat Psychologie studiert und arbeitet als freie Wissenschaftsjournalistin im schottischen Aberdeen.

von Simone Einzmann

Die schlausten Hunde

1. Border Collie

2. Pudel

3. Deutscher Schäferhund

4. Golden Retriever

5. Dobermann

6. Shetland Sheepdog (Sheltie)

7. Labrador Retriever

8. Papillon

9. Rottweiler

10. Australischer Cattle Dog

11. Welsh Corgi Pembroke

12. Miniaturschnauzer

13. English Springer Spaniel

14. Belgischer Schäferhund (Tervuren)

15. Schipperke

16. Wolfsspitz

17. Deutscher Kurzhaar

18. English Cocker Spaniel

19. Brittany

20. American Cocker Spaniel

Der Hundeliebhaber und Psychologe Stanley Coren von der University of British Columbia in Vancouver wollte wissen, welche Hunde die schlausten sind. Dazu ließ er 110 Hunderassen von 200 professionellen Hundetrainern beurteilen. Die Liste veröffentlichte er in seinem Buch „Die Intelligenz der Hunde“. Allerdings beurteilten die Experten nur die Fähigkeiten der Hunde im Training: Sie überprüften, wie oft sie ein Kommando wiederholen mussten, bis ein Tier es befolgte. Bei den besten zehn Rassen brauchten sie einen neuen Befehl höchstens fünfmal zu wiederholen.

Welcher Hundehalter-Typ sind Sie?

Die Art, wie Herrchen und Frauchen mit ihrem Vierbeiner umgehen, hat die Psychologin Silke Wechsung von der Universität Bonn unter die Lupe genommen. Sie führte 150 persönliche Interviews, befragte 2639 Hundehalter über das Internet und machte 55 standardisierte Verhaltensbeobachtungen. Ihr Ergebnis sind drei Kategorien:

· Der prestigeorientierte, vermenschlichende Hundehalter versucht durch den Hund sein Selbstbewusstsein zu stärken. Er hat weder zur Natur noch zu anderen Menschen ein besonders enges Verhältnis. Er ist vergleichsweise introvertiert und kontaktscheu. (22 Prozent der Hundehalter)

· Für den emotional betonten Hundehalter ist der Hund der engste Freund, ständiger Begleiter und oft sogar Partnerersatz. Er fühlt sich eher zu Tieren als zu Menschen hingezogen. Er geht mit seinem Tier liebevoll um und verwöhnt es oft. (35 Prozent der Hundehalter)

· Der naturverbundene soziale Hundehalter möchte durch seinen Hund naturnah leben und sich bewegen. Er ist gesellig und will über den Hund neue Menschen kennenlernen. Beziehungen zu anderen Menschen sind ihm wichtiger als die zu seinem Hund. Im Umgang mit dem Tier ist er selbstbewusst und souverän. (43 Prozent der Hundehalter)

KOMPAKT

· In der 15 000-jährigen Entwicklung von Mensch und Hund hat eine gemeinsame Evolution stattgefunden.

· Forscher sind überzeugt, dass die Fähigkeit von Hunden, menschliche Gesten zu verstehen, genetisch verankert ist.

MEHR ZUM THEMA

LESEN

Brian Hare HUMAN-LIKE SOCIAL SKILLS IN DOGS Trends in Cognitive Sciences, Bd.9/9, 2005

Ádám Miklósi DOG BEHAVIOUR, EVOLUTION, AND COGNITION Oxford University Press 2008, ca. 75 Euro

Elliot Erwitt WUFF Gerstenberg Hildesheim 2007, € 14,90

Stanley Coren DIE INTELLIGENZ DER HUNDE Rowohlt Reinbek 1997, € 8,50

INTERNET

Verband für das deutsche Hundewesen: www.vdh.de

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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