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„WIR WOLLEN ABWÄRME IN STROM UMWANDELN“

Erde|Umwelt Technik|Digitales

„WIR WOLLEN ABWÄRME IN STROM UMWANDELN“
Die CO2-Verringerung im Autoabgas ist noch nicht ausgereizt, wie das Beispiel BMW zeigt. Johannes Liebl – intern Energieminister genannt – erläutert die Strategie des Münchner Konzerns. Johannes Liebl studierte an der TU München Maschinenbau. Der gebürtige Berchtesgadener (Jahrgang 1950) trat nach seinem Abschluss als Diplom-Ingenieur 1979 bei BMW ein und arbeitete in verschiedenen Positionen im Motoren- und Getriebebau. Seit 2003 ist er bei der BMW Group zentral verantwortlich für Energiemanagement, Aerodynamik, Leichtbau, Fahrleistung und CO2. 2007 wurde ihm von der TU Dresden die Ehrendoktorwürde verliehen.

bild der wissenschaft: Warum blocken deutsche Automobilher-

steller bei neuen Umweltstandards zunächst immer? Das war beim

Katalysator so und auch beim Dieselrußfilter. Die EU-Richtlinie, ab 2012 den CO2- Ausstoß im Mittel auf 120 Gramm pro gefahrenem Kilometer zu begrenzen, löste ebenfalls Abwehrreaktionen aus.

LIEBL: Bei der Vermarktung von weniger Verbrauch und Emissionen durch exzellente Technik haben die deutschen Hersteller in der

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Vergangenheit manchmal vielleicht zu zögerlich agiert, trotz überlegener Produktsubstanz. Doch Fakt ist: Wir in Deutschland bringen technologisch reife Produkte auf den Markt. Das war auch beim Dieselrußfilter so. Die ersten Anbieter aus dem Ausland hatten mit der Dauerhaltbarkeit ihrer Filter zu kämpfen.

bdw: Und was ist mit der CO2- Richtlinie der EU-Kommission? Auch hier gab es einen Aufschrei.

LIEBL: BMW hat das Thema CO2 schon immer ernst genommen. Ich habe fast 25 Jahre Motoren und Getriebe entwickelt. Dabei hat der Verbrauch – und damit die CO2-Emission – immer eine Rolle gespielt. Zur echten Herausforderung wurde das Thema CO2 für uns bereits vor zehn Jahren. 1998 brachte unser damaliger Vorstandsvorsitzender Bernd Pischetsrieder als Präsident der europäischen Automobilkonstrukteurs-Vereinigung ACEA eine Selbstverpflichtung auf den Weg, in der die europäischen Automobilhersteller zusicherten, dass ihre Fahrzeuge bis 2008 im Durchschnitt der Neuzulassungen 25 Prozent weniger CO2 ausstoßen als 1995. Uns war rasch klar, dass wir mit den üblichen Maßnahmen die Vorgabe nicht erreichen würden.

bdw: Wie haben Sie reagiert?

LIEBL: Wir erkannten, dass der klassische Weg allein über Motoreneffizienz nicht mehr genügte, um die anspruchsvollen Ziele zu erreichen. Deshalb haben wir das Gesamtfahrzeug für die CO2- Rechnung betrachtet. Dafür wurde 2003 meine jetzige Abteilung geschaffen. Dort sind alle Aktivitäten zur CO2-Reduzierung gebündelt. Um beispielsweise die Fahrwiderstände zu reduzieren, haben wir ein Aerodynamik-Versuchszentrum mit zwei Windkanälen gebaut, das es so auf der ganzen Welt nicht gibt.

bdw: Andere Hersteller simulieren das am Computer …

LIEBL: … na, na. Natürlich arbeiten wir auch mit Computersimula-

tionen. Doch die experimentellen Ergebnisse, die der Windkanal

offenbart, lassen sich durch Simulation bis heute nicht so ergründen, wie wir das brauchen.

bdw: Zum Beispiel?

LIEBL: Allein die Räder in ihren Radhäusern verursachen am Fahrzeug ein Drittel des Luftwiderstands. Bisher gestalteten wir Räder und Radhäuser so, dass die Bremsen maximal mit Luft gekühlt werden. Doch dabei entstehen Wirbel. Sie zu reduzieren, heißt den Luftwiderstand und damit auch die CO2-Emission herabzusetzen. In einem ersten Schritt haben wir dazu die Luftkanäle, die zu den Bremsen führen, mit Klappen versehen. Die sind geschlossen, wenn die Kühlluft nicht gebraucht wird. Sie sind im BMW 5er bereits in Serie. Doch erst, wenn wir die Fahrzeuge in einer gesamten Neukonzeption optimieren, ist das Ziel erreicht: Eine Luftkühlung, die deutlich weniger Widerstand als heute erzeugt – mit möglichst wenig Zu satzkosten. Dieser Ansatz ist einer von vielen, um unsere Philosophie von EfficientDynamics umzusetzen: Wir produzieren Fahrzeuge, die umweltfreundlich sind und gleichzeitig viel Fahrspaß bieten.

bdw: Früher konstruierten Sie Autos im Hinblick auf einen günstigen Spritverbrauch. Heute optimieren Sie unter CO2- Gesichtspunkten. Ist das Jacke wie Hose?

LIEBL: Beide Stellgrößen hängen linear zusammen. Es besteht ein direkter physikalischer Zusammenhang zwischen Verbrauch und CO2-Emission. Wird ein Liter Diesel verbraucht, entstehen etwa 26 Gramm CO2 pro Kilometer, bei Benzin sind es etwa 24 Gramm.

bdw: Wenn man ein Auto nur unter dem Gesichtspunkt Energiesparen konstruieren würde, wie stark ließe sich dann der CO2- Output reduzieren?

LIEBL: Unser Weg sind hoch effiziente Fahrzeuge, die Fahrdynamik und Funktionalitäten zeigen, wie sie sich Kunden von einem BMW versprechen. Der Kraftstoffverbrauch ist dadurch in den letzten 15 Jahren um deutlich über 20 Prozent gesenkt worden.

bdw: Nochmals: Auf wie viel Gramm CO2 können Sie reduzieren?

LIEBL: Der 118d kommt inzwischen auf 119 Gramm CO2, entsprechend 4,5 Liter Diesel. Und da ist langfristig noch Potenzial in Richtung 4 Liter. Das heißt: um die 100 Gramm CO2 pro Kilometer. Eines ist allerdings klar: Dieser nochmals reduzierte Spritverbrauch und die damit verbundene CO2-Minimierung verteuern den Wagen für den Kunden um eine vierstellige Summe.

bdw: Gibt es eine Gesamtstrategie bei der CO2- Minimierung?

LIEBL: Gegenüber Wettbewerbern sehen wir unsere Gesamtstrategie als großen Vorteil. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor war zunächst einmal, dass wir die Physik im Automobil genau verstanden haben. Wir haben beispielsweise systematisch aufgelistet, wie viel und wohin im Auto Energie fließt. Das ist ja weit mehr als gebraucht wird, um von A nach B zu kommen. Lenken und bremsen, heizen und beleuchten, Fenster betätigen – alles benötigt Energie und produziert CO2. Die Frage ist: Kann man diese Bedürfnisse auch anders befriedigen? Konkret: Wenn das Auto Strom braucht, muss dann sofort der Generator anspringen? Oder könnte man den Strom auch anders bereitstellen? Man braucht also ein intelligentes Energiemanagement. Hier kommen bei uns die EfficientDynamics-Technologien ins Spiel. Beim Abbremsen eines Fahrzeugs wird Bewegungsenergie vernichtet. Gelingt es, diese kinetische Energie über den Generator in Strom umzuwandeln, kann dieser wieder genutzt werden.

bdw: Auch BMW setzt jetzt auf Hybridmotoren?

LIEBL: Mit EfficientDynamics tun wir das schon im Serieneinsatz seit letztem Jahr. Wir sprechen aber lieber von ganzheitlichem Energiemanagement, da gehören Hybridfunktionalitäten mit dazu. Das Zurückholen von Verlusten via Hybrid ist zwar wichtig, steht aber erst an vierter Stelle unserer Prioritäten. Uns ist es ganz wichtig,

zunächst die Fahrwiderstände zu reduzieren. An zweiter Stelle

stehen effiziente Energiewandlungen im Verbrennungsmotor, in der Lenkung, in der Klimaanlage. Dann verteilen wir – an dritter Stelle – die erzeugten Energien intelligent und bedarfsorientiert.

bdw: Was hat die Lenkung mit CO2- Emission zu tun?

LIEBL: Viele Fahrzeuge haben eine hydraulische Servolenkung. Für eine einwandfreie Funktion muss das System unter Druck gehalten werden – egal ob man geradeaus fährt oder lenkt. Das heißt: Die Hydraulik verbraucht ständig Energie. Unsere Versuche zeigten: Die benötigte Leistung beträgt zwei bis drei Kilowatt, liegt also höher als bei einer Waschmaschine. Die tatsächlichen Anforderungen ermittelten wir über spezielle Sensoren – mit dem überraschen- den Ergebnis, dass die Servolenkung im üblichen Fahrbetrieb nur 100 bis 500 Watt an Unterstützungsleistung benötigt. So kamen wir auf die elektrische Lenkung, die es bei Premiumfahrzeugen bisher nicht gab. Als wir das bei unseren Lieferanten ansprachen, schauten sie uns zunächst unverständig an. Inzwischen steht aber in unseren Lastenheften, wie viel Energie eine Lenkung verbrauchen darf. Das verlangt meines Wissens kein anderer Autohersteller.

bdw: Haben Sie solche Anforderungen auch bei der Klimaanlage, die bekanntermaßen viel Energie verbraucht und dementsprechend CO2 produziert?

LIEBL: Hier ist die Verbrauchsminderung noch nicht so hoch. Wir arbeiten aber intensiv an weiteren Effizienzsteigerungen. Kurzfristig koppeln wir unsere Klimaanlagen komplett vom System ab, wenn sie ausgeschaltet sind. Das reduziert den Benzinverbrauch um etwa ein Prozent. Doch im Zusammenwirken mit den anderen Maßnahmen kommen wir auf ein attraktives CO2-Paket. Mit diesen EfficientDynamics-Paketen haben wir bereits CO2-Reduzierungen von bis zu 23 Prozent erreicht – und das nicht in einzelnen Sondermodellen, sondern in großer Stückzahl.

bdw: Der renommierte Aachener Motorenentwickler Professor Stefan Pischinger hält viel von einer variablen Verdichtung im Motor und glaubt, dass sich der Benzinverbrauch dadurch um 20 Prozent reduzieren ließe. Ein solcher Motor würde laut Pischinger auch gar nicht viel teurer sein als heutige Antriebe. Wie weit ist BMW beim Motor mit variabler Verdichtung?

LIEBL: Wir sind an dem Thema schon lange dran. Aber für BMW-

Ansprüche ist es noch nicht so reif, dass wir heute über eine Einführung sprechen könnten.

bdw: Ebenfalls 20 Prozent CO2- Einsparpotenzial sieht Pischinger durch Biokraftstoffe. Was halten Sie davon?

LIEBL: Dieses Thema wurde in den vergangenen Monaten zunehmend unglücklich diskutiert. Der eigentlich gute Ansatz vor Jahren war, dass man landwirtschaftliche Brachflächen für Biosprit nutzen wollte. Wären wir dabei geblieben, wäre das auch eine sinnvolle

Ergänzung zu den CO2-Reduzierungstechniken geworden. Abgesehen davon, hätten unsere Motoren kein Problem mit E10, einer zehnprozentigen Beimengung.

bdw: Als Option für die Zukunft gilt das Wasserstoff-Auto. Sie hatten weltweit 100 wasserstoffgetriebene BMW eingesetzt. Gibt es die noch?

LIEBL: Sie sind weiterhin ganz gezielt im Einsatz. Unsere BMW Hydrogen 7 befinden sich weltweit in den Händen von Meinungsbildnern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Wir von BMW glauben, dass eine nachhaltige Mobilität basierend auf regenerativ erzeugtem Wasserstoff die größten Potenziale hat. Unser Ziel ist es, den Verbrennungsmotor langfristig auf Wasserstoff zu optimieren. Konkret arbeiten wir an der Reichweitenerhöhung sowie der Effizienz- und Leistungssteigerung unseres Fahrzeugkonzeptes. Die Brennstoffzelle sehen wir dagegen nicht als Hauptantrieb, sondern vor allem als Stromproduzent für die Elektronik und die Elektromotoren.

bdw: In der Öffentlichkeit ist der Hoffnungsträger Wasserstoff-Auto heute weniger angesehen als noch vor fünf Jahren.

LIEBL: Wir haben bewiesen, dass ein Wasserstoff-Auto serienmäßig herstellbar, sicher und zuverlässig ist. Unsere Fahrzeuge sollen Werbung für Wasserstoff machen und Politiker und die Mineral-

ölindustrie aufrütteln, die Weichen entsprechend zu stellen. Den Weg – es ist ein Marathon und kein Sprint – schaffen wir nicht alleine. Ob der Marathon in 40 oder in 50 Jahren beendet sein wird, ist unwichtig. Wichtig ist, dass wir ihn beginnen.

bdw: Soeben hat BMW eine Offensive zur Abwärmerückgewinnung angekündigt. Das war in Ihrer Branche bisher kein Thema.

LIEBL: Genau deshalb machen wir uns auf diesen Weg. Wir alle wissen zwar, dass lediglich ein Drittel der im Benzin oder im Diesel enthaltenen chemischen Energie in mechanische Energie umgewandelt wird, zwei Drittel aber als Wärmeenergie verloren geht. Doch Letzteres interessierte bisher keinen Automobilbauer, keinen Zulieferer und auch niemanden an den Hochschulen. Dabei kann Abwärme sogar in Strom umgewandelt werden.

bdw: Wie das?

LIEBL: Grundlegende Überlegungen entstammen der Raumfahrt. Um den Jahrzehnte langen Betrieb von Satelliten aufrecht zu erhalten, braucht man intelligente Stromquellen. Eine Möglichkeit ist, die Temperaturdifferenz auszunutzen zwischen dem kalten Weltall und dem Satelliten, in dem zerfallendes Uran für Wärme sorgt. Durch die enorme Temperaturdifferenz kann man über den physikalischen Seebeck-Effekt Strom gewinnen. Wir haben das mit extrem teuren Materialien im Labor untersucht und können mittlerweile ein Fahrzeug vorweisen, das etwa 300 Watt Stromleistung aus der Abgaswärme zurückholt. Ein BMW 530 Diesel braucht heute im Kundenbetrieb im Mittel etwa 700 Watt, um die nötige Elektrizität bereitzustellen – also nur gut das Doppelte dessen, was wir schon jetzt aus der Abgaswärme herausholen. 700 Watt bedeuten rein rechnerisch 0,7 bis 0,9 Liter weniger Dieselverbrauch auf 100 Kilometern. Natürlich ist der neue Weg, Strom über Abwärmerückgewinnung bereitzustellen, noch sehr teuer. Aber wir sind guten Mutes, dass sich daraus in einigen Jahren ein serienreifes Stromaggregat entwickeln lässt und so der CO2-Ausstoß weiter sinkt.

Das Gespräch führte Wolfgang Hess ■

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