Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Trainer unterm Trikot

Allgemein

Trainer unterm Trikot
Ein elektronischer Trainer im Walkman- Format soll Schwimmern die Vorbereitung auf Wettkämpfe erleichtern. Mögliche Einsätze hätte der „DigiCoach“ auch beim Rudern oder Radfahren, in der Bewegungstherapie oder als persönlicher Fitness-Assistent.

Kraftvoll stößt sich Nadine Körper vom Startblock ab, taucht ins Becken ein, gleitet mehrere Meter weit unter der Wasseroberfläche und beginnt dann ihre erste Bahn zu kraulen. Nadine Körper studiert Sportwissenschaften an der Universität Heidelberg. Mehrmals pro Woche trainiert die Torhüterin der Wasserball-Bundesligamannschaft SV Nikar Heidelberg in der Schwimmhalle des Olympiastützpunkts Rhein-Neckar die Schwimmarten Kraul, Delphin und Brust. An diesem Tag verläuft das Training anders als sonst: Die Schwimmerin trägt ein graues Kästchen, das mit einem Gurt am Rücken oberhalb des Steißbeins befestigt ist. Der „DigiCoach“, den Wissenschaftler am European Media Laboratory (EML – ein privates Forschungsinstitut, unterstützt von der gemeinnützigen Klaus Tschira Stiftung) in Heidelberg seit einigen Monaten entwickeln, soll Leistungsschwimmer künftig bei der Wettkampfvorbereitung unterstützen. High-Tech-Sensoren, Mikroelektronik und Telemetrie sollen Schwimmern ein Training mit „Feedback“-Informationen ermöglichen. Die EML-Forscher kooperieren bei der Entwicklung des DigiCoach mit dem Institut für Sport und Sportwissenschaft der Universität Heidelberg unter Prof. Klaus Roth. „Bislang werden zur Diagnostik der Schwimmtechnik meist zwei Videokameras und ein Geschwindigkeitssensor mit einem Zugseil verwendet“, sagt Institutsmitarbeiter Dr. Klaus Reischle. Am Olympiastützpunkt der Schwimmer in der nordbadischen Universitätsstadt prüft ein Diagnose-Team regelmäßig Kraft, Beweglichkeit, Ausdauer und Technik der Juniorenschwimmer des Deutschen Schwimmverbandes. An dem Leistungsdiagnostik-Messplatz hängen die Athleten an einem dünnen Zugseil, das auf einer Trommelwinde aufgewickelt ist. Beim Schwimmen wird diese über das Messseil in Rotation versetzt. Anhand der Drehgeschwindigkeit der Trommel werden Änderungen der Geschwindigkeit des Schwimmers während seiner Bewegungszyklen bestimmt. Der Nachteil dieser Messmethode: Um das Zugseil straff zu halten, muss es stets mit einer Kraft von etwa 10 Newton vorgespannt werden – der angeleinte Schwimmer wird dadurch permanent etwas gebremst. Zudem kann man den Geschwindigkeitsverlauf jeweils nur für eine geschwommene Bahn messen. „Eine genaue Analyse der Abstoßgeschwindigkeit und des Übergangs vom Gleiten zu den Schwimmbewegungen bei der Wende, die innerhalb von wenigen Hundertstelsekunden ablaufen, ist mit dieser Technik nicht möglich“, klagt Reischle. Der digitale Schwimmtrainer soll dies ändern. Vom Beckenrand aus verfolgt Markus Buchner das Schwimmtraining. Der Doktorand am EML hatte vor rund einem Jahr die Idee zur Entwicklung des DigiCoach und hat – gemeinsam mit anderen Forschern der Arbeitsgruppe „Dr. Feelgood“ am EML – im Eigenbau ein erstes Modell des Geräts gefertigt. Noch kann die Auswertung der Daten erst nach dem Schwimmen erfolgen. Bis Ende des Jahres wollen die Wissenschaftler den elektronischen Trainer weiterentwickelt haben: Bereits während der Schwimmer seine Bahnen zieht, sollen die Messdaten per Funk ausgelesen und an einen PC am Beckenrand übertragen werden können. „Dazu werden wir die Bluetooth-Funktechnik einsetzen“, kündigt Buchner an. In einem kommerziellen Produkt, so die Vision, wird schließlich ein Mikrochip die aufgenommenen Daten laufend auswerten und, falls nötig, dem Schwimmer Informationen und Trainingsanweisungen simultan übermitteln – etwa in Form einfacher Symbole auf einem in die Schwimmbrille integrierten Display. An der Größe des DigiCoach müssen die Forscher bis dahin noch feilen. Bislang behindert das Handteller große und einige hundert Gramm schwere Gerät noch beim Schwimmen: An dem Kästchen bilden sich kleine Wirbel, die die Schwimmbewegungen des Athleten stören. „Wenn der Prototyp fertig entwickelt ist, kann ein kommerzielles Unternehmen das Gerät auf einen Chip reduzieren. Dann ließe sich der DigiCoach im Badeanzug integrieren“, verspricht Dr. Steffen Noehte, der Leiter des Projekts am EML. Der DigiCoach besteht aus Sensoren, einem Mikrochip und einer Batterie – alles wasserdicht verpackt in einem Gehäuse aus Plastik. Hoch empfindliche Beschleunigungsmesser, wie sie auch in Airbags stecken, registrieren die Bewegungen in Schwimmrichtung und senkrecht dazu. Daraus lässt sich die Geschwindigkeit präzise ermitteln. Zusätzliche Winkelsensoren messen das Pendeln des Schwimmers um die drei Raumachsen, etwa zwischen zwei aufeinander folgenden Armzügen beim Delphinschwimmen. Der Mikroprozessor liest die Messdaten mehr als 100-mal pro Sekunde aus und überträgt sie an einen PC, an dem sie der Trainer auswerten kann. „Die Integration der Winkelsensoren macht es möglich, alle Bewegungen beim Schwimmen zu erfassen“, sagt Noehte. Dabei kam den Forschern ein Trend in der Automobiltechnik zu Gute: Seit kurzem werden entsprechende Sensoren in einigen Fahrzeugen eingesetzt, um deren seitliche Neigung zu bestimmen. Erst durch die dafür angelaufene Massenfertigung wurden die Sensoren erschwinglich für einen Einsatz im DigiCoach. Erste Vorversuche mit Schwimmerinnen und Schwimmern am Olympiastützpunkt Rhein-Neckar verliefen viel versprechend: „Wir können zum Beispiel anhand der Daten sehr genau den Absprung vom Startblock und die Weite des Sprungs vor dem Eintauchen ins Wasser sehen, die einzelnen Beinschläge und Armzüge erfassen, den Schwimmstil erkennen, den Wendevorgang beobachten und die Bahnzeiten präzise messen“, berichtet Steffen Noehte. Eine detaillierte Auswertung zeigt zudem, inwieweit sich die Schwimmtechnik bei Ermüdung, etwa während des Endspurts, verändert. „Solche Diagnosen können mit dem digitalen Schwimmtrainer erstmals im Training bei Wettkampfsimulationen über die gesamte Wettkampfstrecke gemacht werden“, freut sich der Sportwissenschaftler Klaus Reischle. Der DigiCoach könnte auch bei Sportarten wie Kurzstrecken-, Marathon- oder Skilanglauf eingesetzt werden. „Überall dort, wo leistungsrelevante Beschleunigungen auftreten, wäre ein solcher Sensor von großem Nutzen“, sagt Reischle. Ein wichtiges Einsatzfeld sieht er auch bei der nachoperativen Therapie – zum Beispiel beim Aquajogging. Diese Bewegungstherapie unter Wasser wird immer häufiger zur Rehabilitation eingesetzt, etwa nach einer Knieoperation. „Bisher weiß kein Therapeut, welche Kräfte dabei auf die Beine wirken, die Therapie beruht im Wesentlichen auf Erfahrungswerten“, sagt Reischle. „Wenn man die extern wirkenden Anströmkräfte auf die Beine mit dem DigiCoach präzise messen kann, lassen sich die Patienten weitaus gezielter und individueller therapieren.“ Steffen Noehte denkt noch weiter. Er sieht den DigiCoach als ersten Schritt zu einem weitaus vielseitigeren Gerät: Einem elektronischen Begleiter, der ständig physikalische und physiologische Daten direkt am Körper misst, sammelt und auswertet. „Ein solcher Sensor könnte wie eine Armbanduhr getragen werden, den Träger beim Sport und Fitnesstraining beraten und vor einer zu hohen körperlichen Belastung warnen“, sagt Noehte. Einen passenden Namen für den persönlichen Fitness-Assistenten hat Noehte schon: Dr. Feelgood. In ihm, so die Idee, könnten Beschleunigungsmesser wie beim digitalen Schwimmtrainer Bewegungsmuster aufzeichnen und etwa erkennen, ob der Träger im Schritttempo geht, rennt oder hinkt, ob er sich normal oder gehetzt bewegt. Zusätzlich könnten Fotosensoren registrieren, ob in der Umgebung natürliches Licht, künstliche Beleuchtung oder schummriges Licht vorherrscht. Über eine Verbindung ins Internet ließen sich zusätzliche Informationen aufnehmen, zum Beispiel Wetter- und Biowetterdaten. „Wenn man solche physikalischen Daten mit physiologischen Parametern wie Puls, Blutdruck oder Körpertemperatur kombiniert, wird man Aussagen über den aktuellen körperlichen Zustand und über mögliche Ursachen von Gesundheitsproblemen treffen können“, sagt Noehte. „Erst mit einem ständig getragenen Sensor werden echte Langzeitmessungen möglich.“ Der elektronische Trainer werde im Lauf der Zeit die Leistungskurve des Trägers und dessen individuelle Belastungsgrenzen herausfinden. Er könne daher Risiken rascher und objektiver erkennen als sein Träger – und diesen darauf aufmerksam machen: Zum Beispiel durch die Mahnung, für bessere Beleuchtung zu sorgen, um Kopfschmerzen zu lindern, oder durch die Empfehlung eines auf die persönlichen Anforderungen abgestimmten Sportprogramms für die Urlaubswochen. „ Bei älteren Leuten könnte Dr. Feelgood eine wichtige Schutzfunktion erfüllen“, sagt Noehte. So kommt es oft zu Todesfällen durch Herzversagen, weil manche in reiferen Jahren ihre Leistungsfähigkeit überschätzen und etwa beim Radfahren zu heftig in die Eisen steigen. Eingreifen soll Dr. Feelgood auch, wenn eine ältere oder gehbehinderte Person zu Hause stürzt. „Ein eingebauter Höhenmesser, der die Höhe über dem Boden auf rund zehn Zentimeter genau bestimmen kann, könnte einen Sturz erkennen und im Notfall Alarm schlagen“, sagt Noehte. Wie lange es noch dauern wird, bis ein elektronischer Fitnesstrainer à la Dr. Feelgood die ersten Menschen als Berater durchs Leben begleiten wird, darüber will Noehte nicht spekulieren. Doch er hofft, mit Hilfe von Partnern aus der Industrie in den nächsten Jahren einen Prototypen bauen zu können. Derzeit testen die EML-Wissenschaftler zusammen mit Forschern am Lehrstuhl für Informatik V der Universität Mannheim die Praxistauglichkeit verschiedener Sensoren. Mit Daten von Testpersonen wird ein Simulationsmodell am Rechner gefüttert. An ihm untersuchen die Forscher die Reaktion des menschlichen Körpers auf äußere Einflüsse. Einen ersten Praxistest planen die Wissenschaftler zusammen mit Medizinern des Kardiologischen Zentrums Heidelberg und Mannheim: An Patienten, die sich nach einem starken Herzinfarkt besonders schonen und jede Überanstrengung vermeiden müssen. Dr. Feelgood soll ihnen dabei helfen – und so das Risiko eines weiteren, vielleicht tödlichen Infarkts senken.

Kompakt

Der „DigiCoach“ erfasst die Schwimmtechnik während des Trainings und gibt den Athleten Informationen, wie sie ihren Stil verbessern können. Herzstück des digitalen Trainers sind hoch empfindliche Beschleunigungsmesser und Winkelsensoren. Die Vision der Wissenschaftler: Ein winziger elektronischer Begleiter, der permanent körperliche Belastungen und physiologische Größen misst – und zum Beispiel bei Überanstrengung Warnsignale sendet.

Ralf Butscher

Anzeige
Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

bio|tech|nisch  〈Adj.〉 die Biotechnik betreffend, zu ihr gehörig, auf ihr beruhend

Pro|be|druck  〈m. 1〉 1 〈Buchw.〉 Probeabzug 2 〈Tech.〉 versuchsweise ausgeübter Druck (auf ein Werkstück usw.) … mehr

geo|gra|fisch  〈Adj.〉 zur Geografie gehörend, auf ihr beruhend; oV geographisch; … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige