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Das Haus der Füchse

Allgemein

Das Haus der Füchse
Der älteste Tempel der Welt wird immer größer – und räselhafter

Zur Frühstückspause taucht in Raum D ein Fuchs auf – mit gestreckter Rute und eindrucksvoll gefletschten Zähnen. Es ist der sechste Fuchs der Grabung. Er schmückt als Relief einen Drei-Meter-Steinpfeiler im ältesten Tempel der Welt. Vor 11000 Jahren schufen altsteinzeitliche Jäger und Sammler auf dem Göbekli Tepe – einem Bergkamm in der südöstlichsten Einöde der heutigen Türkei – eine exquisite Kultanlage: Räume von 15 Metern Durchmesser, 25 monolithische Mammut-Pfeiler, feine Terrazzoböden und eine ganze Menagerie an reliefierten und vollplastischen Tierdarstellungen. Solche Kunstfertigkeit wollte die Wissenschaft den „primitiven“ Altsteinzeitlern bislang nicht zugestehen – zumal die Göbekli-Erbauer noch nicht einmal Ton zu Keramik brennen konnten. Die Uralt-Anatolier werden jetzt rehabilitiert, denn die Bauwerke auf dem Berg belegen: Hier wurde nicht mehr allein von der Hand in den Mund gelebt, sondern die Menschen haben Jenseitiges gedacht und in Monumentalarchitektur umgesetzt – mit künstlerischem Anspruch. Das ist nicht die unterste Stufe von Kultur (siehe bild der wissenschaft, 8/2000, „Unsere Kultur stammt aus Anatolien“). Privatdozent Dr. Klaus Schmidt vom Deutschen Archäologischen Institut (DAI) in Berlin gräbt dieses Unikat mit seiner Mannschaft nunmehr in der siebten Kampagne aus und steht noch immer vor demselben – archäologisch interessanten – Dilemma wie zu Beginn: Er kann „seinen“ Tempel mit nichts vergleichen: Großarchitektur und Geist wurden bislang erst den neolithischen Bauern zugesprochen. Die jedoch betreten die Bühne der Menschheitsgeschichte rund 2000 Jahre später. Selbst die sporadischen architektonischen Zeugnisse aus der Altsteinzeit in Südost-Anatolien sind mindestens ein halbes Jahrtausend jünger als der Göbekli Tepe. Und die Pyramiden werden erst in 6000 Jahren gebaut. Schmidt ist allein auf weiter Flur. Nach der Frühstückspause kratzt einer der kurdischen Grabungsarbeiter auf dem tonnenschweren Kalkstein-Monolith neben dem Fuchs-Pfeiler ein weiteres Relief frei: eine Schlange und – noch tiefer – einen Stier. Auf einem dritten Pfeiler in Raum D erscheint im Lauf des Tages ein weiterer Tierkopf. Ein Disput entbrennt: Hase oder Gazelle? Das stumpfe Maul deutet auf einen Mümmelmann, die beiden spitzen Zinken am Kopf sind aber eher Gehörn als Löffel. Der Grabungsleiter entscheidet: „Das ist eine Gazelle.“ Ganz glücklich ist Schmidt darüber nicht, denn „die passt eigentlich nicht in den Kanon“ der bisherigen Menagerie aus Löwe, Stier, Schlangen, Enten und Wildschwein. Aber ein festes Bildprogramm der paläolithischen Künstler haben die Archäologen sich sowieso noch nicht erschließen können. Der Fuchs wird am häufigsten dargestellt, sehr realistisch mit spitzen Zähnen, buschigem Schwanz und ausdrücklich männlichem Genital. Vermutlich spielte er also eine besondere Rolle im rituellen Denken der altsteinzeitlichen Tempelbauer – eine der vielen Interpretationen, die hier in der kargen Welt der anatolischen Berge möglich und nötig sind. Befunde interpretieren ist – neben der pingeligen Handarbeit in den Gruben – die Hauptübung dieser Grabung, denn die Fragen vermehren sich mit jedem neuen Grabungsareal. Warum zum Beispiel wurde Raum B fortwährend verkleinert? Auf einer Seite wurden innen nachträglich sechs Mauern eingezogen, auf der anderen mindestens drei. Der Raum wurde also systematisch verkleinert: kultische Renovierung oder technische Notwendigkeit, weil die Mauern dem Außendruck nicht mehr standhielten? Die Felssteinmauern sind übrigens ziemlich schlampig gearbeitet – oder unbedarft. Man befand sich schließlich in der Frühphase des Bauens, es fehlte wohl noch das Know-how. Andererseits gaben die Altsteinzeitler in der etwas jüngeren Bauphase den Räumen nicht mehr eine runde Form, sondern eine rechtwinklige – den rechten Winkel musste man ja auch erst einmal erfinden. Der paläolithische Star in Raum D ist der Gigant unter den Pfeilern. Er ragt schon jetzt fast drei Meter aus der Erde. Wenn er ganz ausgegraben ist, wird er an die fünf Meter messen. Der nicht im Mauerwerk eingebundene, freistehende Koloss ist mit seinem T-Kopf und seitlich angedeuteten Armen der zweite Pfeiler auf dem Göbekli, der als stilisierter Mensch gestaltet wurde. An der Schmalseite trägt der 50-Tonner zwei schmückende Zeichen, die bislang nirgendwo sonst in der Altsteinzeit auftauchen. Weitere Überraschungen sind fast zwingend, wenn die Grabung weitergeführt wird. Denn die DAI-Crew hat erst einen Bruchteil der Siedlungsfläche freigelegt, und bis auf den Baugrund, den gewachsenen Fels, sind die Archäologen noch nirgends vorgestoßen. Wie viel Geschichte noch in den zwei Metern unter dem Terrazzoboden liegt, bleibt vorerst ein Rätsel. Das größte Mysterium des Heiligtums aber bleibt die Beerdigung der Anlage durch die Erbauer selbst. Nach „vielleicht jahrzehntelanger Nutzung“, so Ausgräber Schmidt, schütteten sie ihren Tempel wieder zu. Diesem Umstand verdankt es die Nachwelt überhaupt, dass sie heute in einen perfekt erhaltenen 11000 Jahre alten Tempel blicken kann. Warum aber die Altsteinzeitler ihre mühevoll errichtete Stätte mit Fuchsrelief, Pfeilern, Mauern und Plastiken behutsam auffüllten – dazu hat auch Schmidt zunächst nur ein Schulterzucken. Dann trägt er ein paar Indizien zusammen: Ein Teil der Mauern, die nachträglich eingezogen wurden, stießen bei manchen Pfeilern so an, dass sie die Tierreliefs „zumauerten“ . Die Tiersymbolik hatte offenbar ausgedient. Die tonnenschweren Monolithe waren kaum im Terrazzoboden fundamentiert, sondern standen allein durch ihr Eigengewicht – gewiss keine Räumlichkeit für Zeremonien mit Menschenmassen. War hier nur eine Elite zugelassen? Die Pfeiler sind allesamt niedriger als die Mauern. Sie dienten also nicht als Träger einer Dachkonstruktion. Die zugeschütteten heiligen Flächen wurden nicht überbaut, wie sonst üblich – sie waren offenbar tabu. Der jüngere Kultraum wurde, seitlich abgegrenzt durch eine dicke Mauer, neben dem alten gebaut. Auch bei der diesjährigen Grabung kamen keine Lebensspuren – Wohnräume, Herdstellen, Werkzeuge – ans Licht. Schmidts (vorläufiges) Resümee: „Dies war ein Ort der Toten. Die Anlage war von Anfang an darauf ausgerichtet, wieder zugeschüttet zu werden.“ Für ihn wurde hier ein komplexer Totenkult zelebriert – in einem heiligen Zentrum für eine ganze Region. Dafür spricht, dass bislang, trotz emsiger Suche durch türkische Archäologen, kein zweiter Platz wie Göbekli Tepe gefunden wurde. Der handwerkliche wie geistige Aufwand für den Göbekli-Tempel setzt dann allerdings eine ausgeprägte Religiosität mit ausgefeilten und tradierten Kultriten voraus und eine bereits sozial klar gegliederte Gesellschaft. „Warum denn nicht?“ kontert Schmidt. Seiner Meinung nach werden die Altsteinzeitler intellektuell immer noch unterschätzt: „Die wurden nicht mehr von der Natur beherrscht. Die reagierten auf die Natur – mit dem Kopf. Der Altsteinzeitler überlegte sehr wohl, wie er sich zu organisieren hatte, um seine Probleme zu meistern. Von der Natur abhängig wurden dann erst wieder die späteren Bauern.“

Michael Zick

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