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Der Kampf ums künstliche Augenlicht

Allgemein

Der Kampf ums künstliche Augenlicht
Jedes Jahr erblinden in Deutschland Tausende von Menschen. Eine künstliche Netzhaut soll vielen von ihnen wieder zu einem begrenzten Sehvermögen verhelfen. Doch der Erfolg lässt noch auf sich warten. Inzwischen streiten die Forscher über die richtige Technik.

Werner Sievert, 62, hatte von einem bewegten Lebensabend geträumt – von Reisen und Besuchen bei seinen Kindern. Doch es kam anders: Retinitis Pigmentosa lautete die Diagnose. Immer mehr schränkte sich sein Gesichtsfeld von außen nach innen ein, bis Sievert vor einem Jahr schließlich völlig erblindete. Er ist nur einer von rund 30000 Menschen, die allein in Deutschland an dieser Krankheit leiden – und für die es bislang keine Hilfe gibt. Wenn die rund 125 Millionen Sehzellen des menschlichen Auges absterben, lässt sich dies durch keine Therapie aufhalten. Seit einigen Jahren entwickeln daher mehrere Forscherteams Sehprothesen, die die Funktion der abgestorbenen Sehzellen ersetzen sollen. Das Bundesforschungsministerium fördert seit 1995 die Erforschung zweier unterschiedlicher Ansätze für eine künstliche Netzhaut (Retina). Beim Erblinden sterben meist nur die Sehzellen ab – die so genannten Zapfen und Stäbchen. Die darunter liegende Schicht mit den Ganglien-Zellen – dem „ Mikrocomputer“ des Auges – bleibt dagegen funktionsfähig. Hier setzen beide Konzepte an: Elektrische Stromimpulse stimulieren jeweils die Ganglien-Zellen. Grundlegend verschieden ist jedoch die Art und Weise, wie das Bild auf der künstlichen Netzhaut erzeugt wird: Beim so genannten epiretinalen Ansatz wird es von einer externen Kamera ins Auge projiziert, beim subretinalen Ansatz entsteht das Bild durch Sensoren, die das ins Auge fallende Licht direkt anregt. Die Sensoren sind auf einem Implantat im Auge angebracht. Ein solches Implantat hat ein Forscherteam um Prof. Eberhart Zrenner von der Universitäts-Augenklinik in Tübingen entwickelt. Es besteht aus einem Chip, der unter die Retina eingesetzt wird. Er ist rund 80 Mikrometer dünn, hat einen Durchmesser von zwei Millimetern und enthält ein Raster von Fotodioden. Diese erzeugen aus Licht elektrischen Strom, der über Elektroden die Ganglien-Zellen zu einer optischen Sinneswahrnehmung reizt. Der Abstand zweier benachbarter Mikro-Fotodioden (MPD) beträgt etwa 70 Mikrometer. Sie liegen damit weit weniger dicht beieinander als die Sinneszellen des Auges, so dass gleichzeitig eine ganze Gruppe von Ganglien-Zellen angeregt wird. Entsprechend gering ist die Auflösung des erzeugten Bildes: Sie beträgt nur etwa einen Sehwinkelgrad – das ist 60-mal gröber als beim gesunden Auge. „ Eine Auflösung von einem fünftel Grad ist allerdings technisch machbar“, betont Zrenner. Das von den Tübinger Forschern entwickelte Implantat ermöglicht ein Gesichtsfeld von 12 Grad – wesentlich weniger als ein gesundes menschliches Auge, das ein Gesichtsfeld von etwa 45 Grad erlaubt. Das bedeutet: Sollte die Technik funktionieren, dürfte die Qualität dessen, was das Gehirn über die künstliche Netzhaut wahrnimmt, recht bescheiden sein. Größere Gesichtsfelder sind nicht möglich, denn sie würden ein größeres Implantat erfordern. Das ließe sich aber nicht unter der Retina anbringen, ohne dass die Gefahr einer Netzhautablösung bestünde. Tierversuche, bei denen Katzen und Schweinen bis zu 28 Monate lang eine künstliche Netzhaut eingesetzt wurde, haben gezeigt, dass die Chips von der salzigen Umgebung im Auge angegriffen werden und korrodieren. Durch Einschweißen der Implantate, zum Beispiel in Polyamid oder Silikon, wollen die Forscher das künftig verhindern. In den USA wird eine ähnliche künstliche Netzhaut, wie sie die Tübinger Forscher verwenden, schon an Menschen getestet. So hat ein Forscherteam um den Augenarzt Dr. Alan Chow, Leiter des Unternehmens Optobionics in Wheaton (Illinois), seit Juni 2000 insgesamt sechs Patienten entsprechende Chips implantiert. Ziel dieser Tests ist es vor allem, die Stabilität der Implantate und deren Verträglichkeit im menschlichen Auge zu untersuchen. Zu neuem Augenlicht können die Implantate den Patienten allerdings nicht verhelfen. „Dazu sind die von den Fotodioden vermittelten Stromimpulse noch zu schwach“ , erklärt Eberhart Zrenner. Gegenwärtig haben die Fotozellen einen Wirkungsgrad von 16 bis 18 Prozent – zu wenig, um die Retina ausreichend zu stimulieren. Die Tübinger Forscher entwickelten deshalb einen zusätzlichen Mikrochip für die Stromversorgung. Dieses Miniatur-Kraftwerk bezieht seine Energie von einer Infrarot-Lichtquelle, die in ein Brillengestell integriert ist. Die Fotodioden des implantierten Chips dienen nur noch als Schalter, um den Strom an die Netzhaut weiterzuleiten. „ Wir sind sicher, dass das Verfahren funktioniert“, meint Zrenner optimistisch. Auf einen Test an Menschen werden die Wissenschaftler in Deutschland wegen des hier zu Lande aufwändigen Genehmigungsverfahrens aber wohl noch zwei bis drei Jahre warten müssen. Prof. Rolf Eckmiller vom Institut für Neuroinformatik in Bonn bezweifelt die Erfolgsaussichten des in Tübingen entwickelten subretinalen Implantats. „Es dockt auf der kranken Seite der Netzhaut an“, kritisiert der Informatiker. Er setzt auf die von ihm und seinen Mitarbeitern entwickelte epiretinale Technik: Dabei ist eine Kamera an einem Brillengestell montiert. Sie erfasst das Bild, das von einem Mikroprozessor verarbeitet und an einen Empfänger im Auge übertragen wird. Der Empfänger leitet die Signale über eine dünne, mit Elektroden versehene Folie an die Nervenzellen der Netzhaut weiter. Unabhängige Experten sehen beide Ansätze für eine künstliche Retina kritisch. So meint Dr. Lutz Hesse von der Augenklinik in Marburg: „Beide Verfahren haben nach wie vor erhebliche technische Probleme. Das subretinale Implantat steht momentan etwas besser da. Der Grund ist, dass den klinischen Partnern des epiretinalen Ansatzes derzeit kein funktionierendes Muster zur Verfügung steht, was sich aber hoffentlich in den nächsten Monaten ändern wird“, sagt Hesse. Auch sein Kollege Prof. Frank Koch von der Universitäts-Augenklinik in Frankfurt am Main ist skeptisch: „Die Erwartungen gegenüber der Entwicklung einer künstlichen Netzhaut waren zu hoch angesetzt. Die Patienten werden damit bestenfalls Umrisse und Hell-Dunkel-Muster erkennen können – und das frühestens in fünf bis zehn Jahren.“ Koch bezweifelt außerdem, dass es mit einem subretinalen Chip überhaupt möglich ist, in der erhofften Weise an die Neuronen des Sehnervensystems anzukoppeln. Die Forschung dazu steckt noch in den Kinderschuhen. Erst vor wenigen Monaten gelang es Prof. Peter Fromherz vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München, einen einfachen Kontakt zwischen Silizium – dem Grundmaterial von Mikrochips – und lebenden Zellen herzustellen. Komplexere Verbindungen von Neuronen und Siliziumchips liegen wohl noch in weiter Ferne.

Sebastian Moser

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