Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Streit um Borna-Viren

Allgemein

Streit um Borna-Viren

Die Nachricht war sensationell: 1985 berichteten deutsche Virologen in der angesehenen Fachzeitschrift Science, dass sie im Blut von depressiven Patienten Hinweise auf das Borna-Virus gefunden hatten. Aktuelle Studien erhärten jetzt die Vermutung, dass das Virus Mitverursacher von schweren Depressionen ist. Und es gibt bereits eine neuartige Therapie, die auf der Borna-Hypothese aufbaut. Aber auch die Gegner der Infektions-Theorie haben gute Argumente. Das Virus wurde nach der sächsischen Stadt Borna benannt, wo es 1891 eine oft tödlich verlaufende Epidemie unter Armeepferden auslöste. Es befällt das Gehirn von Pferden und anderen Nutztieren, die daraufhin einen trübsinnigen Eindruck machen und sich unkoordiniert bewegen. Seit der Veröffentlichung 1985 sind bei etwa einem Dutzend Untersuchungen von psychiatrischen Patienten auffällig oft Antikörper gegen das Borna-Virus gefunden worden: ein Indiz für eine Virus-Infektion. Bei etwa jedem Zehnten der untersuchten psychisch Kranken war dies der Fall. In der allgemeinen Bevölkerung finden sich die Spuren einer Infektion lediglich bei drei Prozent. Im Juni dieses Jahres haben Berliner und Hannoveraner Forscher mit einem sehr empfindlichen Nachweisverfahren sogar bei fast 80 Prozent der Patienten mit schweren Depressionen Hinweise auf das Borna-Virus gefunden. Kritiker wie Klaus Lieb, Oberarzt der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Freiburg, halten jedoch die vorliegenden Daten zur Infektionsrate für sehr fragwürdig. Die Ergebnisse seien von Labor zu Labor sehr unterschiedlich, auch wenn dieselben Blutproben analysiert wurden. Stutzig macht die Skeptiker auch, dass sich die menschlichen Antikörper anscheinend viel schwächer an Virus-Proteine binden als diejenigen aus infizierten Tieren. Denn: An den gleichen Erreger sollten sich beide Antikörperarten ähnlich stark binden. Außerdem gebe es Hinweise darauf, dass positive Befunde durch Kontaminationen mit Laborstämmen zu Stande gekommen sind. Für Klaus Lieb steht die Virus-Hypothese daher auf wackligen Füßen. „Es kann genauso gut sein, dass die gefundenen Antikörper nur zufällig mit Virus-Proteinen reagieren. Möglicherweise sind sie gegen ein ganz anderes Protein gerichtet, das im Verlauf von psychischen Krankheiten gebildet wird.“ Auch für Detlef Dietrich, Oberarzt an der Medizinischen Hochschule in Hannover, steht der endgültige Beweis für die Borna-Hypothese noch aus. Aber er hält die Indizien trotzdem für so überzeugend, dass seine Abteilung mit einem völlig neuartigen Therapiekonzept arbeitet. Mehrere depressive Patienten werden hier erfolgreich mit dem seit Jahrzehnten bekannten Anti-Virus-Mittel Amantadin behandelt. Bei denjenigen, die positiv auf das relativ kostengünstige Medikament reagieren – das waren in einer Studie an 25 Patienten immerhin fast 70 Prozent –, zeigt sich gleichzeitig ein Rückgang an Borna-Antikörpern im Blut. Doch Skeptiker geben zu bedenken, dass Amantadin auch Neurotransmitter beeinflusst. Über diese Botenstoffe im Gehirn könnte es also auch direkt die Stimmung der Patienten verbessern. In einem Punkt sind sich Kritiker und Befürworter immerhin einig: Viren alleine reichen nicht aus, um eine psychische Krankheit auszulösen. INTERNET Forschungsgeschichte zu Borna-Viren und Depressionen: www.discover.com/archive Allgemeine Informationen zu psychischen Störungen: www.psychiatrie.de Lesen Manfred Wolfersdorf DEPRESSIONEN ERKENNEN, VERSTEHEN, BEHANDELN Psychiatrie-Verlag, Bonn 2001 € 12,68

Kontakt Klaus Lieb Universitätsklinikum Freiburg Psychiatrie/ Psychotherapie Hermann-Herder-Straße 11 79104 Freiburg

Detlef Dietrich Medizinische Hochschule Hannover Psychiatrische Poliklinik I Carl-Neuberg-Straße 1 30625 Hannover

Ulrich Fricke

Anzeige
Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Fest|plat|ten|spei|cher  〈m. 3; IT〉 = Festplatte

an|eu|plo|id  auch:  an|eup|lo|id  〈Adj.; Biol.〉 eine ungleiche Anzahl der Chromosomen od. ein nicht ganzzahliges Vielfaches davon aufweisend; … mehr

fun|ken|sprü|hend  auch:  Fun|ken sprü|hend  〈Adj.〉 Funken erzeugend, von sich gebend … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige