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Zerbrechliche Kometen

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Zerbrechliche Kometen

Schweifsterne sind recht fragile Mitglieder der Sonnenfamilie. Das wurde im Sommer 1994 klar, als rund zwei Dutzend Trümmer des berühmten Kometen Shoemaker-Levy 9 in einem spektakulären Showdown auf Jupiter herabstürzten. Zwei Jahre zuvor war dieser Komet dem Riesenplaneten offenbar zu nahe gekommen und von dessen Gezeitenkräften zerrissen worden. Kometen, die vom Lincoln Near Earth Asteroid Research Project (LINEAR) aufgespürt werden, scheinen sogar besonders zerbrechlich zu sein: Im vergangenen Jahr zerbröselte das Objekt C/1999 S4 (LINEAR) vor den Augen der Wissenschaftler und Amateurastronomen kurz vor seinem „großen Auftritt“ und verpasste damit die Chance, der vorerst hellste Schweifstern nach dem großartigen Osterkometen Hale-Bopp im Frühjahr 1997 zu werden. Und im Frühjahr dieses Jahres verbesserte Komet C/2001 A2 (LINEAR) seine zunächst als eher bescheiden prognostizierten Sichtbarkeitsbedingungen stark: Statt – wie ursprünglich geschätzt – zur zehnten Größenklasse zu gehören und deshalb nur für mittlere Amateurteleskope sichtbar zu sein, erreichte C/2001 A2 (LINEAR) Mitte Juni die dritte Größenklasse und war daher selbst mit bloßem Auge gut zu erkennen. Leider stand der Komet zu jener Zeit so weit südlich, dass die meisten Beobachter auf der Nordhalbkugel der Erde leer ausgingen. Ein paar Größenklassen mehr, und er wäre sogar am Taghimmel sichtbar gewesen – allerdings nur für ein paar Minuten während der totalen Sonnenfinsternis vom 21. Juni. Dabei war C/2001 A2 bei seiner Entdeckung am 3. Januar 2001 zunächst als planetoidenähnlich eingestuft worden – angesichts des automatischen Suchprojekts LINEAR nicht weiter verwunderlich, da es zum Aufspüren von Kleinplaneten eingerichtet wurde. In jeder klaren Nacht – und davon gibt es in New Mexico viele – durchforsten unweit von Socorro zwei Spezialkameras von einem Meter Öffnung den Himmel nach sich bewegenden Objekten. Die angeschlossenen Detektoren – riesige CCD-Chips mit rund 5 Millionen Pixeln – senden ihre Daten in Echtzeit an Hochleistungs-rechner, die aus dem Vergleich dreier Aufnahmen desselben Areals pro Nacht „wandernde Sternpunkte“ herausfiltern. Die Daten werden dann zur Planetoiden-Zentrale nach Cambridge, Massachusetts, übermittelt und von dort für Kontrollbeobachtungen an ausgewählte Sternwarten weitergegeben. Erst bei diesem „ Sicherheits-Check“ fiel die kometentypische Koma von C/2001 A2 auf – ein hauchzarter Nebelschleier, der die wahre Natur des Objektes enthüllte. So wurde es bei der offiziellen Bekanntgabe der Entdeckung am 16. Januar 2001 bereits als Komet bezeichnet. Damals war es nach einer vorläufigen Bahnbestimmung noch etwa 340 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt.

Um den 25. Mai sollte der Komet seinen sonnennächsten Bahnpunkt in rund 117 Millionen Kilometer Abstand durchlaufen. Und für Ende Juni war die größte Annäherung an die Erde prognostiziert, in etwa 37 Millionen Kilometer Distanz. Doch selbst für diesen Zeitpunkt rechnete man allenfalls mit einem unscharf erscheinenden Nebelfleck, der nur mit einem lichtstarken Feldstecher zu sehen gewesen wäre. Aber dann nahm die Helligkeit von C/2001 A2 Ende März sprunghaft um rund fünf Größenklassen zu, und in den Wochen danach wurde das Objekt selbst für Beobachter mit bloßem Auge sichtbar. Als Astronomen vom Lunar and Planetary Laboratory in Tucson, Arizona, Ende April C/2001 A2 beobachteten, fanden sie zwei eng benachbarte Lichtpunkte: Offenbar war der Komet auseinander gebrochen und hatte dabei so viel frisches Eis freigelegt, dass seine Gasproduktion – und damit die Helligkeit – um den Faktor 100 zunahm. Zwei Wochen später sahen Astronomen von der Europäischen Südsternwarte mit einem der 8-Meter-Spiegel des Very Large Telescope sogar drei Kernfragmente, die sich voneinander bereits auf etwa 7000 beziehungsweise 500 Kilometer entfernt hatten. Die inzwischen korrigierten Bahndaten zeigen, dass der Komet sich aus einer Distanz von mehr als 450 Milliarden Kilometern oder rund 3000 Astronomischen Einheiten der Sonne genähert hat und möglicherweise zum ersten Mal überhaupt bei uns vorbeikam. Das beim Auseinanderbrechen freigelegte Eis, das wenig später sublimierte und die Helligkeit des Kometen ansteigen ließ, dürfte weitgehend unverfälschte Materie aus der Frühzeit des Sonnensystems enthalten haben. Dies gilt noch mehr für seinen „ Namensvetter“, der sich im Sommer 2000 vor den Augen der Astronomen fast über Nacht in Wohlgefallen auflöste: C/1999 S4 (LINEAR). Er war vor rund acht Millionen Jahren aus der Oortschen Wolke aufgebrochen, um dann irgendwo zwischen Erd- und Venusbahn in der Sonnenglut dahinzuschmelzen oder sogar – eine ebenfalls diskutierte Möglichkeit – mit einem kleineren Asteroiden zusammenzustoßen und dabei auseinander zu brechen. In diesem Fall wäre die Natur den Plänen der NASA zuvorgekommen. Sie will am 4. Juli 2005 eine etwa 350 Kilogramm schwere Einschlags-Messsonde mit dem Kometen Tempel 1 kollidieren lassen. Dabei soll ein rund 20 Meter tiefer Krater von der Größe eines Fußballfeldes gerissen und frisches Eis unter der Oberfläche freigesetzt werden. Die Muttersonde Deep Impact soll dann die Zusammensetzung des Eises analysieren. Bis dahin müssen sich die Astronomen mit den Daten zufrieden geben, die sie während des Zerfalls von C/1999 S4 (LINEAR) sammeln konnten. So verfolgte die Sonnensonde SOHO mit ihrer Lyman-alpha-All-Sky-Kamera die Wasserstoff-Koma des Kometen von Ende Mai bis zu seiner völligen Auflösung Mitte August 2000. Während dieser Zeit sublimierten insgesamt etwa drei Millionen Tonnen Wasser – die letzten zehn Prozent nach dem endgültigen Zerbrechen zwischen dem 18. und 23. Juli. Unter den radioastronomisch registrierten Molekülen waren Blausäure (HCN), Formaldehyd (H2CO), Schwefelwasserstoff (H2S) und Kohlenmonosulfid (CS) in üblichen Mengen relativ zum freigesetzten Wasser. Methylalkohol (CH3OH) und Kohlenmonoxid (CO) wurden dagegen in deutlich geringerer Konzentration beobachtet, was vor allem Kohlenmonoxid als „Sprengstoff“ ausschließt. Vor dem Auseinanderbrechen wurde der Durchmesser des Kometenkerns auf etwa einen Kilometer geschätzt – das entspricht einer Gesamtmasse von etwa 300 Millionen Tonnen. Dagegen brachten es die 16 größeren Trümmer von bis zu 100 Meter Durchmesser lediglich auf ein bis zwei Prozent dieser Masse. Der Staubschweif, der im Wesentlichen beim letzten Auseinanderbrechen um den 22. Juli entstand, dürfte weitere 400000 Tonnen Materie davongetragen haben – ähnlich viel wie anschließend noch einmal an Wasser freigesetzt wurde. Mit anderen Worten: Der größte Teil des Kometen muss regelrecht zerbröselt sein. Sein Eisanteil war wohl ziemlich gering. Das deutet darauf hin, dass sich C/1999 S4 (LINEAR) ursprünglich zwischen der Jupiter- und Saturnbahn gebildet hat – anders als die meis-ten Kometen aus der Oortschen Wolke, die aus dem Bereich zwischen der Uranus- und Neptunbahn stammen. Jedenfalls ist das vergleichsweise häufige Auseinanderbrechen von Kometenkernen ein weiteres Argument dafür, dass Kometen nicht einfach kompakte schmutzige Schneebälle sind, wie ein populäres Modell annimmt, sondern aus kleineren „ Schneebällen“ zusammengesetzt sind.

Hermann-Michael Hahn

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