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Was Kristalle erzählen

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Was Kristalle erzählen
Wer wissen will, wie ein Protein funktioniert, muss seine Struktur kennen – ein schwieriges Unterfangen.

Die Genom-Forscher haben es vorgemacht: Mit Hilfe von Robotern und Computern konnten sie das menschliche Genom in wenigen Jahren sequenzieren. Das wollen ihnen die Proteom-Forscher nun bei der Aufklärung der Eiweißstrukturen nachmachen. „Die Voraussetzungen sind geschaffen, um die Strukturbiologie jetzt zu industrialisieren, ähnlich wie Henry Ford die Autoindustrie revolutionierte”, schrieben Wissenschaftler vom Joint Center for Structural Genomics in La Jolla (USA). Mit Automatisierung, Miniaturisierung und Parallelisierung will man die Experimente beschleunigen und billiger machen, 10000 neue Strukturen in den nächsten zehn Jahren aufklären und die bislang immensen Kosten für eine einzelne Analyse von derzeit 50000 bis 200000 Dollar auf 20000 Dollar senken – das ist das ehrgeizige Ziel von sieben großen US-Labors, die als Protein Structure Initiative Hand in Hand arbeiten.

Max-Planck-Forscher Prof. Robert Huber dämpft diesen überschäumenden Optimismus: „Die Strukturanalyse kann man nicht wie die Genomsequenzierung automatisieren. DNA-Moleküle sind relativ stabil und in jedem Organismus gleich aufgebaut – man kann also jedes DNA-Molekül mit der gleichen Methode analysieren. Damit verglichen sind Proteine absolute Exzentriker: Keines gleicht dem anderen, und sie sind sehr sensibel.” Diesen Problemen wollen die Forscher durch Masse beikommen: Bis zu 100000 Kristallisationsversuche mit unterschiedlichen Bedingungen könne man täglich machen, argumentieren die Automatisierungsfans. Doch bislang gibt es nur mäßige Erfolge. Im ersten Statusbericht des Joint Center for Structural Genomics vom September 2002 heißt es: Dreiviertel der Proteine des ausgewählten Bakteriums Thermotoga maritima lassen sich nicht kristallisieren.

Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist die Kern-Magnetresonanz-Methode (NMR), für die Prof. Kurt Wüthrich von der ETH Zürich jetzt den Nobelpreis erhielt. Mit ihr misst man, wie die Atomkerne eines Proteins sich unter elektromagnetischer Strahlung verändern. Am einfachsten lassen sich Wasserstoff-Atome messen. Da jedes Protein aber hunderte, oft sogar tausende Wasserstoff-Atome enthält, liegt die Schwierigkeit der Methode darin, die Signale den einzelnen Atomen zuzuordnen. Ist dies gelungen, lässt sich die Struktur des Proteins berechnen.

„Leider ist aber auch die NMR kein Allheilmittel”, sagt Hubers Kollege Prof. Wolfgang Baumeister. „Zwar bleibt einem die lästige Kristallisation erspart, denn man kann die Proteine in einer Lösung, also unter fast natürlichen Bedingungen, beobachten. Doch die Methode eignet sich meist nur für kleine Proteine.”

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Da die Experimente so schwierig sind, suchen einige Wissenschaftler nach mathematischen Methoden. Sie wollen aus den Gen-Sequenzen, die beim Genom-Projekt in großen Mengen produziert wurden, vorhersagen, wie sich das lange Kettenmolekül zu einem Protein-knäuel falten wird. Von wenigen Ausnahmen abgesehen bestimmt die Sequenz eines Gens die Struktur des Proteins und damit dessen Funktion. Eine Kette aus Eiweiß-Bausteinen faltet sich so im Raum, dass sie möglichst stabil ist. Prinzipiell könnte man am Computer also die Faltung von Proteinen simulieren und dann im Experiment überprüfen, ob die Vorhersagen richtig sind. Derartige Untersuchungen laufen, doch von Vorhersagen ist man noch weit entfernt. Was fehlt, ist nicht nur die richtige Rechenmethode, sondern vor allem die Hardware.

Die nötigen ultraschnellen Rechner gibt es bislang nicht. IBM arbeitet zurzeit an Blue Gene, einem Computer, der 1000000000000000 so genannte Fließkomma-Operationen pro Sekunde schaffen soll. Derweil behelfen sich Wissenschaftler der Stanford University auf unkonventionelle Weise mit ihrem Projekt „ folding@home”. Sie bitten PC-Besitzer, dass sie Protein-Strukturen auf deren privaten oder Firmen-Computern berechnen dürfen, wenn diese gerade nicht benutzt werden. Im Oktober 2002 verkündeten sie ihren ersten großen Erfolg: Mit der Hilfe von 200000 Freiwilligen hatten sie die Struktur eines kleinen Eiweißes aufgeklärt, das im Verdacht steht, an der Entstehung von Alzheimer beteiligt zu sein.

Thomas Willke

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