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Im Kopf spukt Micky Maus

Allgemein

Im Kopf spukt Micky Maus
Unsere Vorstellung von der Welt wird vielfach von einer sehr naiven Physik bestimmt.

In Entenhausen jagt eine Kanonenkugel exakt waagerecht aus dem Rohr und plumpst irgendwann aus Erschöpfung jäh zu Boden. Solche naiven und schrägen Vorstellungen über physikalische Vorgänge finden sich nicht nur in Comic-Heftchen und Karikaturen. Auch bei manchem Erwachsenen flutscht das im Kreis geschleuderte Geschoss des Hammerwerfers in einer kurvenförmigen Bahn aus dessen Hand.

Psychologische Studien der letzten Jahre haben gezeigt, dass derlei Comic-Physik in den Köpfen überraschend vieler Jugendlicher und Erwachsener herumspukt. Kinder sollten zum Beispiel die Flugbahn eines Balls vorhersagen, der aus einer spiralförmig gewundenen Röhre geschossen kam. Viele glaubten, dass das Projektil die Spiralbahn beibehält.

Der Fehler mag schnell entlarvt sein, aber selbst Erwachsene stolpern bei der Frage, was mit einem Stein passiert, den man im Gehen fallen lässt. Ein großer Teil der Befragten ließ den Stein exakt unter dem Punkt landen, an dem man ihn losgelassen hatte. Etliche waren sogar überzeugt, er werde rückwärts weggleiten und hinter seinem Ausgangspunkt aufschlagen. Physikalisch korrekt schwingt der fallende Stein mit der Person vorwärts und fällt ein Stück vor dem Ausgangspunkt zu Boden.

Bisher glaubten die Forscher, dass sich solche Fehleinschätzungen auf physikalische Prozesse beschränken. Nun hat eine Serie von Experimenten ergeben, dass groteske Denkfehler auch über die Funktionsweise der fünf Sinne herrschen. Schon der Entwicklungspsychologe Jean Piaget hatte 1929 in einer vergessenen Arbeit notiert, dass in den Köpfen der Kinder eine Karikatur des Sehens herumschwirrt: Die Blicke des Menschen als „ Strahlen”, die aus dem Auge treten und von den Dingen abprallen.

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Der Psychologieprofessor Gerald A. Winer von der Ohio State University ging diesem Trugschluss experimentell nach. Den Teilnehmern, Kindern und Erwachsenen, wurde auf einem Monitor oder auf Papier die schematische Darstellung des Sehvorgangs präsentiert. Es führten Strahlen vom Objekt zum Auge, vom Auge zum Objekt, oder sie wechselten sich in beide Richtungen ab. Manchmal mussten die Probanden die Wahrnehmungsabfolge selbst einzeichnen oder sprachlich darstellen.

Zur Überraschung des Psychologen hingen nicht nur die meisten Kinder der „Strahlentheorie” an. Auch bis zu 67 Prozent der Erwachsenen waren überzeugt, dass beim Sehen Strahlen aus den Augen treten. Die Zahl der Strahlentheoretiker schnellte gar auf 86 Prozent empor, wenn die Probanden ihre Vorstellung selbst zeichnen mussten. Die Test-Teilnehmer hielten den imaginären Scheinwerfereffekt auch keineswegs für nebensächlich: Sie bestanden darauf, dass der Mensch nichts sieht, wenn man die Abstrahlung blockiert. Selbst Psychologiestudenten, die Vorlesungen in Wahrnehmungsphysiologie absolviert hatten, hingen der Strahlentheorie an. Damit sind sie nach über 2000 Jahren naturwissenschaftlicher Forschung nicht weiter als Plato, laut dem beim Sehen eine „feurige Substanz” das Auge verlässt.

Nachfolgestudien Winers deuten daraufhin, dass viele Menschen auch bei der Arbeit anderer Sinne – etwa des Geruchssinns – von einem Strahleneffekt ausgehen. Einen möglichen Grund für derlei Verirrungen sieht der Psychologe in der aktiven Natur unserer Sensorik: Die Sinne nehmen die Reize nicht passiv entgegen. Wir wenden uns aktiv den Dingen zu – als ob wir sie mit „Strahlen” abtasten würden.

Rolf Degen

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