In den Vereinigten Staaten wurde Krebs bis Mitte der achtziger Jahre wesentlich aggressiver bekämpft als in Europa. Dann mußten die Experten auch dort eingestehen, daß die Qualität des verbleibenden Lebens wichtiger sein kann als dessen Verlängerung um jeden Preis.
Entsprechend wächst das Interesse an alternativen Behandlungsmethoden, die in Deutschlland schon lange „mit großer ethischer Verantwortung eingesetzt werden“, wie der Sozialwissenschaftler Michael Lerner in seinem Buch betont. Lerner leitet „Commonweal“, ein von ihm gegründetes Institut für Gesundheits- und Umweltfragen im kalifornischen Bolinas, das unter anderem Krebspatienten unterstützt, sich „heil“ zu fühlen – unabhängig davon, ob sie im medizinischen Sinne zu kurieren sind.
Lerners Buch erschien 1994 in englischer Sprache im Verlag des renommierten Massachusetts Institute of Technology. Wie die Herausgeber der deutschen Ausgabe – zwei Immunologen der Universität Witten/Herdecke – in ihren Anmerkungen betonen: Mit Ausnahme seltener Krebskrankheiten des Kindesalters ist hinsichtlich der Sterblichkeit seither kein Fortschritt zu verzeichnen. Zu den alternativen Krebstherapien betont Lerner einleitend, daß er in seiner mehr als zehnjährigen Tätigkeit „bei den ergänzenden Krebstherapien auf keine zuverlässig dokumentierten Heilerfolge gestoßen“ sei. Dennoch scheine es ihm vernünftig, sie in dem Maße zu empfehlen, wie es jemand für sich als bedeutsam empfinde. Denn: „Falsche Hoffnungen gibt es nicht.“
Ohne die Gefahr eines irrationalen Mißbrauchs zu leugnen, sieht Lerner in Spiritualität eine zu Unrecht belächelte Chance. Dabei zitiert er einen Doppelblindversuch, der die Wirksamkeit von Gebeten für Schwerkranke statistisch nachwies. Freilich fehlt hier eine naturwissenschaftliche, einleuchtende Erklärung.
Kenntnisreich und detailliert schildert Lerner die psychologischen Therapieansätze mit ihrem Einfluß auf das Nerven-, Hormon- und Immunsystem. Die ersten Belege, daß damit auch das Leben von Krebspatienten verlängert werden kann, grenzt er von missionarischen Heilsversprechungen ab.
Ähnlich differenziert geht er auf den Zusammenhang von Ernährung und Krebs ein, diskutiert den Stellenwert von körperlicher Aktivität und traditioneller chinesischer Medizin, porträtiert unkonventionelle Krebstherapeuten – und begleitet den Leser wie ein gut unterrichteter Freund bei der Auseinandersetzung mit dem Tod.
Michael Lerner WEGE ZUR HEILUNG Das Buch der Krebstherapien aus Schul- und Alternativmedizin Piper Verlag München 1998 704 S., DM 78,-
Jürgen-Peter Stoessel