Nachdem Gott die Grundbausteine der Materie erschaffen hatte, machte er sich daran, aus den Kernteilchen – den Protonen und Neutronen – die Atomkerne der chemischen Elemente zu formen. Am ersten Tag nahm er ein Proton und sprach: „Das ist der Kern eines Wasserstoff-Atoms.” Am zweiten Tag nahm er ein Proton und ein Neutron und machte daraus den Kern des schweren Wasserstoffs 2H. Am dritten Tag nahm er zwei Protonen und versuchte daraus einen Helium-Kern zu formen. Es gelang ihm nicht. Am vierten Tag fügte Gott noch ein Neutron zu den zwei Protonen hinzu und schuf den Helium-Kern 3He. Am fünften Tag nahm er zwei Protonen und zwei Neutronen und formte daraus den Helium-Kern 4He. Und Gott sah, dass dieser Helium-Kern viel stabiler war als der, den er am Tag zuvor geschaffen hatte. Am sechsten Tag versuchte Gott aus drei Protonen und vier Neutronen einen Lithium-Kern zu formen. Es gelang ihm nur mit großer Mühe. Deshalb schuf er zunächst die Sterne, bevor er mit der Bildung von mehr als 6000 weiteren Atomkernen begann …
Die Schöpfungsgeschichte der Atomkerne steht freilich nicht in der Bibel. Naturwissenschaftliche Methoden haben den Forschern immerhin dazu verholfen, von den mehr als 6000 theoretisch vorhergesagten Kernen, den „Nukliden”, etwa 3200 zu entdecken oder für Sekundenbruchteile in Teilchenbeschleunigern zu erzeugen. Alle bekannten Nuklide tragen Kernphysiker in eine „ Nuklidkarte” ein – quasi ein Spielbrett der Materie (siehe Kasten auf S. 48, „Die Bausteine der Materie”). Um die Herkunft der Nuklide zu erforschen, arbeiten Kern- und Astrophysiker Hand in Hand. Während Kernphysiker in mühevoller Detailarbeit die weißen Flecken in der Nuklidkarte mit Informationen füllen, benutzen Astrophysiker diese Informationen, um mit Spektralmessungen und Computersimulationen herauszufinden, wo, wann und unter welchen Bedingungen die verschiedenen Nuklide im Universum entstanden sind.
STERNKERNE ALS ELEMENTFABRIKEN
An der Front zwischen diesen beiden Disziplinen arbeitet Shinya Wanajo von der Universität Tokio mit seinen Kollegen. „ Etwa die Hälfte der Elemente, die schwerer als Eisen sind, werden durch den sogenannten schnellen Neutroneneinfang oder r-Prozess erzeugt”, erläutert Wanajo. „r” steht dabei für „rapid”, schnell. „Wo in unserem Universum dieser r-Prozess stattfindet, war lange ein Rätsel. Theoretische Ergebnisse und astronomische Beobachtungen deuten darauf hin, dass er mit dem Kollaps des Eisen-Kerns während der Explosion eines massereichen Sterns zusammenhängt.” Wanajo erklärt: „Wir haben ein Computermodell entwickelt, das den Ablauf des r-Prozesses in der von einer solchen Supernova ausgeworfenen Materie nachvollzieht.” In Wanajos Computerprogramm steckt das geballte theoretische und experimentelle Wissen der Kernphysiker über 6300 Nuklide und die Kernreaktionen, über die sie sich ineinander umwandeln. Anschaulich stellt man sich Wanajos Programm am besten als eine Abfolge von Zügen auf einem Brettspiel vor: Das Brett ist hier die Nuklidkarte. Jedem Feld ist ein Atomkern mit einer bestimmten Zahl von Neutronen und Protonen zugeordnet. Fügt man einem Kern ein Neutron hinzu, dann macht der Kern einen Schritt nach rechts, fügt man ein Proton hinzu, dann rückt er ein Feld nach oben.
Zur Einordnung aller derzeit bekannten Atomkerne benötigt man ein 178 mal 119 Felder großes Spielbrett. Die 119 vertikalen Felder ergeben sich aus den 118 derzeit bekannten chemischen Elementen, deren Protonenanzahl zwischen 1 und 118 variiert, plus einem Extrafeld für das Neutron, das streng genommen kein Atomkern ist. Der bislang experimentell nachgewiesene neutronenreichste Atomkern gehört zum noch namenlosen chemischen Element mit der Ordnungszahl 116 (mit 116 Protonen) und besitzt 177 Neutronen. Man braucht horizontal aber ein Feld mehr, um auch den Wasserstoff-Kern 1H eintragen zu können, der kein Neutron enthält. Die meisten der insgesamt 21 182 Felder (178 mal 119) sind nicht besetzt, weil die kernphysikalischen Gesetze weder einen zu großen Protonenüberschuss noch einen zu großen Neutronenüberschuss zulassen. Die Folge ist, dass Protonen und Neutronen in einem Atomkern ein relativ ausgeglichenes Verhältnis anstreben. Auf der Nuklidkarte siedeln sich die Kerne daher ungefähr entlang einer Diagonalen an. Sie neigt sich bei den höheren Elementen leicht nach unten, in Richtung zum Neutronenüberschuss. Der Grund ist die positive elektrische Ladung der Protonen. Ihre abstoßende Kraft begrenzt bei feststehender Neutronenzahl die maximal mögliche Protonenzahl. Während einer Supernova-Explosion werden schrittweise höhere Atomkerne aus niedrigeren erzeugt. Die Kerne „wandern” also entlang der besetzbaren Felder die Nuklidkarte hinauf. Auf welchen Wegen genau, versucht Wanajo in seinem Computermodell zu simulieren.
Doch der Teufel steckt im Detail. Denn die Nuklidsynthese, also die Erzeugung neuer Atomkerne, funktioniert keinesfalls nach dem einfachen Baukastenprinzip: Man füge einem Atomkern eine bestimmte Zahl von Protonen und Neutronen hinzu – und fertig ist der neue Kern. Vielmehr ist auf der Nuklidkarte eine bestimmte Abfolge von Spielzügen nötig, um ein bestimmtes Feld zu erreichen.
Einen Einblick in die Regeln, die bei diesen Spielzügen zu beachten sind, gibt Johannes Geiss vom Internationalen Institut für Weltraumwissenschaften in Bern: „Die Quantentheorie beschreibt, wie sich Protonen und Neutronen in den Kernen in Schalen anordnen. Sowohl in der ersten Protonenschale als auch in der ersten Neutronenschale gibt es je zwei Plätze. Im Helium-Kern 4He sind diese beiden Schalen gerade aufgefüllt – deshalb ist er besonders stabil. Fügt man aber ein weiteres Neutron oder Proton hinzu, so erhält man einen äußerst instabilen Kern, der innerhalb einer Trilliardstel Sekunde zerfällt.” Die beiden an den 4He-Kern angrenzenden Felder mit fünf Kernteilchen sind also eine Art Tretminen, die den weiteren Weg zu höheren Atomkernen verhindern. Denn der Fall, dass kurz nach dem Urknall ein 4He-Kern innerhalb von einer Trilliardstel Sekunde gleichzeitig von einem Proton und einem Neutron getroffen wurde, war so unwahrscheinlich, dass dieser Prozess sicher nur unwesentlich zur Bildung des stabilen Lithium-Kerns 6Li beigetragen hat. Es gibt jedoch Spielzüge, die die Tretminen ganz vermeiden und etwas wahrscheinlicher sind, zum Beispiel das Zusammentreffen eines 4He-Kerns mit einem 3He- oder einem 3H-Kern. Dabei entsteht der ebenfalls stabile Lithium-Kern 7Li.
Doch gleich dahinter lauert die nächste Tretmine, die die Herstellung höherer Nuklide kurz nach dem Urknall nahezu unmöglich machte. „Das instabile 8Be zerfällt in weniger als einer Billiardstel Sekunde in zwei 4He-Kerne”, erklärt Geiss. „ Der Sprung zu höheren Kernen wird hauptsächlich durch das nahezu gleichzeitige Zusammentreffen dreier 4He-Kerne erreicht. Gemeinsam bilden sie den Kohlenstoff-Kern 12C. Dieser Vorgang erfordert eine hohe Helium-Dichte, wie es sie nur im Innern von stabilen Sternen gibt, die im Zentrum ihren Wasserstoff in Helium umgewandelt haben.” Um noch schwerere Kerne zu erzeugen, genügen dann wieder die Kollisionen von zwei Kernen. Massereiche Sterne durchlaufen mehrere Fusionsstufen, bei denen Elemente bis zum Eisen durch ähnliche Kernverschmelzungen erzeugt werden.
Computerspiel der Schöpfung
Wanajos Computerprogramm kommt ins Spiel, wenn ein Stern, der alle Fusionsstufen durchlaufen hat, als Supernova explodiert. Am Ende der Entwicklung eines massereichen Sterns kollabiert sein Eisen-Kern. Dabei entsteht die Vorstufe eines Neutronensterns. „ Die frei werdende Energie erzeugt einen ,Wind‘ aus Neutrinos, der Protonen und Neutronen von der Oberfläche des Proto-Neutronensterns wegbläst”, erklärt Wanajo. Aus den Protonen und Neutronen bilden sich zunächst Alpha-Teilchen, also 4He-Kerne. Sie fangen nach und nach weitere Alpha-Teilchen ein – bis Kerne mit etwa 90 oder 100 Kernteilchen entstanden sind. Erst jetzt beginnt der eigentliche r-Prozess, bei dem diese „Saatkeime” weitere Neutronen einfangen. Infolgedessen rücken die Atomkerne auf der Nuklidkarte nach rechts – solange sie genügend schnell von weiteren Neutronen getroffen werden. Denn dem wachsenden Neutronenüberschuss versucht ein anderer Spielzug entgegenzuwirken: der Beta-Zerfall. Dabei verwandelt sich ein Neutron in ein Proton, während es ein Elektron und ein Antineutrino abstrahlt. Dieser Spielzug erzeugt das nächsthöhere chemische Element und führt in der Nuklidkarte diagonal nach links oben – in Richtung des sogenannten Tals der Stabilität. Es enthält die etwa 300 stabilen Atomkerne. Sie zerfallen nicht weiter und machen deshalb den größten Teil der bekannten Materie im Universum aus. Bereits wenige Sekunden nach Beginn der Supernova hat die Dichte der ausgestoßenen Neutronen so stark abgenommen, dass der Beta-Zerfall die Oberhand gewinnt und die Atomkerne ins Tal „niederregnen”.
Wanajos Ergebnisse sind vielversprechend: Unter bestimmten Annahmen kann sein Programm die prozentualen Häufigkeiten der stabilen Atomkerne im All reproduzieren. Doch er räumt ein: „Das r-Prozess-Szenario im Neutrinowind ist noch eine Hypothese. 99 Prozent der Kollegen glauben, dass der r-Prozess mit Supernovae zusammenhängt, 50 Prozent davon bezweifeln allerdings, dass er im Neutrinowind abläuft.” Nicht nur der r-Prozess endet im Tal der Stabilität, sondern alle Prozesse, die Atomkerne erzeugen – auch der s-Prozess („s” steht für „slow”, langsam). Er ist der zweite bedeutende Prozess, der für die Erzeugung der Elemente schwerer als Eisen verantwortlich ist. Seine Spielzüge schlängeln sich von vornherein entlang des Tals der Stabilität. „Die Zeitskalen für s- und r-Prozess sind sehr verschieden”, betont Franz Käppeler, der diese Reaktionen am Forschungszentrum Karlsruhe untersucht. „ Während der r-Prozess etwa eine Sekunde dauert, muss man beim s-Prozess, der beim Heliumbrennen eines Sterns stattfindet, mit etwa einer Million Jahren rechnen. Die Zeit variiert stark mit der Masse des Sterns.”
30 gefangene AUF EINEN STREICH
Der wesentliche Unterschied zwischen s- und r-Prozess ist die Neutronendichte. Im Innern von Sternen ist sie viel geringer als während einer Supernova. Deshalb fangen die Atomkerne im Sterninnern in der Regel nur ein Neutron ein, bevor der Beta-Zerfall sie wieder ins Tal zurücktreibt. „Bei Supernovae sind die Neutronendichten dagegen so hoch, dass 20 bis 30 Neutronen auf einmal eingefangen werden können”, ergänzt Sigurd Hofmann von der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt. Er ist seit etwa 30 Jahren auf der Suche nach der oberen Grenze der Nuklidkarte und war an der Entdeckung der Elemente 107 bis 111 (Bohrium, Hassium, Meitnerium, Darmstadtium, Röntgenium) und des noch namenlosen Elements 112 beteiligt. Doch auch beim s-Prozess besteht die Möglichkeit, dass zwei oder mehr Neutronen eingefangen werden, bevor der Beta-Zerfall einsetzt. So entstehen Verzweigungspunkte im s-Prozess, ab denen unterschiedliche Spielzüge möglich sind. Käppeler erforscht die Reaktionsraten an diesen Verzweigungspunkten. Das ist für die Modellierung des s-Prozesses wichtig. Denn wie es an den Verzweigungspunkten weitergeht, entscheidet über die prozentuale Häufigkeit der chemischen Elemente in unserem Universum.
Schwerstarbeit an DER Abbruchkante
Eine andere Forschungsfront ist die Suche nach der Neutronen-Abbruchkante – der Grenze, ab der ein Kern keine Neutronen mehr aufnehmen kann. Ihre Lage ist für viele Teile der Nuklidkarte bisher nur theoretisch berechnet worden. Doch Experimente lieferten immer wieder Überraschungen, und die Abbruchkante musste jüngst mehrmals „versetzt” werden. Für eine solche neue Grenzziehung ist Thomas Baumann von der Michigan State University verantwortlich. Er und sein Team beschossen Wolfram mit den neutronenreichen Kalzium-Kernen 48Ca. Dabei entstanden die Magnesium- und Aluminium-Kerne 40Mg und 42Al, deren Existenz Baumann trotz der kurzen Lebensdauer nachweisen konnte.
Eine harte Nuss für die Theoretiker, denn sie hatten 42Al bisher hinter der Neutronen-Abbruchkante platziert – der Kern dürfte also gar nicht existieren. Doch es gibt auch Untersuchungen, die in die Kerbe der Theoretiker schlagen. Zum Beispiel die des Zinn-Kerns 101Sn nahe der Protonen-Abbruchkante, dem Pendant zur Neutronen-Abbruchkante. Das Besondere: 101Sn hat einen Bruder, 100Sn, der noch näher an der Kante liegt und trotzdem ähnlich wie 101Sn eine relativ lange Lebensdauer von etwa einer Sekunde hat. 100Sn ist ein „doppeltmagischer” Kern: In ihm ist sowohl die äußere Neutronenschale als auch die äußere Protonenschale aufgefüllt. Deshalb ist 100Sn sehr viel stabiler und langlebiger, als es seine Position in der Nuklidkarte – weit entfernt vom Tal der Stabilität – vermuten lässt. Mit dem inzwischen mehr als 50 Jahre alten Kernschalenmodell der beiden Physik-Nobelpreisträger Maria Goeppert-Mayer und Hans Jensen waren die Energien der Neutronen des „Brüderpaares” 100Sn und 101Sn vorhergesagt worden. Korrekt, wie ein Team um Darek Seweryniak vom National Laboratory des US-Energieministeriums in Argonne jetzt bestätigte.
ins gelobte Land der Stabilität
„Oberhalb von Blei gibt es keine stabilen Kerne mehr”, sagt Andreas Türler von der Technischen Universität München. Wismut 209Bi, in manchen Nuklidkarten noch als stabil gekennzeichnet, hat tatsächlich eine Halbwertszeit von 19 Trillionen Jahren. „Bei sehr schweren Kernen mit einer Protonenzahl von mehr als 104 bis 106 wird die Abstoßung der Protonen untereinander so stark, dass sie gemäß den einfachsten Kernmodellen gar nicht existieren dürften.”
Und wieder scheint ein doppeltmagischer Kern für außergewöhnliche Stabilität zu sorgen. Bereits in den Sechzigerjahren war aufgrund des Modells von Goeppert-Mayer und Jensen vorausgesagt worden, dass ein Kern mit 114 Protonen und 184 Neutronen doppeltmagisch sein muss – und er deshalb viel langlebiger ist, als es seine Position in der Nuklidkarte vermuten lässt. Man prophezeite in den äußeren Gefilden der Nuklidkarte die Existenz einer „Insel der Stabilität” – ein irreführender Begriff, da sie wie das „Tal der Stabilität” ein Energieminimum darstellt. Denn auch die Nachbarn des doppeltmagischen Kerns würden wegen ihrer ähnlichen Kernteilchenkonfiguration von dessen Langlebigkeit profitieren. Neuere Rechnungen ergaben, dass der Hassium-Kern 270Hs mit 108 Protonen und 162 Neutronen ebenfalls doppeltmagisch ist. Dafür gibt es erste experimentelle Indizien: Türler und seinem Team ist es gelungen, mit dem Teilchenbeschleuniger UNILAC der GSI in Darmstadt vier Hassium-Kerne 270Hs zu erzeugen. Die Physiker bestimmten die Halbwertszeit auf die für einen so schweren Kern ungewöhnlich lange Zeitspanne von etwa einer halben Minute.
Ein amerikanisch-russisches Team konnte nun sogar an der weiter außen liegenden Insel der Stabilität kratzen. Um den vorausgesagten Inselmittelpunkt mit der Proton-Neutron-Kombination 114/184 herum wiesen sie die Existenz einiger von ihnen erzeugter Atomkerne nach, zuletzt den Kern 118/ 176 mit der für seine hohe Lage in der Nuklidkarte ungewöhnlich langen Lebensdauer von etwas mehr als einer Tausendstel Sekunde. „ Unsere Daten deuten auf die Existenz einer relativ ausgedehnten, flachen Insel der Stabilität hin”, sagt Ken Moody, Leiter des US-Teams vom Lawrence Livermore National Laboratory: „Ich denke, wir werden noch schwerere Kerne finden.” ■
AXEL TILLEMANS ist Physiker und Wissenschaftsjournalist im nordrhein-westfälischen Titz. In bdw berichtet er häufig über Physik und Geologie.
von Axel Tillemans
die Bausteine der Materie
Die Nuklidkarte verzeichnet die verschiedenen „Versionen” (Isotope) der Atomkerne (Nuklide). Von vielen der 118 heute bekannten chemischen Elemente sind mehr als 30 Isotope experimentell nachgewiesen. Die stabilen (blau) bilden das „Tal der Stabilität”. Die meisten der etwa 3200 bekannten Isotope sind radioaktiv (grau) und kommen in der Natur kaum vor. Doch sie und weitere mindestens 3000 theoretisch vorhergesagte Isotope (weiß) sind unumgängliche Zwischenprodukte bei der Bildung schwerer stabiler Elemente. Alle Isotope liegen in einem Bereich, der von der Neutronen- und Protonen-Abbruchkante sowie der Grenze der schwerstmöglichen Kerne umschlossen wird. Außerhalb dieser noch nicht genau bekannten Grenzen existieren keine Atomkerne. Oberhalb von Blei 208Pb gibt es keine stabilen Kerne mehr. Dort endet das Tal der Stabilität (am rechten oberen Eck des rechten roten Rechtecks in der Karte). Doch Kernphysiker haben die Existenz zweier „Inseln der Stabilität” vorausgesagt, die sie mit ihren Experimenten zurzeit suchen. Dort sollen die Kerne langlebiger sein, als es ihre hohe Position in der Nuklidkarte vermuten lässt. Die Ausschnitte in den roten Rechtecken sind in den beiden Grafiken auf der nächsten Doppelseite vergrößert zu sehen.
Kernsynthese nach dem Urknall
Während der ersten Minuten nach dem Urknall wurden die leichten Atomkerne erzeugt. Dieser stark vereinfachte Ausschnitt aus der Nuklidkarte zeigt die wichtigsten Kernreaktionen. Die erste Front aus „Tretminen” (violett) – bestehend aus Atomkernen, die kurz nach ihrer Erzeugung wieder zerfallen – ließ sich durch den Zusammenstoß eines Helium-Kerns 4He mit einem Tritium- Kern 3H (grüner Pfeil) oder einem leichten Helium-Kern 3He (roter Pfeil) überwinden. Dabei entstanden Lithium 7Li beziehungsweise Beryllium 7Be, das weiter zu 7Li zerfiel.
Die nächste Tretminenfront (orangefarben und violett) brachte die Erzeugung von Atomkernen nahezu zum Erliegen. Der Sprung zum Kohlenstoff 12C war erst sehr viel später im Innern von Sternen durch den Zusammenstoß dreier 4He-Kerne möglich (gelber Pfeil). Die violetten „Tretminen” haben eine Halbwertszeit von weniger als einer Billiardstel Sekunde, die orangefarbenen bringen es immerhin auf eine Halbwertszeit von einer Zehntel bis einer ganzen Sekunde. Die grauen und farbigen Felder in der Nuklidkarte stehen für die bekannten, experimentell nachgewiesenen Kerne. Die blauen Felder kennzeichnen stabile Kerne. In den weißen Gebieten kann es von Natur aus keine Nuklide geben.
Wie schwere Elemente entstehen
Die meisten der bekannten und noch unbekannten Isotope (graue beziehungsweise weiße Felder) sind radioaktiv. Sie spielen eine große Rolle bei der Entstehung der stabilen chemischen Elemente. Diese und sehr langlebige Kerne (Halbwertszeit größer als 30 Millionen Jahre) sind hier farbig dargestellt. Atomkerne schwerer als Eisen entstehen durch das Einfangen von Neutronen – dargestellt als Schritt nach rechts auf der Karte. Wird dabei ein instabiler Kern erzeugt, verwandelt der Beta-Zerfall ein Neutron dieses Kerns in ein Proton. Dies entspricht einem Zug diagonal nach links oben.
Der s-Prozess (weiße Pfeile) im Innern von Sternen verläuft entlang des „Tals der Stabilität” (farbige Felder). Er ist für die Erzeugung vieler Kerne ganz (gelb) oder teilweise (blau) verantwortlich. Rot markiert Verzweigungspunkte im s-Prozess. Er endet bei dem langlebigen Kern Wismut-83/126 (209Bi). Der nächste Neutroneneinfang führt zum instabilen Wismut-83/127 (210Bi). Es verwandelt sich durch Beta-Zerfall in den ebenfalls instabilen Polonium-Kern-84/126 (210Po). Dieser wird durch Aussenden eines Alphateilchens (Helium-Kern) zum stabilen Blei-82/124 (206Pb).
Dem r-Prozess (rote Pfeile) während der Sternexplosion stehen sehr viel mehr Neutronen zur Verfügung als dem s-Prozess. Deshalb verläuft er fern vom Tal der Stabilität. Doch wenn wenige Sekunden nach Beginn der Supernova die Neutronendichte abnimmt, gewinnt auch hier der Beta-Zerfall die Oberhand und treibt die Kerne ins Tal der Stabilität (beispielhaft durch drei violette Pfeile angedeutet). An der Erzeugung der gelb markierten Kerne ist der r-Prozess nicht beteiligt, weil der durch die violetten Pfeile symbolisierte Prozess vorher von stabilen Kernen unterbunden wird. Demnach müsste Osmium 76/111 (187Os) eigentlich gelb sein. Doch der durch einen grünen Punkt gekennzeichnete Kern Rhenium 75/112 (187Re) ist nicht stabil, sondern nur sehr langlebig, und zerfällt per Beta-Zerfall in den Osmium-Kern 76/111 (187Os). Die rot eingezeichneten Kerne werden ausschließlich vom r-Prozess erzeugt. Bei der „magischen Neutronenzahl” 126 kommt der r-Prozess vorübergehend zum Erliegen. Doch wenn der entstandene Neutronenüberschuss durch die Verwandlung von Neutronen in Protonen abgebaut wurde, können weitere Neutronen eingefangen werden.
Die grün markierten Kerne entstehen ebenfalls bei Supernovae – allerdings durch das Einfangen von Protonen. Die für diesen p-Prozess erforderlichen hohen Temperaturen herrschen nur sehr kurz. Deshalb sind diese Kerne extrem selten.
Gut zu wissen: Die Kürzel der Atomkerne
Ein Atomkern ist mit seiner Massenzahl und dem chemischen Zeichen eindeutig bestimmt. Zum Beispiel hat Blei das Zeichen Pb (von lateinisch „plumbum”). Im Periodensystem der chemischen Elemente ist Blei das 82. Element, weil ein Blei-Atom 82 positiv geladene Protonen in seinem Kern hat (rot dargestellt). Doch es gibt verschiedene Varianten (Isotope) von Blei mit unterschiedlicher Neutronenzahl (weiß). In der Natur kommt am häufigsten die Variante mit 126 Neutronen vor. Die Massenzahl 208 gibt die Gesamtzahl von Protonen und Neutronen an (82 plus 126).
Kompakt
· Kernphysiker erforschen die Eigenschaften der Atomkerne und die Gesetze, nach denen sie sich ineinander umwandeln.
· Mehr als 6000 verschiedene Sorten von Atomkernen sind physikalisch möglich. Erst 3200 wurden experimentell nachgewiesen oder erzeugt. Nur 300 sind nicht radioaktiv.
· Computer simulieren die Entstehung der schweren Elemente bei Sternexplosionen.
Lesen:
Einführung in die Physik der Atomkerne: Ray Mackintosh u.a.: NUCLEUS Canopus, Bristol 2001, € 29,99 Kostenloser Download unter: pntpm3.ulb.ac.be/pans-info (auf „Activities” und „Book” klicken)
Internet:
Interaktives Periodensystem: www.dayah.com/periodic/
Aktuelle interaktive Nuklidkarte vom Brookhaven National Laboratory: www.nndc.bnl.gov/chart/
Schulmaterialien zur Kernphysik: leifi.physik.uni-muenchen.de/web_ph12/materialseiten/m11_kerne.htm
Animierte Nuklidkarte von Shinya Wanajo: supernova.astron.s.u-tokyo.ac.jp/~wanajo/gallery.html