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VERKEHRSTOD – WETTERWENDISCH

Allgemein

VERKEHRSTOD – WETTERWENDISCH
Gerhard Kraski am Statistischen Bundesamt in Wiesbaden zählte 2007 weniger Verkehrstote als im Jahr davor – wie schon seit 15 Jahren. Die voreilig beklagte Trendwende ist ausgeblieben.

SCHEINBAR BRISANTES FUTTER bekamen die Redaktionen von Zeitungen, Radio- und TV-Sendern am 22. August vergangenen Jahres: „Wieder mehr Verkehrstote“, tickerte die Nachrichtenagentur dpa in die Mailboxen ihrer Kunden. Der Inhalt der Meldung: Im ersten Halbjahr 2007 hatte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden 7,7 Prozent mehr Verkehrstote gezählt als im Vorjahreszeitraum – absolut gesehen starben 177 Menschen mehr als im gleichen Zeitraum 2006. Das besaß wahrhaftig Newswert. Denn davor hatte es 15 Jahre lang mit schöner Regelmäßigkeit immer weniger Tote im Straßenverkehr gegeben (bild der wissenschaft 8/2000, „Mehr Unfälle – weniger Tote“). Ein langjähriger Trend schien plötzlich gestoppt.

Dem Tag der Zahlen folgte bereits am 23. August der Tag der Lobbyisten, die die Halbjahresmeldung nach Kräften deuteten. Schuld an dem Zuwachs an Verkehrstoten sei der Aufschwung, analysierte zum Beispiel Eckehard Schnieder, Leiter des Instituts für Verkehrssicherheit in Braunschweig: Der bringe mehr Verkehr. Schnieder verwies auch auf die Rücksichtslosigkeit, die neuerdings um sich greife und vor allem Fahrradfahrer das Leben koste.

Ein ganz anderes Fazit zog der ADAC-Verkehrsstatistiker Wolfgang Steichele – er versicherte vorsorglich: Die gestiegene Zahl an Verkehrstoten liege wohl nicht an zu hoher Geschwindigkeit auf den Straßen, denn in Ländern mit Tempolimit würden die Todeszahlen besonders deutlich steigen. Der Automobilclub AvD hingegen, der viele Oldtimer-Freunde und Automobil-Puristen vertritt, wetterte in Gestalt seines Pressesprechers Johannes Hübner gegen die Technik, die sonst immer als Begründung sinkender Todeszahlen gefeiert werde: „ Eingelullt in Komfort“ würden sich die Autofahrer von heute offenbar zu sicher fühlen. Auch Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee mochte angesichts dieser Debatte nicht schweigen und ließ öffentlich versichern, er nehme „die Zahlen sehr ernst“. Er werde sich für schärfere Sanktionen gegen Drängler, gegen Rowdys sowie gegen Alkohol- und Drogensünder hinter dem Steuer einsetzen. Das muss er nun nicht mehr. Zumindest nicht als Reaktion auf die gemeldeten Zahlen. Denn heute sieht alles anders aus. Was im August des Vorjahres noch einen blutigen Rekord fürs Gesamtjahr ankündigte, entpuppte sich als Schulbuchbeispiel für die Tücken der Statistik: „Insgesamt hatten wir erneut ein Jahr mit den geringsten Todeszahlen“, sagte Anfang 2008 Gerhard Kraski, Hauptsachbearbeiter für die Verkehrsunfallstatistik beim Statistischen Bundesamt. Wie bitte? „Wir müssen für das Jahr 2007 weniger als 5000 Tote beklagen, 2,4 Prozent weniger als 2006 – so wenig wie noch nie. Es sah zunächst schlimm aus, hat sich am Jahresende aber wieder beruhigt“, erklärt der Statistiker.

Dieser Effekt lag schlicht an der Macht des Wetters. Nach der Analyse der Wiesbadener Experten hatte der warme Frühling die Motorradfahrer früher nach draußen getrieben als sonst. So kamen bis April 2007 insgesamt 126 Motorradfahrer mehr ums Leben als im Jahr davor. Im trüben Herbst allerdings haben die Biker ihre Zweiräder sehr früh wieder eingemottet, „was sich entgegengesetzt ausgewirkt haben dürfte“, erklärt Kraski. Ganz genau werde man es in einigen Wochen wissen, wenn die detaillierte Auswertung für 2007 vorliegt.

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Zu befürchten ist nur, dass den dicken Zahlenwälzer kaum noch einer wahrnimmt. Denn seit die vermeintliche Trendumkehr Schnee von gestern ist, die Presseagenturen nunmehr den neuen „ historischen Tiefstand“ tickern und die Automobilbranche erneut in Pressemitteilungen ihre erfolgreichen Sicherheitssysteme loben darf, herrscht wieder Ruhe an der Lobbyfront. Tobias Beck■

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