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WENN FÜSSE HÖREN KÖNNEN

Erde|Umwelt

WENN FÜSSE HÖREN KÖNNEN
Elefantenfüße nehmen tiefe Töne wahr. Für die Tiere ist das „Ohr am Boden“ ein überlebenswichtiges Kommunikationsorgan.

Was haben Hawaiianische Grashüpfer und Afrikanische Elefanten gemeinsam? Nein, das ist kein Scherz. Die Frage stammt von der amerikanischen Forscherin Caitlin O’Connell-Rodwell. Und sie fand darauf eine überraschende Antwort: Beide Tiere können mit ihren Füßen seismische Signale empfangen. Genau wie das federleichte Insekt verlagert der dicke Elefant sein Gewicht auf die Vorderbeine und spürt so das Zittern des Bodens: „Good Vibrations“ , wie die von paarungsbereiten Artgenossen, aber auch Warnungen wie „Achtung, Löwe“.

„Elefanten haben ein komplexeres Kommunikationssystem, als wir es jemals vermuteten“, sagt Caitlin O’Connell-Rodwell, Wissenschaftlerin am Center for Conservation Biology an der Stanford University. Gängige Lehrmeinung war, dass die Sprache der Elefanten nur oberirdisch stattfindet: Sie trompeten, grunzen, bellen und brummen – und das über ein Spektrum von 5 bis 9000 Hertz, das sind über zehn Oktaven. Zum Vergleich: Wir Menschen produzieren bei einer normalen Plauderei Töne zwischen 100 und 250 Hertz, und gute Sänger schaffen allenfalls drei Oktaven. Eine besondere Bedeutung in der Elefantensprache haben die sogenannten Rumble-Töne. Das sind für das menschliche Ohr kaum hörbare Tieffrequenzen von 5 bis 20 Hertz. Fast 90 Prozent seiner Unterhaltungen führt ein Elefant in diesem Bereich – und das teilweise in einer Lautstärke von 90 Dezibel, was dem Lärm einer Baustelle entspricht. Dass sich diese Rumble-Töne auch als Schwingungen im Erdboden ausbreiten und von den Tieren tastend aufgespürt werden können, ist von O’Connell-Rodwell erobertes biologisches Neuland. Sie entdeckte das Mitte der Neunzigerjahre bei einem Feldeinsatz in Namibia: In einem Bunker versteckt, beobachtete die Biologin eine Elefantenherde an einem Wasserloch.

PLÖTZLICH KAM EIN FUSSANRUF

Plötzlich erstarrte jedes einzelne Tier in seiner Bewegung, legte die Ohren flach an den Kopf und lehnte sich auf die Zehenspitzen der Vorderfüße. „Wenn Elefanten mit ihren Ohren hören, dann öffnen sie diese weit und scannen wie Satellitenschüsseln die Luft“, erklärt die Biologin. „Was ich beobachtete, erinnerte mich dagegen an Grashüpfer, denen ich während des Studiums seismische Paarungsrufe vorgespielt hatte.“ Die Forscherin war überzeugt, dass die Elefanten einen „Fußanruf“ erhalten hatten. In den kommenden Jahren bewies O’C onnell-Rodwell, dass nicht nur Kleintiere wie Blindmäuse, Taschenspringer oder bestimmte Insekten mittels Bodenvibrationen kommunizieren, sondern auch die derzeit größten Landsäugetiere, Afrikanische und Asiatische Elefanten.

Immer noch reist die mittlerweile 41-Jährige mit ihrem Team jeden Sommer nach Namibia und spielt den Dickhäutern etwas vor: Rund um das Mushara-Wasserloch im Etosha-Park vergräbt sie mehrere „Schüttler“ – magnetische Spulen, die kurze Ton-Aufnahmen von Elefantenrufen, sogenannte Soundbites, in Vibrationen umwandeln. Von einem fünf Meter hohen Beobachtungsturm steuert sie die Schüttler mit einer Ton-Anlage an. Sobald sich die Tiere am Wasserloch aufhalten, schickt die Wissenschaftlerin Elefantenrufe durch den Boden, deren Bedeutungen sie kennt. Das sind noch nicht viele, denn von den bisher über 6000 detektierten Lautäußerungen der Dickhäuter sind nur weniger als ein Dutzend entschlüsselt. „Die Tiere können unterscheiden zwischen ‚ Willkommen‘, ‚Auf geht’s‘, ‚Achtung, Gefahr‘ und bestimmten Paarungsrufen“, hat O’Connell-Rodwell bereits herausgefunden.

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Die Männer SIND GUTE ZUHÖRER

Kürzlich stellte die Amerikanerin fest, dass Elefantenrufe gruppenspezifisch sind. Sie hatte ihren Elefanten in Mushara zwei sehr ähnliche Tonaufnahmen ans Wasserloch geschickt: Beide bedeuteten „Achtung, Löwe“, doch die eine stammte von Tieren aus dem einheimischen Etosha-Park, die andere von Elefanten aus dem kilometerweit entfernten Kenia. „Die Elefanten reagierten nur auf die Töne aus Namibia“, beobachtete O’Connell-Rodwell staunend. „ Sie hörten augenblicklich auf zu trinken, erstarrten in ihrer Bewegung, klumpten sich dann als Gruppe zusammen und verließen gemeinsam das Wasserloch.“ Die unterirdischen Warnrufe aus Kenia ignorierten sie dagegen. Die Wissenschaftlerin vermutet, dass die Tiere keine (Flucht-)Energie auf etwas verschwenden, was sie nicht kennen.

Elefanten sind eben gute Zuhörer. „Vor allem die männlichen Tiere. Elefantendamen dagegen sind Klatschbasen“, weiß die Biologin Angela Stöger-Horwath. Sie ist Leiterin des Mammal Communication Lab am Tiergarten in Wien und Expertin für Sprachentwicklung bei Elefanten. Elefantenkühe reden nicht nur häufiger, sondern verfügen auch über ein größeres Repertoire an Lauten. Bullen seien dagegen eher schweigsam und hörten mehr zu. Grund dafür sind die verschiedenen Lebensweisen von männlichen und weiblichen Tieren: Bullen sind meist Einzelgänger und leben nur als Jungtiere in einer Herde aus Kühen und deren Nachwuchs, die von einer Matriarchin angeführt wird. „Es gehört allerhand dazu, so eine Gruppe zu koordinieren“, erklärt Stöger-Horwath. „ Außerdem halten die Elefantenfrauen Kontakt mit anderen Herden.“ Elefanten leben in freier Wildbahn in sogenannten Fission-Fusion-Gesellschaften. Das sind Gruppen, von denen sich immer wieder Untergruppen oder einzelne Individuen abspalten, zum Beispiel zur Nahrungssuche, um dann später zur ursprünglichen Gruppe zurückzukehren.

Diese weitverzweigten sozialen Bande zu pflegen, erfordert nicht nur das sprichwörtliche Elefantengedächtnis, sondern auch ein großes Vokabular. Und dies ist, so fand die Wissenschaftlerin heraus, zum Großteil angeboren. „Wir haben bei Elefantenbabys über 2500 verschiedene Soundbites aufgenommen, wobei die meisten Laute mit der Nahrungsaufnahme zu tun haben“, berichtet die Österreicherin. Zu lernen gibt es für die jungen Rüsseltiere trotzdem noch viel. „Sie müssen die vokale Signatur der Laute von Mutter und Gruppe – also den Dialekt – nachahmen können. Denn Elefanten zeigen mit ihren Lauten ihre Individualität und ihre Gruppenzugehörigkeit an“, erklärt Stöger-Horwath. Das ist zum Beispiel dann wichtig, wenn ein Elefantenkalb von seiner Mutter getrennt wird. Oder wenn eine Elefantenkuh in Hitze ist – ein großes Ereignis, das nur alle vier bis fünf Jahre stattfindet. Dann ist seismische Kommunikation ziemlich praktisch, weil sie große Distanzen überbrückt.

Rumble-Töne haben darüber hinaus den Vorteil, dass ihre Reichweite im Vergleich zu Luft-Schallwellen größer ist und ihr Informationsgehalt länger erhalten bleibt: Schallwellen breiten sich in der Luft in drei Dimensionen aus, am Boden jedoch in nur zwei. Dies hat zur Folge, dass mit jeder Distanz-Verdoppelung die Luft-Schallwellen 6 Dezibel an Kraft verlieren, die unterirdischen jedoch nur 3 Dezibel. Zudem gibt es physikalische Limits: „In der Luft wird jede Schallwelle nach zehn Kilometern absorbiert“, erklärt O’Connell-Rodwell. „Aber wir gehen davon aus, dass seismische Informationen deutlich weiter als zehn Kilometer getragen werden.“ Für die Forscherin liegt hier auch die Erklärung dafür, dass Elefanten auf Ereignisse reagieren, die sich Dutzende von Kilometern entfernt von ihnen abspielen: „Wenn es in Angola regnet, dann setzen sich die Elefanten im 160 Kilometer entfernten Etosha-Park auf der Suche nach Wasser in Richtung Norden in Bewegung.“

AKUSTISCHES FETT IM FUSS

Was macht einen Elefantenfuß zum Hörorgan? Zunächst sind in der Fußsohle zwei besondere Arten von Nervenzellen integriert: Meissner’sche Tastkörperchen und Pacini’sche Körperchen. Sie reagieren auf Druck beziehungsweise Vibrationen und senden über die Nerven Signale zum Gehirn. Besonders dicht verteilt sind diese Zellen am Fußballen und an den Zehenspitzen der Tiere – was erklärt, warum die Elefanten zum Erspüren von Erdgeräuschen ihr Gewicht häufig auf die Vorderfüße verlagern. „So ist der Bodenkontakt besser“, erläutert O’Connell-Rodwell. Die Gewichtsverlagerung ist auch wichtig für die zweite Art der Erdton-Wahrnehmung: über die Knochen. Die Vibrationen gelangen über den Boden zuerst zu den Füßen. Dann pflanzen sie sich über Beine und Schultern weiter fort zu den Ohren. Ein Indiz dafür sind die vergrößerten Gehörknöchelchen der Elefanten sowie ihr „ akustisches Fett“ im Fuß, das keilförmig zwischen Ferse und Ballen eingebettet ist.

Dieses Fettpolster hat neben dem Abfedern des Elefantengewichts beim Laufen noch eine besondere Aufgabe: „Das Fett erleichtert die Schallübertragung von einem Medium zum anderen, in diesem Fall vom Erdboden zum Fuß“, erklärt die Wissenschaftlerin. Voller Bewunderung bezeichnet O’C onnell-Rodwell Elefantenfüße als „riesige Stethoskope“. In ihrem Buch „The Elephant’s Secret Sense“ berichtet sie, wie Elefanten ihre Toten untersuchen: Sie setzen ihren Vorderfuß ganz vorsichtig auf der Haut des toten Artgenossen auf und fahren damit wie mit einem Scanner über den reglosen Körper. Kann es sein, dass sie nach einem Lebenszeichen suchen, einem Herzschlag oder Atemzug? ■

Désirée Karge lebt in San Jose/Kalifornien. Für bdw entdeckt sie immer wieder spannende Geschichten aus der Welt der Wissenschaft.

von Désirée Karge

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Caitlin O’Connell-Rodwell THE ELEPHANT’S SECRET SENSE The hidden life of the Wild Herds of Africa Free Press, New York 2007, $ 24,–

INTERNET

Aktuelles zur Elefantenforschung, mit Tonproben und Quiz: www.elephantvoices.org

Kompakt

· Elefanten kommunizieren mit tiefen Tönen über weite Strecken.

· Sie können mit den Füßen hören.

· Elefantenweibchen sind wahre Kommunikationskünstlerinnen.

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