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Trotz allem: Japan ist stark

Allgemein

Trotz allem: Japan ist stark
Nippon fällt von einer Wirtschaftskrise in die nächste. Hariolf Grupp, profunder Technologiekenner, erläutert Hintergründe und Zukunftsfähigkeit des Landes.

Prof. Hario Grupp (Jahrgang 1950) leitet seit Januar dieses Jahres den neu gegründeten Lehrstuhl für Systemdynamik und Innovation am Institut für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsforschung der Universität Karlsruhe. In Personalunion ist er weiterhin als stellvertretender Institutsleiter am Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung ISI tätig. Grupp etablierte die in Japan erstmals auf breiter Basis ange-wandte Expertenbefragungstechnik so genannter Delphi-Studien mit großem Erfolg in Deutschland.

bild der wissenschaft: In den achtziger und frühen neunziger Jahren überschlugen sich die Warnungen vor der Japan AG, und es gab genug Stimmen, die gerade der deutschen Industrie angesichts der japanischen Herausforderung wenig Zukunftsfähigkeit attestierten. Nun ist die japanische Wirtschaft seit Jahren auf Talfahrt. Warum haben sich die Experten so gründlich geirrt?

Grupp: In der Tat ist etwa die japanische Automobilbranche zur Hälfte in westlicher Hand. Die Alte und die Neue Welt haben bei der Automatisierung viele japanische Ideen aufgegriffen und so umgesetzt, dass Japan keinen Vorsprung mehr hat. Immerhin hat es aber ein gutes Jahrzehnt gedauert, bis der Westen dies geschafft hat. Die technologische Leistungsfähigkeit Japans sollte man weiterhin nicht unterschätzen. In der Informationstechnik, in der Mikroelektronik, beim Schienenfahrzeugbau ist das Land – neben den USA – führend. Im Pharmabereich, in der Chemie, bei Bio- und Gentechnik kommt Japan dagegen zwar voran, für ein Aufholen reicht das aber nicht.

bdw: Was führte zu der jetzigen Krise?

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Grupp: Es gibt keine wirkliche Krise, wir beobachten jetzt eher normale Verhältnisse. Der wirtschaftliche Erfolg wurde unter Bedingungen der Selbstausbeutung erarbeitet, die in den USA oder Europa niemand akzeptieren würde. Jetzt wollen auch Japaner die sozialen Errungenschaften des Westens genießen – was ihr Wirtschafts-system im üblichen Umfang belastet.

bdw: Wie kam es dann zu dem bescheidenen Wirtschaftswachstum der letzten Jahre?

Grupp: Durch protektionistische Gewohnheiten konnte die Japan-AG ihren Inselmarkt lange Zeit vor internationaler Konkurrenz schützen. Anhaltender politischer Druck aus den USA und von anderswoher haben auch hier weltwirtschaftliche Normalität gebracht. Teile des japanischen Auslandsvermögens sind verzehrt. Die Staatsverschuldung ist viel höher als etwa die unsrige, die ja schon als vereinigungsgebeutelt gilt.

bdw: Trotz stetem Bemühen scheint auch Japans naturwissenschaftliche Grundlagenforschung nicht zum großen Sprung anzusetzen.

Grupp: Oberflächlich betrachtet hat der Staat richtig gehandelt und seine Forschungsausgaben deutlich erhöht. Auch bei genauerem Hinsehen bleibt allerdings unklar, wer von diesen zusätzlichen Mitteln profitiert hat. Weiterhin ist die Mentalität in Ostasien ein Grund dafür, dass das Land so wenig in der Grundlagenforschung bewegt. Gerade sieben naturwissenschaftliche Nobelpreisträger hat das Land seit 1901 hervorgebracht. Die fast selbstherrliche Kreativität der amerikanischen Egg-Heads, etwas einmal ganz anders zu machen als bisher, fehlt in Japan völlig. Japanische Universitäten sind schlicht Ausbildungsstätten, an denen Forschung geduldet wird.

bdw: Gibt es in Japan keine Eliteuniversitäten?

Grupp: Es gibt einige respektable Forschungszentren. Doch das sind eher Ausnahmen, sie werden auf Zeit angelegt. Da die geförderten Köpfe von Lehraufgaben meist freigestellt sind und sich in aller Regel die Wirtschaft mit Personal beteiligt, würde ich nicht von Eliteuniversitäten sprechen.

bdw: Für europäische Wissenschaftler sind Japans Universitäten wenig attraktiv.

Grupp: Europäer und Amerikaner sind dort in der Tat sehr selten. Es wird aber viel getan, um attraktive Stipendienangebote bekannt zu machen. Beispielsweise gibt es in englischen Periodika in jedem Heft einen Erfahrungsbericht des „Ausländers des Monats“ . Das Leben in den Megastädten ist sehr teuer, das Nichtbeherrschen der japanischen Sprache ein Handikap. Ich meine hier nicht nur das Alltagsleben, sondern in den nicht vollständig anglisierten Wissensgebieten auch die Kommunikation im Labor. Für Asiaten allerdings ist Japan ein Traumland. Wer dort studiert, macht den ersten großen Schritt im Hinblick auf eine ostasiatische Karriere, weil er damit viel leichter an einen guten Job in einem der vielen Tochterunternehmen japanischer Konzerne herankommt.

bdw: Leidet Japan an der Abwanderung guter Wissenschaftler in die USA?

Grupp: Bei den Lebenswissenschaften sind die Abwanderungstendenzen erheblich. Selbst in der Informations- oder Automobilwirtschaft, in denen Japan gut ist, gibt es keine wirkliche Grundlagenforschung der Industrie. Man kann in den USA einfach schneller reüssieren. Bedenken Sie, dass einem Hochschullehrer bisher ein Teil der staatlichen Grundausstattung zusammengestrichen wurde, wenn er in der Einwerbung von Drittmitteln erfolgreich war. Ein Grund ist wohl, dass es innerhalb der japanischen Ministerien kaum Verständnis für das gibt, was wir unter Freiheit der Forschung verstehen. Ob sich daran durch die jüngste Integration von Großforschungsbehörde STA und Kultur- und Hochschulministerium etwas ändert, muss sich zeigen. Auch das Handelsministerium Miti wurde reformiert. Es heißt jetzt Meti und soll stärker dafür sorgen, dass auch die Forschung in mittelständischen Unternehmen strategisch ausgerichtet wird. Ich bleibe skeptisch, ob das die Anziehungskraft für Spitzenforscher erhöht.

bdw: Als Beispiel für die Überlegenheit Japans wurde immer wieder die hohe Zahl der Patentanmeldungen genannt. Offenbar hat das aber nicht dazu geführt, den Westen technologisch völlig abzuhängen.

Grupp: Das japanische Patentsystem funktioniert anders als unseres. Es ist starr mit dem betrieblichen Vorschlagswesen gekoppelt und honoriert Kleinsterfindungen. So decken zehn japanische Patente vielleicht das ab, was ein einziges deutsches Patent umfasst. Insofern muss uns die hohe Zahl japanischer Inlandspatente nicht ängstigen. Dennoch ist das Land international betrachtet – nach einer Delle Anfang der neunziger Jahre, sehr patentstark. Dies zeigt ein Blick auf jene Patente, die in den Ländern der Triade – USA, Japan, Europa – hinterlegt sind. Sie haben größte Bedeutung für den Weltmarkt. Pro Million Erwerbstätige liegt Japan mit 223 Triadepatenten vor Deutschland mit 177.

bdw: Seit Mitte der achtziger Jahre waren Sie zwei Dutzend Mal in Japan. Was ist für Sie die prägnanteste Veränderung?

Grupp: Die englische – oder besser: die amerikanische – Ausdrucksfähigkeit hat sich sowohl in der Wissenschaft als auch im touristischen Gewerbe deutlich verbessert. Außerdem ist inzwischen bei fast allen Bahnhöfen eine Lautschrift angebracht, die es auch uns Europäern mit verhältnismäßig wenig Aufwand ermöglicht, den Stationsnamen zu lesen. Wenn Sie zu wissenschaftlichen Besuchen und Gesprächen reisen, sind Sie quasi ein professioneller Tourist. Sie müssen irgendwie rechtzeitig an Ihr Ziel kommen. Da sind solche Petitessen schon wichtig. Die Förmlichkeit der Japaner nimmt stark ab, Jugendliche tragen lange Haare, Designerklamotten, kaum noch Kimonos auf den Straßen. Andererseits liegen in den großen Städten Obdachlose in den Unterführungen, die ich 1985 nirgendwo wahrnahm.

bdw: Die Verwestlichung schreitet also mit großen Schritten voran?

Grupp: Der amerikanische Einfluss ist dominant. Dieser Lebensstil wird gerne angenommen, und die Bewahrer der Tradition sind in der Minderheit. Wenn man allerdings die Nagelprobe macht und etwa einen aufgeschlossenen Wissenschaftler fragt, wann die Japaner ihr Schriftsystem abschaffen, kann er sich das überhaupt nicht vorstellen. Das ist ein Tabu, obwohl dieses Schriftsystem im Computerzeitalter eine große Behinderung darstellt.

bdw: Wie erlebt das hierarchisch streng gegliederte Japan das offene Kommunikationssystem Internet?

Grupp: Das Handelsministerium empfindet es tatsächlich als Machtverlust, dass die kleinen und mittleren Unternehmen heute auf andere Informationsquellen zurückgreifen als allein auf die Empfehlungen des Ministeriums. Man kann diese Entwicklung wiederum als ein Stück Normalisierung in unserer globalen Welt sehen.

bdw: Die Aufgeregtheit um den Niedergang der japanischen Wirtschaft ist also Ihrer Meinung nach überzogen?

Grupp: Ich habe früher nicht zu denen gehört, die Japans Erfolge dämonisierten. Ich hatte oft Begründungs- not – zu offensichtlich schienen die Fakten. Jetzt gehöre ich nicht zu denen, die nach unerfreulichen Nachrichten von der Tokioter Börse das Kapitel „Konkurrenz aus Japan“ zuschlagen. Japan bleibt technologisch stark und ist sehr lernfähig. Dabei ist es fairen Ausländern gegenüber sehr offen. Das kann ich wirklich für alle Lebenslagen bestätigen.

Wolfgang Hess

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