Erst seit wenigen Jahren erforschen Biologen das Bewusstsein des Menschen. Zu mächtig wirkte lange Zeit eine These, die 1872 der Berliner Professor für Physiologie Emil du Bois-Reymond in seiner berühmten „Ignorabimus“-Rede über die sieben Welträtsel geäußert hatte: Methoden der Naturwissenschaftler könnten die Seele des Menschen nicht ergründen. Selbst ein Forscher, der alles über das Gehirn wisse, könne zum Beispiel nicht die Empfindungen erklären, die ein Mensch beim Anblick der Farbe Rot habe.
Mit neuen Methoden – allen voran bildgebende Verfahren, die dem Gehirn bei der Arbeit zuschauen – hoffen manche Wissenschaftler, auch in die Tiefen des Menschen blicken zu können. Auf diese Verfahren verweist denn auch der Bremer Hirnforscher und Philosoph Gerhard Roth, um die zentrale Stellung der Biologie bei der Erforschung des Bewusstseins zu begründen.
Zunächst fanden die Biologen zu ihrer eigenen Überraschung nur Bekanntes: „Das menschliche Gehirn ist nicht einzigartig. Es ist ein typisches Säugetiergehirn“, schreibt Roth. Fast alle menschlichen geistigen Fähigkeiten gibt es auch bei „anderen Tieren“: Aufmerksamkeit, Formen der Ich-Erkenntnis und sogar Bewusstsein. Nur eine komplizierte Sprache gäbe es ausschließlich beim Menschen. Die Denkweise eines Menschen wird laut Roth schon früh durch die Lust- und Unlustzentren im Gehirn festgelegt. Für die Prägung sind aber nicht die Erbanlagen verantwortlich, sondern die allerersten Erfahrungen.
Doch hier zeigen sich auch die Grenzen der Biologie: Viele prägende Erfahrungen werden sozial vermittelt. So dürfte auch die Farbe Rot in friedlichen Zeiten anders auf das Gehirn gewirkt haben, als etwa während der Russischen Revolution. Und Grün wird von einem Landwirt anders wahrgenommen als von einem Designer. Das betont der Bremer Philosoph Hans-Jörg Sandkühler, wenn er den Vorstellungen seines Kollegen Roth entgegentritt: Da auch das Bewusstsein eines Menschen durch dessen Geschichte geprägt sei, sollten sich Biologen – bei allen unbestreitbaren Erfolgen – in ihren Erklärungs-Ansprüchen bescheiden. Andreas Wawrzinek
Andreas Wawrzinek