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Sie sind einfach gut

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Sie sind einfach gut
Immer mehr Frauen studieren Physik oder Chemie. Trotzdem sind sie in den Naturwissenschaften eine Minderheit. Das Forschungszentrum Jülich will das jetzt schleunigst ändern.

„Du hast den Job doch nur, weil du eine Frau bist.“ So oder so ähnlich haben sie es alle schon gehört, die vier Wissenschaftlerinnen im Forschungszentrum Jülich: die Physikerinnen Charlotte Elster, Martina Luysberg und Simone Weber sowie die Chemikerin Hilde Hardtdegen. Denn sie alle haben einen „ Makel“: Sie werden durch Frauenförderprogramme in ihrer Karriere unterstützt. Und noch immer glaubt so mancher männliche Kollege, dass solche Programme nur unqualifizierten Frauen auf die Sprünge helfen.

Das ist ungerecht und kränkt die Forscherinnen. „Ich bin gut“, sagt die 44-jährige Charlotte Elster selbstbewusst, die sich mit so abgefahrenen Dingen wie den „Spin-Konfigurationen polarisierten Deuteriums“ beschäftigt. Das hat etwas mit den kleinsten Teilen der Materie und viel mit Physik und Mathematik zu tun. Harte Wissenschaft eben. Also eigentlich nichts für Mädchen? „Quatsch“, sagt Elster und spricht davon, dass Frauen sich genauso gut wie Männer in die komplizierte Materie einarbeiten können. Sie müssen nur ihre Zurückhaltung ablegen. Und wird von ihrer Kollegin Hilde Hardtdegen unterstützt: „Es nützt überhaupt nichts, bescheiden in der Ecke zu sitzen und darauf zu warten, dass irgendjemand merkt, welch gute Arbeit man leistet.“ Die 42-Jährige hat sich durch ihre „Unbescheidenheit“ einen festen Platz in der Forschung erobert: Sie leitet eine Gruppe, die an der effizienteren Herstellung von Halbleiter-Schichtsystemen arbeitet – mit einem ganz praktischen Hintergrund: Leuchtdioden und Solarzellen können so besser gebaut werden.

Die Frauen in Jülich haben sich alle in ihrer Wissenschaft etabliert. Und sie arbeiten hart dafür, dass sie diese Position weiter ausbauen können. „60 Stunden in der Woche sind es schon“, sagt Elster, die auch noch zwischen Jülich und der Ohio University pendelt. Sie arbeitet dort in den Semesterzeiten als Jungprofessorin, in der übrigen Zeit sitzt sie an ihrem Computer in Jülich. Auch die anderen bestätigen: Mit einem Achtstundentag ist es in der Forschung nicht getan. Zumal – sie deuten es alle vorsichtig an – die Frauen in der Wissenschaft immer ein wenig besser sein müssen als die Männer.

Die ganze Belastung wird wieder wettgemacht durch die Faszination der Forschung. Für die vier Forscherinnen gibt es nichts, womit sie sich lieber beschäftigen würden. Und das schon seit Schulzeiten. Physik oder Chemie musste es sein, davon ließ sich keine abbringen. Und heute erzählt jede begeistert von der Forschung und spricht mit glänzenden Augen von ihrem Fachgebiet: Martina Luysberg, die stolz die Elektronenmikroskop-Bilder zeigt, auf denen einzelne Atome einer Siliziumschicht zu sehen sind. „ Atome zum Anfassen“ schwärmt die 38-Jährige, die mit dem Mikroskop Halbleiter untersucht.

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Ob mit oder ohne Förderprogramm – das Ziel ist für die Frauen klar: Sie wollen weiter forschen. Sie wollen Erfolg haben. Und sie wollen Professorin werden. Um die Frauen in ihrem Ziel zu unterstützen, hat das Forschungszentrum Jülich zwei besondere Programme für Wissenschaftlerinnen aufgelegt – und steht damit in Deutschland ziemlich allein da. 1998 waren in Jülich nicht einmal zehn Prozent aller Forscher Frauen. Inzwischen sind von 973 wissenschaftlichen Stellen 113 mit Frauen besetzt – immerhin schon 11,6Prozent. Rechnet man die Ingenieurswissenschaften dazu, sind es sogar 17,86Prozent Frauen. „Chancengleichheit ist für die Geschäftsführung in erster Linie eine Frage der Sicherung des Wissenschaftsstandortes und der Qualität“, so Hartmut F. Grübel, stellvertretender Vorstandsvorsitzender.

Das „Sofortprogramm für Wissenschaftlerinnen“ wendet sich an Frauen, die bereits Erfahrung in der Forschung gesammelt haben. Die acht Frauen, die zurzeit an diesem Programm teilnehmen, waren im Ausland tätig und gehören zur internationalen Forschergemeinde. Mit diesen Vorkenntnissen ausgestattet, bekommen die Frauen in dem Sofortprogramm einen unbefristeten Job. Und sie er- halten Geld für weitere Stellen, die sie mit Doktoranden und Diplomanden ihrer Wahl besetzen können. So bauen sie ihre eigene Arbeitsgruppe auf und sammeln Erfahrungen, wie eine Gruppe anzuleiten ist. Das Forschungszentrum unterstützt sie mit begleitenden Workshops und Gesprächen, in denen sie sich Tipps abholen können: „Wie gehe ich mit schwierigen Mitarbeitern um?“, ist dabei eine Frage, die regelmäßig auftaucht. Ein solches Coaching ist in der wissenschaftlichen Welt keinesfalls selbstverständlich. Für die meisten jungen Professoren heißt es immer noch „learning by doing“.

Das zweite Programm, das „Tenure-Track-Programm“, reagiert auf die Tatsache, dass zwar eine Menge junger Frauen ein Studium der Naturwissenschaften beginnen. Viele machen auch noch ihr Diplom. Die meisten steigen danach aber aus: Die Planung einer wissenschaftlichen Karriere ist – auch für Männer – einfach schwierig. Die meisten Jobs sind befristet und von den jungen Forschern wird erwartet, dass sie viele Stationen im In- und Ausland kennenlernen. Das ist gerade für viele Frauen problematisch – wenn sie Job und Familie unter einen Hut kriegen möchten. „Man muss schon einen sehr verständnisvollen Mann finden“ , berichten die vier aus eigener Erfahrung. Elster hat den Richtigen gefunden – nach Fehlversuchen, wie sie verschmitzt berichtet.

Und Kinder? Ein schwieriges Thema, angesichts der Arbeitsbelastung und der unsicheren Stellensituation. Dennoch hat Hardtdegen für sich entschieden: „Familie und Kinder dürfen nicht auf der Strecke bleiben.“ Mit 18 Monaten Halbtagsjob und gleichzeitigem Arbeiten zu Hause hat sie es geschafft – allerdings erst auf der unbefristeten Stelle in Jülich. „Ich hätte mir gewünscht, schon früher eine Festanstellung zu haben.“ Und beneidet ein wenig die jungen Forscherinnen, die heute das „ Tenure-Track-Programm“ durchlaufen. Denn das erlaubt schon frühzeitig sicheres Planen.

Direkt nach Abschluss der Doktorarbeit können sich die Frauen für dieses Programm bewerben. Nach einem Auswahlverfahren erhalten sie zunächst eine für zwei Jahre befristete Stelle. In dieser Zeit sollen sie lernen, selbständig eine Forschungsarbeit zu planen und durchzustehen. Nach den zwei Jahren präsentieren sie ihre Ergebnisse und werden von einer Kommission beurteilt. Fällt dieses Urteil positiv aus, bekommen sie einen unbefristeten Job. Simone Weber hat es gerade geschafft und freut sich, bereits mit 34 Jahren einen festen Platz im Forschungszentrum zu haben. So kann sie sich in Ruhe weiterqualifizieren und das nächste Ziel ansteuern: die Habilitation. Sie ist fasziniert von den Vorgängen im Gehirn und untersucht diese mit Hilfe eines so genannten Positronen-Emissions-Tomographen.

Doch mit der Faszination allein ist es nicht getan. Die Forscherinnen müssen sich gegenseitig unterstützen. Daher ist es ein gewollter Effekt der Programme, dass die Frauen Netzwerke aufbauen – angeregt durch die so genannte „Mentoring-Phase“. Die Frauen suchen sich einen Mentor – egal ob Frau oder Mann –, der sie auf ihrem weiteren Weg begleitet und die richtigen Türen öffnet. Viele wählen einen männlichen Kollegen. Denn noch bestimmen meist die „old boy clubs“ in der Forschung, wer welchen Job bekommt – und das sind noch zu selten die Forscherinnen. „ Frauen sind hoch qualifiziert, haben aber meist die schlechteren Kontakte“, sagt Luysberg. „Frauen müssen präsenter werden“, fordert sie und Hardtdegen bestätigt, dass junge Wissenschaftlerinnen besser „netzwerken“ müssen, auch untereinander. „Frauen haben eine andere Art, Probleme zu lösen“, ist Hardtdegen überzeugt. Und dann ist es gut, wenn man die eine oder andere Mitstreiterin hat – mit der man sich auch einfach mal zum Bier treffen kann.

Auch Vorbilder waren – und sind bis heute – für alle wichtig. Egal ob Frau oder Mann: Man braucht jemanden, der einem rät und an dem man sich orientieren kann. Es gibt nur ein Problem mit den weiblichen Vorbildern: „Es gibt zu wenige.“ Dass sie jetzt selbst welche sind, wollen die Forscherinnen nicht so recht wahrhaben. Zwar merken sie, dass sich bei ihnen verhältnismäßig viele Doktorandinnen bewerben. „Wo schon Frauen sind, kommen wohl automatisch noch mehr dazu“, vermutet Hardtdegen. Doch sie achten nicht besonders darauf, ob sie mehr Frauen oder mehr Männer einstellen.

Die Forscherinnen in Jülich haben es geschafft. Sie sind auf dem besten Weg, ihren Traum wahr zu machen. Sie haben sich in der Wahl ihres Studiums nicht beirren lassen und raten dies auch den Abiturientinnen von heute. Und sollte doch noch mal ein Lehrer oder eine Freundin behaupten, Chemie oder Physik seien nichts für Mädchen, so solle man gar nicht drauf hören. Nur eines sei wichtig: Man muss Spaß an der Sache haben. Sonst fehlt einem der richtige Biss, der einen durch die tiefen Täler bringt, die in jedem Studium auf einen warten.

Frauen sind in einem naturwissenschaftlichen Studium besonders gefordert. „Du musst immer beweisen, dass du auch etwas kannst“, ist sich Elster sicher. Denn den platten Spruch „Frauen können nicht logisch denken“ kennen sie alle – und können nur darüber lachen. Eines ist klar: Frauen fallen als Studentinnen in den Naturwissenschaften mehr auf. „Und das ist durchaus von Vorteil“, resümiert Weber schmunzelnd.

Swantje Middeldorff

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

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