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Vor dem Urknall – Modell Klassik

Allgemein

Vor dem Urknall – Modell Klassik
Wie unser Universum groß wurde und seine Materie erzeugte: Am Anfang war die überlichtschnelle Aufblähung.

Jedem Anfang wohnt bekanntlich ein Zauber inne. So auch dem Anfang der Welt: Wissenschaftler, die diese rätselhafte Zeit beschwören, suchen nach „Zauber”formeln, etwas unbescheidener „ Theorie von Allem” genannt, um eine einzige „Zauber”kraft zu beschreiben, aus der alle fundamentalen Naturkräfte hervorgegangen sind. Denn erst mit Hilfe einer solchen Theorie der Quantengravitation können sie dem Rätsel vom Ursprung des Universums auf die Spur kommen – wenn das überhaupt gelingt.

„Die Astrophysik kann wesentliche Merkmale der Entwicklung erklären – sei es von Sternen, Galaxien oder vom Universum insgesamt – aber die jeweilige Entstehung dieser Objekte liegt noch weitgehend im Dunkeln”, sagt Michael Grewing. Der Direktor des Instituts für Radioastronomie im Millimeterbereich im französischen Grenoble erklärt das Problem mit Hilfe einer alltäglichen Analogie: „Der Lebensweg eines Menschen lässt sich durch Beobachtungen auf der Straße recht gut rekonstruieren: Da gibt es Babys, Kinder, Jugendliche, Erwachsene und alte Menschen. Aber über die Zeugung und Geburt lernt man so nichts. Die Frage nach der Entstehung bleibt unbeantwortet, wenn man nur den Gang einer Entwicklung kennt.”

Der Ursprung der Welt stellt die Wissenschaft vor ungleich größere Herausforderungen. Bis ins 20. Jahrhundert dominierte in der Kosmologie freilich die schon auf altgriechische Naturphilosophen zurückgehende Auffassung, das Universum sei im Großen und Ganzen ewig, unendlich und unveränderlich. Somit erübrigte sich die Frage nach seinem Anfang. Dass dies problematisch ist, wurde erst klar, als Albert Einstein die Allgemeine Relativitätstheorie entwickelte und 1917 erstmals auf die Beschreibung des Weltalls insgesamt anwendete. Ein statischer Kosmos ließ sich mit der neuen Auffassung von Raum, Zeit, Materie und Energie kaum vereinbaren. Der belgische Astronom Abbé Georges Edouard Lemaître beschrieb daher 1927, wie sich alles quasi aus einem Punkt heraus entwickelt haben könnte. Seitdem sollte sich der Weltraum ausdehnen. Diese Expansion wies der US-Astronom Edwin Powell Hubble kurz darauf durch Beobachtungen ferner Galaxien tatsächlich nach.

Der Name „Big Bang” (Urknall) für Lemaîtres Urexplosion wurde aber erst in den fünfziger Jahren geprägt. Der britische Astrophysiker und Kosmologe Fred Hoyle tat dies ironischerweise bei BBC-Rundfunkvorträgen, in denen er das Szenario vom heißen Start des Universums vehement kritisierte. Hoyle blieb bis zu seinem Tod im August 2001 ein Gegner der Urknalltheorie. Der Begriff „Big Bang” aber, obwohl spöttisch gemeint, setzte sich bei den Befürwortern der Urknalltheorie rasch durch. Missverständnisse waren damit freilich programmiert. Denn „ geknallt” hat eigentlich nichts. „Das expandierende Universum gleicht nicht einer Explosion, die von einem Punkt im Raum ausgeht. Es existiert kein bestehender Raum, in den hinein das Universum sich ausdehnt”, wird John Barrow von der University of Cambridge nicht müde zu betonen. „Es gibt auch keinen Rand. Man kann nicht vom Rand des Universums herunterfallen.” Die Frage, wo denn der Urknall stattgefunden habe, ist ebenfalls irreführend. Denn: „Es gibt keinen Punkt im Weltall, von dem ich sagen kann: Hier hat alles begonnen, hier lasst uns ein Denkmal setzen”, spottet Rudolf Kippenhahn, ehemals Direktor am Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching. „Nirgendwo war eine Mitte.” Vielmehr sind Raum und Zeit überall entstanden, also auch direkt vor unserer Nasenspitze.

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Dass das gesamte beobachtbare Weltall vor ungefähr 13 Milliarden Jahren in einem extrem kleinen, heißen und dichten Bereich zusammengedrängt war und sich seitdem ausdehnt, abkühlt und entwickelt, wird heute von fast allen Kosmologen akzeptiert. Über die Entstehung der uns vertrauten Materie – der Protonen und Neutronen in der ersten Sekunde, der leichten Atomkerne in den ersten drei Minuten und der ersten Atome etwa 300000 Jahre später – wissen die Forscher inzwischen sehr gut Bescheid. „Die Beobachtungsdaten entsprechen dem Bild einer heißen, gleichförmigen Frühphase so gut, dass man es sich nicht besser wünschen kann. Und die Vorhersagen stimmen”, sagt Gerhard Börner vom Max-Planck-Institut für Astrophysik (siehe Interview hinten). Die Erkenntnisse der Hochenergie-Teilchenphysik mit Beschleunigern lassen Rückschlüsse auf noch frühere Phasen der kosmischen Entwicklung zu. „Das bedeutet: Einigermaßen verlässliche Aussagen sind bereits 10-12 Sekunden nach dem Urknall möglich.”

Doch was geschah vor dieser Zeit? „Wenn Kosmologen die Urknalltheorie für richtig halten, meinen sie damit meist eine präzis definierte und eingeschränkte Interpretation von ‚Urknall‘ : die Expansion des Universums von einem anfänglichen Zustand hoher Dichte”, erläutert Alan Guth. „Aber das besagt nichts darüber, ob das Universum wirklich damit begann oder ob etwas zuvor geschah.” Der vom Teilchenphysiker zum Kosmologen gewandelte Forscher, heute am Massachusetts Institute of Technology im amerikanischen Cambridge, bringt das Problem auf den Punkt: „Die Standardtheorie vom Urknall verrät uns nicht, was geknallt hat, warum es geknallt hat und was sich ereignete, bevor es geknallt hat. Trotz ihres Namens beschreibt sie den Urknall eigentlich gar nicht. Es handelt sich in Wirklichkeit um eine Theorie über die Folgen des Urknalls.”

Was aber waren die Ursachen? Beim Nachdenken über diese Frage und ungelöste Probleme der Urknalltheorie (siehe Kasten nächste Seite) kam Guth 1979 auf eine verblüffende Idee: Ein exotischer physikalischer Zustand könnte winzige Regionen des Universums unglaublich schnell aufgebläht haben. Viele Theorien über hochenergetische Zustände sagen voraus, dass die Schwerkraft nicht immer anziehend war, sondern dass einst ein „falsches Vakuum” herrschte, in dem sie repulsiv wirkte – ähnlich wie ein negativer Druck oder Sog. Ein Bereich dieses repulsiven Materials kann extrem klein sein – ein Milliardstel des Durchmessers eines Protons genügt. Wenn ein solcher Bereich existiert, beginnt er sich auf Grund seiner hohen Energiedichte exponentiell auszudehnen. In einem winzigen Augenblick – Kosmologen gehen von einem typischen Intervall von lediglich 10-37 Sekunden aus – verdoppelt der Raum seinen Durchmesser. Um die Probleme des Standard-Urknallmodells zu lösen, würden etwa 60 bis 100 Verdopplungen genügen – es könnten aber beliebig viele mehr stattgefunden haben. Das scheint jedoch gleich zwei Naturgesetze zu verletzen: • Gemäß der Relativitätstheorie kann sich nichts schneller als mit Lichtgeschwindigkeit bewegen. Dies gilt allerdings nur für gewöhnliche Teilchen im Raum. Bei der Inflation ist es jedoch der Raum selbst, der sich überlichtschnell ausdehnt, was sich mit Einsteins Theorie durchaus beschreiben lässt. • Das Prinzip von der Energieerhaltung verbietet die Entstehung von Masse aus dem Nichts. Doch es gibt ein Schlupfloch in Form von negativer Energie – etwa der des Gravitationsfelds. „Bei der Inflation bleibt die Gesamtenergie erhalten”, sagt Guth. „Erscheint mehr positive Energie – für Masse –, wenn ein Raumbereich sich mit konstanter Dichte ausdehnt, dann entsteht dort auch mehr negative Energie im Gravitationsfeld. Die Energie der Schwerkraft und Materie gleichen sich gerade aus.”

Da die Inflation in unserem Bereich des Alls längst aufgehört hat, muss es etwas geben, das sie stoppt. Ursache ist die fundamentale Instabilität des repulsiven Materials. Es zerfällt wie eine radioaktive Substanz. Dabei wird seine Energie schlagartig frei – und zwar in Form von hochenergetischen Partikeln, die rasch selbst zerfallen oder sich in andere verwandeln. So markiert das Ende der Inflation zugleich die Geburt der Materie.

„Die Inflationstheorie beschreibt den ultimativen Ursprung des Universums nicht, liefert aber eine Theorie über den Knall – nämlich darüber, was das Universum zur Expansion brachte und wie all die heute beobachtbare Materie entstand”, resümiert Guth. Seine erste Version musste er bald revidieren. Andere Kosmologen – darunter Andreas Albrecht und Paul Steinhardt von der University of Pennsylvania und Andrei Linde von der Stanford University – schlugen mathematische Modifikationen vor. Inzwischen wird ein experimentell noch nicht nachgewiesenes physikalisches Feld namens „Inflaton” als Ursache für die exponentielle Volumenzunahme angesehen. Doch Guths Grundidee hat sich bewährt und existiert weiter in vielen verschiedenen Versionen mit so exotischen Namen wie chaotische, hybride, hyperausgedehnte und sogar übernatürliche Inflation. Die Inflationstheorie wurde geradezu zum Paradigma der modernen Kosmologie. Sie hat alle indirekten Überprüfungen bestanden – insbesondere die Erforschung der Temperaturmuster in der Kosmischen Hintergrundstrahlung – und zugleich alle konkurrierenden Hypothesen aus dem Feld geschlagen.

Eine der wichtigsten Konsequenzen der Inflation: Der Kosmos muss viel gigantischer sein, als bislang gedacht. Das beobachtbare Universum ist nur ein winziger Ausschnitt. Mehr noch: Alexander Vilenkin von der Tufts University in Medford, Massachusetts, konnte nachweisen, dass die Inflation, einmal begonnen, nur lokal aufhört: Es bilden sich dann Blasenuniversen, in denen physikalische Zustände mit einem „echten Vakuum” herrschen, wie wir es kennen. Doch diese Blasen – unser beobachtbares Universum ist Teil einer solchen – bleiben vom „ falschen Vakuum” umgeben, das weiter exponentiell expandiert und immer wieder neue Blasen „auskristallisieren” lässt. Folglich ist unser Universum eingebettet in ein sich immer weiter aufblähendes repulsives Material mit unendlich vielen anderen Blasen. „Die Inflation hört nie auf”, sagen die Kosmologen und sprechen von „ ewiger Inflation”. Das hat weit reichende Konsequenzen für unser Weltbild (bild der wissenschaft 9/2001, „Ewiges Leben im Universum?”).

Die Suche nach dem ultimativen Ursprung von allem wird vom Szenario der ewigen Inflation allerdings konterkariert. „Da unser eigenes Universum überall am unendlichen Baum der Universen hängen mag, die von der ewigen Inflation erzeugt werden, kann es beliebig weit vom Anfang der Inflation entfernt sein”, erklärt Alan Guth. „Damit gehen alle Spuren seines Beginns verloren.” Das würde jede Hoffnung auf die Entdeckung von Spuren des ersten Augenblick zunichte machen. Andrei Linde glaubt sogar, dass es nie einen solchen Anfang gab, sondern dass der Kosmos schon immer ewig inflationiert. Alexander Vilenkin widerspricht. Seine Berechnungen zeigen, dass der Kosmos einen Anfang haben muss, selbst wenn wir wegen der Inflation nie etwas darüber erfahren könnten. Andere Forscher glauben, dass es noch immer Indizien vom Ursprung gibt (siehe Beitrag „Quantenvakuum, …”). Ein neues Szenario versucht die Eigenschaften des Universums sogar ohne Inflation zu erklären (siehe nächsten Beitrag „Modell Avantgarde” ).

Die Kosmologen sind also bei allen Fortschritten Zauberlehrlinge geblieben. Das Universum ist überlichtschnell explodiert, aber der Zaubertrick dahinter bleibt verborgen. Doch es gibt keinen Grund zur Resignation. Im Gegenteil – Michael Turner von der University of Chicago glaubt, das Zeitalter der Präzisionskosmologie habe erst begonnen. Denn jetzt grenzen immer mehr und bessere Daten die Theorienvielfalt ein. So werden die am 30. Juni gestartete Raumsonde „Microwave Anisotropy Probe” und der für 2007 geplante Satellit „Planck” die Kosmische Hintergrundstrahlung genauestens erforschen. Darin sind zahlreiche Informationen über das frühe Universum verborgen. So wird es bald möglich sein, Einzelheiten der Inflation zu rekonstruieren – oder sie als faulen Zauber zu entlarven. Doch damit ist das Rätsel vom Ursprung nicht gelöst. Michael Turner: „ Wenn die Inflation das Dynamit hinter dem Urknall ist, dann suchen wir noch immer nach dem Zündholz.”

Rüdiger Vaas

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