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Feuerfrei zur Aluschraube

Technik|Digitales

Feuerfrei zur Aluschraube
Mit speziellen Salzen, die bei Raumtemperatur flüssig sind, lassen sich Bauteile mit Aluminium beschichten – die Chance, ein brandgefährliches Verfahren endlich zu entschärfen.

Am 28. August 2001 musste Brandmeister Ulrich Gasper aus Troisdorf bei Bonn sämtliche Feuerwehreinheiten der Umgebung zusammentrommeln: Großalarm. In der Versuchsanlage der Aluminiumbeschichtungsfirma Aluminal brannte es lichterloh – schon wieder.

„Es war der vierte Brand in nur 15 Monaten”, berichtet Gasper. Gebäude und Inventar wurden teilweise zerstört. Mehrere Mitarbeiter wurden leicht verletzt, einer erlitt schwere Verbrennungen. Die Brandursache war dieselbe wie bei den vorherigen Alarmen: metallorganische Verbindungen, so genannte Aluminium-Alkyle. Darin ist jeweils ein Aluminium-Atom mit ein bis drei Kohlenwasserstoff-Ketten verbunden. Die ätzenden Flüssigkeiten reagieren äußerst heftig mit Sauerstoff aus der Umgebungsluft oder mit Wasser und stehen dann – weil selbstentzündlich – schnell in Flammen.

Doch Aluminal braucht die brandgefährlichen Alkyle. Sie sind der zentrale Rohstoff für den Metallveredler – das Unternehmen beschichtet Stahlteile galvanisch mit Rostschutzschichten aus Aluminium. „Galvanisch” heißt: Die chemische Abscheidung wird in großen Aluminium-Alkyl-Bädern durch elektrischen Strom in Gang gehalten. Erst im April 2004 hat Aluminal in dem Eifel-Ort Montabaur eine der modernsten Galvanikanlagen Europas bezogen. Der Hauptkunde ist die Autoindustrie.

„Wir haben die Sicherheitsvorkehrungen verschärft – seither gab es keine Unfälle”, sagt Matthias Härtel, der die Entwicklungsabteilung des Unternehmens leitet. Die zur Beschichtung anstehenden Bauteile werden, bevor sie in die Nähe der gefährlichen Alkyle gelangen, gründlich getrocknet und durch wasser- und sauerstofffreie Schleusen in die Alkylbäder geführt. „ Natürlich würde sich bei uns keiner gegen Ausgangssubstanzen sträuben, die leichter zu handhaben sind”, sagt Härtel. „Zurzeit gibt es aber keine taugliche Alternative.”

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Das sieht Frank Endres anders. Der Chemie-Professor an der Technischen Universität Clausthal hat einen ungefährlichen Rohstoff für die galvanische Aluminiumbeschichtung gefunden: Er kann Aluminium aus so genannten ionischen Flüssigkeiten abscheiden. „Solche Salze sind unterhalb von 100 Grad Celsius flüssig”, erklärt Endres. Sie sind klar wie Wasser und wirken manchmal ölig.

Ionische Flüssigkeiten haben praktisch keinen Dampfdruck und können daher, im Gegensatz zu organischen Lösungsmitteln, die Umgebungsluft nicht verunreinigen. Weil sie nur aus geladenen Teilchen bestehen, leiten sie den elektrischen Strom ausgezeichnet. Aber vor allem: Sie sind nicht brennbar.

Endres hält die Aluminiumabscheidung aus ionischen Flüssigkeiten schon heute für industrietauglich. „Das kann in gängigen Beschichtungsanlagen gemacht werden”, sagt er. Doch ihm ist klar, dass er die Firmen erst noch überzeugen muss. So arbeitet er mit Interessenten aus der Chemischen Industrie, die er nicht namentlich nennen darf, an Entwicklungsprojekten, um die großtechnische Einsetzbarkeit seines Verfahrens in drei bis fünf Jahren sicher nachzuweisen.

Zurzeit beschichten Endres’ Mitarbeiter in den Clausthaler Labors briefmarkengroße Stahlbleche mit Aluminium – bei verschiedenen Temperaturen und mit unterschiedlichen Aluminiumsalzen, um die optimalen Bedingungen herauszufinden. Die Bleche werden in die jeweilige Flüssigkeit getaucht und negativ aufgeladen. Damit elektrischer Strom fließen und die Beschichtung in Gang bringen kann, muss ein anderes Blech – meist aus Aluminium – in derselben Flüssigkeit positiv aufgeladen werden. Es entstehen dort Aluminium-Ionen, die zum negativ geladenen Stahlblech wandern und sich dort mit Elektronen zu reinem Aluminium vereinen. „Schon nach 30 Sekunden sieht man eine silbrig schimmernde Schicht”, beschreibt Endres das Resultat des Prozesses.

Die im Handel erhältlichen Aluminiumsalze haben indes einen gravierenden Nachteil: Sie wirken enorm anziehend auf Wassermoleküle. Dann bilden sich unter Stromfluss im schlimmsten Fall statt silbriger Metallschichten nur Gasbläschen aus Wasserstoff. Um das Problem in den Griff zu bekommen, hat Endres aluminiumhaltige flüssige Salze entworfen, die keinen derartigen Sog auf Wassermoleküle ausüben.

Erste Testreihen mit diesen neuen Substanzen verliefen vielversprechend. Der Clausthaler meint: „Wir brauchen jetzt lediglich trockene Luft im System, was technisch unaufwendig ist, und der Luftsauerstoff stört überhaupt nicht. So können wir schöne glänzende Schichten aus nanokristallinem Aluminium abscheiden.”

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaft hat den 39-Jährigen inzwischen zum Wissenschaftlichen Koordinator des 2005 beginnenden, 7,3 Millionen Euro schweren Entwicklungsprojekts IONMET ernannt – in voller Länge: „New Ionic Liquid Solvent Technology to Transform Metal Finishing Products and Processes”. Dabei geht es darum, ionische Flüssigkeiten für den breiten Einsatz in der industriellen Galvanik tauglich zu machen.

Ist Endres auf dem richtigen Weg, dann trügen nicht nur die Aluminium-Beschichter künftig weniger Risiken – auch die Autoindustrie könnte davon profitieren. Aluminium liegt beim Fahrzeugbau nach wie vor im Trend, auch aluminierte Teile. Wegen des schmucken Scheins lassen Autokonzerne bereits seit einigen Jahren Ölfilterdeckel und Getriebeabdeckungen von Luxuslimousinen mit Aluminium beschichten. Zunehmend werden auch Schrauben und Nieten aluminiert, wenn sie etwa Karosseriebleche aus Aluminium zusammenhalten sollen. Denn die gängigen verzinkten Verbindungselemente verursachen hier häufig Korrosionsprobleme.

Doch die Aluminierung ist nur eines von mehreren galvanischen Verfahren für die Autoindustrie, die durch den Einsatz ionischer Flüssigkeiten sicherer werden könnten. Ein weiteres ist das Verchromen: Zurzeit müssen die Galvaniseure mit wässrigen Lösungen arbeiten, die ätzende und krebserregende sechswertige Chromsalze enthalten. Laut EU-Altauto-verordnung sind diese Stoffe ab 2007 tabu.

Britische Forscher um Andrew Abbott an der Universität Leicester können mit flüssigen Salzen aus gesundheitlich unbedenklichen dreiwertigen Chromsalzen Chromschichten herstellen, sogar deutlich effizienter. Am legendären Glanz dieser Chromüberzüge hapert es indes noch. Endres ist jedoch überzeugt, dass auch diese Hürde zu nehmen ist.

Sogar Chiphersteller könnten von den elektrochemischen Eigenschaften ionischer Flüssigkeiten profitieren. Denn auch Halbleiter wie Silizium und Germanium lassen sich unter Strom aus den flüssigen Salzen abscheiden, und das kostengünstiger als – wie zurzeit üblich – aus der Gasphase.

Die Methode stammt, wie die Aluminiumabscheidung, aus der Clausthaler Forschungsschmiede von Frank Endres, der mit der Untersuchung der ionischen Flüssigkeiten noch lange nicht fertig ist. Und gar nie sein kann – denn die Zahl der theoretisch herstellbaren flüssigen Salze ist achtzehnstellig. ■

ANDREA HOFERICHTER hat Chemie studiert und arbeitet als freie Wissenschaftsjournalistin in Braunschweig.

Andrea Hoferichter

Ohne Titel

• Aluminium-Alkyle dienen zur galvanischen Beschichtung von Metall- und Kunststoffteilen. Ihr Nachteil: Sie fangen bei Kontakt mit Luftsauerstoff Feuer.

• Ionische Flüssigkeiten könnten die gefährlichen Aluminium-Alkyle ablösen: Sie sind nicht brennbar.

COMMUNITY INTERNET

Zusammenschluss britischer Forscher für den Einsatz ionischer Flüssigkeiten:

quill.qub.ac.uk/sources/

Ausführliche Web-Seiten der Firma Merck zu ionischen Flüssigkeiten, mit vielen Links:

www.ionicliquids-merck.de/

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