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Als Jerusalem ein Kuhdorf war

Allgemein

Als Jerusalem ein Kuhdorf war
Die Israeliten, so behauptet die Bibel, seien – mit Gottes Hilfe und von Mose geleitet – aus Ägypten geflohen und hätten das Gelobte Land erobert. Mit neuen Funden in der Hand erzählen die Archäologen aber eine ganz andere Geschichte.

An den Kochtöpfen sollt ihr sie erkennen! Der archäologische Küchen-Beweis lässt einen biblischen Bericht krachend vom Podest stürzen: Zwischen 1200 und 900 v.Chr. blieben Art und Form des Tongeschirrs von der Mittelmeerküste bis in die westjordanischen Berge gleich. Dasselbe gilt für die Haus- und Sakralarchitektur. Für die Archäologen steht damit fest: Die späteren Israeliten stammten von den ortsansässigen Kanaanäern ab – ausgerechnet von den angeblich bösartigen und aggressiven Erzfeinden des auserwählten Volkes im Alten Testament.

„Da ist niemand eingewandert aus Ägypten“, zieht Ulrich Hübner seine Schlüsse. Und der Professor für Biblische Archäologie an der Christian-Albrechts-Universität Kiel setzt noch eins drauf: „ Auch von der Sprache her ist es völlig legitim, die Israeliten als Kanaanäer zu bezeichnen.“ Das Israelitische war ein kanaanäischer Dialekt. Kanaan war die Bezeichnung der Ägypter für ihre Besitzungen in Palästina. Nicht zuletzt weisen Gen-Tests sehr deutlich auf eine antike Verwandtschaft der Juden mit den palästinenisch-arabischen Völkern hin.

Nichts also mit Stammvater Abraham, Fron für den Pharao, Mose, Flucht aus Ägypten, Wanderung durch die Wüste, Offenbarung und Landnahme in Palästina, wie es das Alte Testament an vielen Stellen blumig und blutig berichtet? In der Tat schickt die Biblische Archäologie – die sich in den letzten Jahren zumindest in Europa zunehmend von einer „Bibel-Beweiserin“ zu einer durchaus kritischen Wissenschaft gemausert hat – immer mehr Details aus der großen Saga der Bibel ins Land der Sagen. Aber gerade aus diesem Gegeneinander und Miteinander, aus dem Kreuz und Quer von Wissenschaft, Weltliteratur und Theologie entspringt eine der spannendsten Geschichten der Menschheit.

Wie kommt es zum Beispiel, dass eine kleine, arme, zurückgebliebene Bauern- und Hirtengemeinschaft in den kargen Bergen des Westjordanlandes als einziges Volk des gesamten Vorderen Orients seine Identität über Jahrtausende bewahren und ein Werk der Weltliteratur schaffen konnte? Weder die großmächtigen Assyrer und Babylonier noch die Ägypter und Hethiter haben etwas Vergleichbares hervorgebracht: Die Bibel bleibt mit jährlich rund 500 Millionen Exemplaren in 2000 Sprachen der Weltbestseller aller Zeiten. „Ich komme aus dem Staunen nicht heraus“, gesteht der Kieler Archäologie-Professor Ulrich Hübner, obwohl das Buch der Bücher sein alltägliches Arbeitsfeld ist.

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Um die Geschichte Palästinas zu verstehen, muss man das räumliche und zeitliche Korsett des Alten Testaments aufschnüren. Denn dieser Teil der Bibel umfasst – von der mythologischen Zeit abgesehen – nur die Eisenzeit, also etwa die Epoche von 1300 bis 300 v.Chr. Räumlich konzentriert sich die biblische Geschichtsklitterung auf Israel und Juda. Die angrenzenden Gebiete des heutigen Syriens, Libanons, Palästinas und Jordaniens tauchen allenfalls als schwarz-weiß geschildertes Feindesland auf (siehe Beitrag „Böse Brüder“). Doch die gesamte Levante war schon im 4. Jahrtausend v.Chr. in die Geschicke des Vorderen Orients fest eingebunden. Und in der ausgehenden Bronzezeit ab etwa 1500 v.Chr. verliefen die Hauptschlagadern des internationalen Warenverkehrs – von Ägypten bis Anatolien, von der Mittelmeerküste bis zum Euphrat – durch Palästina.

Davon profitierten die Bewohner der Küstenebene am meisten. Sie erwirtschafteten nicht nur Getreideüberschüsse, sondern zogen auch reichlich Gewinn aus dem Handel mit Gebrauchs- und Luxusgütern, die über die Fernstraßen und die Küstenstädte in und durch ihr Gebiet geschleust wurden. Es entstanden wohlhabende Stadtstaaten, die von konkurrierenden Kleinkönigen straff geführt wurden. Reichtum und geopolitische Lage weckten Begehrlichkeiten: Ab 1500 bis etwa 1300 v.Chr. gehörte das Westjordanland als Provinz Kanaan mit der Verwaltungshauptstadt Gaza zum ägyptischen Imperium. Die unterworfenen Stadtfürsten mussten drückende Steuern zahlen und das pharaonische Heer versorgen, wenn es durch Palästina zog, etwa um sich mit den Hethitern aus Anatolien um die Vorherrschaft in Syrien zu schlagen.

In dieser Zeit wanderten – so erzählt es das Alte Testament – die israelitischen Stämme nach ihrer Flucht vom Nil unbehelligt 40 Jahre lang durch ägyptisch kontrolliertes Gebiet.

Um 1200 v.Chr. zerbricht eine politische und in der Folge ökonomische Katastrophe alle Strukturen des östlichen Mittelmeers und des Vorderen Orients: Die „Seevölker“ – rätselhafte Invasoren aus dem Norden – bringen Ägypten ins Wanken, versetzen dem hethitischen Reich den Todesstoß, überrennen unaufhaltsam die Levante und bringen den internationalen Handel zum Erliegen. Die kanaanäischen Stadtstaaten werden vom ägyptischen Joch befreit, gehen aber zugrunde, denn ihnen fehlt nun die wirtschaftliche Grundlage. Ein Teil der Seevölker, die Philister, siedelt sich mit oder ohne Genehmigung des Pharaos in der südlichen Levante an, Kanaan wird zu „Philistinai“ – Palästina.

Durch die Umwälzungen im Zuge der Seevölker-Invasion wandelt sich die soziologische Struktur der Region grundlegend: Aus urbanen, kleinköniglich organisierten Gesellschaften werden dörflich strukturierte Stammesverbände – aus Städtern und Handwerkern werden Bauern und Kleinviehzüchter. Die wirtschaftliche Rezession erzwingt die Rückkehr zu alten Lebensformen. Die dunklen Jahrhunderte liegen wie Blei über dem gesamten östlichen Mittelmeer-Raum und drücken Kultur und Kommunikation nieder.

Außerbiblische Nachrichten über Palästina gibt es kaum. Laut Altem Testament hatten zu dieser Zeit die aus Ägypten geflohenen Israeliten das ihnen verheißene Land der Kanaanäer in einem regelrecht völkermörderischen Eroberungszug okkupiert.

Zu einem ganz anderen Befund kommen Altertumsforscher aber, wenn sie einen strikt archäologischen, nicht von den biblischen Texten vorbestimmten Zugang verfolgen. Diese Archäologen interessieren sich für die Interaktion zwischen Mensch und Umwelt: Wie verändert der Mensch seine Umgebung? Aber auch: Wie prägt die Umgebung das Verhalten des Menschen?

„Geschichte nur nach Kriegen und Königslisten zu rekonstruieren, ist einseitig – und langweilig. Geschichte ist immer eingebettet in ein Umfeld: in Landschaft, Klima, Lebensverhältnisse und Ethnologie“, umreißt Gunnar Lehmann von der Ben-Gurion University of the Negev den neuen Ansatz (siehe Beitrag „Das Steuerparadies in den Bergen“), mit dem seit rund 40 Jahren die Siedlungsgeschichte Palästinas penibelst erforscht wird.

Ein Ergebnis verblüfft: Mit dem Niedergang der kanaanäischen Stadtstaaten und den Wirren der Völkerwanderung nehmen die Siedlungen im Bergland Palästinas rapide zu. Es sind nur kleine Dörfer mit wenigen Menschen, aber es sind die Ortschaften, in denen später Israeliten leben. Gunnar Lehmann bezeichnet die Bauern und Kleinviehzüchter vorsichtig als „Proto-Israeliten“. Andere Forscher schreiben forsch, „hier lebten die ersten Israeliten“ – zum Beispiel der jüdische Archäologe Israel Finkelstein in seinem Bestseller „Keine Posaunen vor Jericho“ .

Wie auch immer: Die Zuwanderer waren offensichtlich Menschen mit einem ausgeprägten Selbstbewusstsein. Zwar flohen sie vermutlich vor Steuern, Fron und Landenteignung in der Küstenebene, dennoch blieb es ein radikaler Schritt: Sie verließen immerhin ihr seit vielen Generationen angestammtes Land und fingen völlig von vorne an. Es mussten Bäume gepflanzt, Terrassen planiert und Häuser errichtet werden. Der Ertrag der eher kümmerlichen Anbauflächen reichte gerade für die eigene Versorgung. Am rudimentären Handel der gerade beginnenden Eisenzeit um 1200 v.Chr. waren die Bergbauern allerdings nicht angeschlossen. Wie die Funde zeigen, fehlte für Schmuck und importierte Keramik das Geld. Es gab weder Befestigungen noch Paläste, weder Speicherbauten noch Tempel.

Zunächst siedelten die Ankömmlinge auf den Gipfeln, 100 Jahre später, die Zeiten waren mittlerweile offenbar etwas ruhiger geworden, erschlossen sie auch die Senken zwischen den Kuppen. Die Zahl der Bergbewohner in den Gebieten des späteren Juda und Israel um 1000 v.Chr. berechnen die Archäologen auf nicht mehr als 45 000, gegenüber 140 000 in Gesamtpalästina. „Die Pioniere“, so der Archäologe Ulrich Hübner, „haben mit ihrer Lebensweise auch ihre Mentalität und Sozialstruktur geändert – und sind dann zu dem geworden, was wir später Juda und Israel nennen.“ Sein Kollege Gunnar Lehmann präzisiert den Wandel des Selbstbewusstseins: „Da gab es schon klare Abgrenzungstendenzen nach dem Motto: Wir hier oben, ihr da unten.“

Etwa um diese Zeit (998 v.Chr. oder 40 Jahre später – die frühe Chronologie ist heftig umstritten) eroberte König David Jerusalem und baute es zur Herrscherresidenz aus, so die Schilderungen der Bibel.

Nach den archäologischen Befunden war Jerusalem eine kleine Ansiedlung, aber es hatte wohl schon früh eine stabile Wehrmauer und war vermutlich so etwas wie ein befestigter Fürstensitz. Für die Aufwertung zur Königsstadt – vor allem David-Nachfolger Salomon zugeschrieben – mit Palast, Tempel, Schatzhäusern und einem 1000 Frauen beherbergenden Harem haben die Archäologen allerdings bislang keine Belege gefunden. „Wir werden auch nichts finden“, meint kühl der Kieler Bibelforscher Hübner, „denn die David und Salomon zugeschriebenen Großbauten gab es nicht. Schließlich entwickelte sich unter den beiden das Königtum erst. Die hatten anderes zu tun, als Prachtbauten zu errichten.“ Monumentale Architektur finden die Altertumswissenschaftler erst eine Generation später, im 9. Jahrhundert – in Samaria, der Hauptstadt des nördlichen Königreichs Israel. In Jerusalem, der Metropole des Südreichs Juda, ist der infrage kommende Stadtbezirk mit zwei Moscheen überbaut – unerreichbar für die Archäologen. Die Tausendschaft an legalen Frauen und Kebsweibern, die Salomon zugeschrieben wird, hätte übrigens die gesamte Einwohnerschaft Jerusalems dargestellt.

Dynastiegründer David, so erzählt die Bibel, eroberte Jerusalem sowie Teile der umliegenden Länder und schuf dadurch ein Königreich nie gekannter Größe. In der Tat war es David gelungen, „durch eine geschickte Heiratspolitik und viel Gewalt“ (Hübner) die judäischen und israelitischen Stämme unter sich zu vereinen. Aber das war ein „Tribal-Staat“, der zeitweilige Zusammenschluss verschiedener Clans unter einem charismatischen Stammesführer. David schuf damit die Basis für einen „ Territorialstaat“ auf israelitisch-judäischem Grund. Diese staatliche Organisationsform, die sich als Novum nach dem Zusammenbruch der Stadtstaaten entwickelte, war der Beginn der großen Königreiche im Vorderen Orient. David, Kleinkönig eines relativ großen Zwergstaates Juda-Israel, hinterließ seinem Sohn Salomon ein erkleckliches Herrschaftsgebiet. Aber es war eben noch kein Territorialstaat mit einer starken Monarchie, einer guten Verwaltung, einer eigenen Schrift und einem ethnischen Selbstbewusstsein. Die Folge: Nach dem Tod Salomons zerbrach die Union der Stämme wieder in Partikularinteressen, es entstanden die Königreiche Juda im Süden mit Jerusalem als Hauptstadt und Israel mit der Metropole Samaria im Norden.

Man lebte im Bewusstsein nebeneinander, verwandt zu sein, man trieb Handel miteinander, heiratete untereinander und kämpfte gegeneinander. Dabei fühlte sich Juda, das kleinere und armseligere Land, dem benachbarten Israel gegenüber in seiner Gottgefälligkeit immer als der bessere und geliebtere Teil. Israel hörte 722 v.Chr. auf zu existieren, Juda ging als Staat 586 v.Chr. unter. So paradox es klingt: Damit begann das Selbstbewusstsein als Juden. ■

Michael Zick

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Mehr Informationen über die Landnahme Israels aus neuerer wissenschaftlicher Sicht:

www.uni-mainz.de/FB/evtheol/pp/Zwickel/ Landnahme%20Katholikentag.pdf

Ausführliche Diskussion rund um den Tempel Salomons und seine Ausgestaltung:

www.uni-mainz.de/FB/evtheol/pp/Zwickel/ Tempel%20Salomos%20Katholikentag.pdf

Arbeit und Forschungsfelder des Rostocker Archäologen Hermann Michael Niemann:

www.theologie.uni-rostock.de/Niemann/niemann.htm

Informationen rund um den Kieler Bibelforscher Ulrich Hübner:

www.uni-kiel.de/fak/theol/personen/huebner.shtml

Das Biblisch-Archäologische Institut der Kirchlichen Hochschule Wuppertal unter der Leitung von Prof. Dieter Viehweger:

www.bai.uni-wuppertal.de/

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